Hamburg. Wie Hamburgs Hockey-Olympiakader auch in der Corona-Pause auf ihre großen Ziele, die Olympischen Spiele 2021 in Tokio, hinarbeiten.

Der Regen prasselt. Aber wie 1954 im Endspiel der Fußball-WM im Berner Wankdorf-Stadion wankt auch hier, an diesem tristen Maimorgen auf der Hockeyanlage des Clubs an der Alster in Wellingsbüttel, niemand. Immer wieder nehmen die vier durchnässten Nationalspielerinnen Anlauf, umdribbeln mit dem Ball eng am Stock die Hindernisse, dringen in den Schusskreis ein und dreschen das Spielgerät in das verwaiste Tor. Wenn ein Abschluss besonders gut gelingt, wird die Schützin von ihren Trainingskolleginnen lautstark gefeiert. Und wer das Quartett dabei beobachtet, wie es sich seinem Spieltrieb hingibt, der spürt: Das muss Liebe sein!

Anders ist kaum zu erklären, warum sich erwachsene Menschen, die im „richtigen Leben“ allesamt studieren oder einem Beruf nachgehen, durch das Hamburger Eisheiligen-Schmuddelwetter quälen, obwohl sie kein Ziel haben, auf das sie hintrainieren. Gut, die auf Juli/August 2021 verschobenen Olympischen Sommerspiele in Japans Hauptstadt Tokio könnte man ein Ziel nennen. Aber den eng getakteten Wettkampfkalender, den die Hockey-Nationalteams ansonsten gewohnt sind, mit Reisen um die ganze Welt und Spielen im Wochentakt in der Bundesliga und der Hockey Pro League, hat die Corona-Krise hinweggefegt. Länderspiele? Bis mindestens August unterbrochen. Vereinshockey? Frühestens im September wieder möglich.

Deutsche Hockeyspieler sind Kleingruppentraining gewöhnt

Wie es angesichts solcher Aussichten gelingt, die Motivation für das Training aufrecht-zuerhalten, versucht Kira Horn (25) zu erklären. Die Außenverteidigerin vom Club an der Alster zählt an jenem Morgen zu der Trainingsgruppe, die von ihren Vereinskameradinnen Anne Schröder (25), Viktoria Huse (24) und Hanna Granitzki (22) komplettiert wird. „Natürlich fehlen uns die Wettkämpfe“, sagt sie. „Aber es geht allen Teams weltweit so. Deshalb versuchen wir nun, aus der Situation das Beste zu machen und unsere Defizite aufzuarbeiten, damit wir so gestärkt wie möglich aus dieser Situation herauskommen.“

Marc Herbert (55) leitet die Einheiten der Nationalteams.
Marc Herbert (55) leitet die Einheiten der Nationalteams. © Witters

Tatsächlich sehen sich die Verantwortlichen im Deutschen Hockey-Bund (DHB) nicht als Verlierer dieser Krise. Da im Gegensatz zu zentral an einem Ort trainierenden Topnationen wie den Niederlanden, Belgien, Großbritannien oder Australien in Deutschland dezentral an über das Land verteilten Stützpunkten trainiert wird, sind deutsche Hockeyspieler Kleingruppentraining gewöhnt. Aktuell zählen aus Hamburg neben den genannten vier Spielerinnen vom deutschen Feld- und Hallenmeister Alster deren Clubkolleginnen Lisa Altenburg (30) und Hannah Gablac (25), Amelie Wortmann (23), Lena Micheel (22) und Charlotte Stapenhorst (24/alle Uhlenhorster HC), Franzisca Hauke (30) und Rosa Krüger (25/beide Harvestehuder THC) zum Aufgebot von Bundestrainer Xavier Reckinger (36). UHC-Urgestein Janne Müller-Wieland (33) lebt und trainiert aktuell in London. Bei den Herren sind Tobias Hauke (32/HTHC), Mark Appel (25/Alster) sowie Mathias Müller (28) und Constantin Staib (24/beide Hamburger Polo Club) im Kader des Hamburger Bundestrainers Kais al Saadi (43).

Grundfitness bewahren

Sorgen gab es in Hamburg lediglich in der Phase zwischen der Verlegung der Sommerspiele am 24. März und der Aufhebung des Sportverbots am 21. April. „In diesen Wochen konnten unsere Nationalspieler nur individuell zu Hause trainieren. Da war nicht mehr möglich, als die Grundfitness zu bewahren“, sagt Marc Herbert. Der 55-Jährige ist Olympiastützpunkttrainer für den Hockeybereich und in dieser Funktion eigentlich nicht für die A-Nationalkader zuständig.

Aber da die Position des Bundesstützpunkttrainers aktuell nicht besetzt ist, übernahm er Ende April, als die Hamburger Politik Olympiakaderathleten die Rückkehr ins Kleingruppentraining ermöglichte, die Leitung der Einheiten.

Trainiert wurde, da der dem Hamburger Hockeyverband zugestandene Trainingsplatz auf dem Unigelände am Turmweg nicht freigegeben war, drei Wochen auf dem Kunstrasen des Harvestehuder THC an der Barmbeker Straße. Als in der vergangenen Woche Lockerungen für den Vereinssport möglich wurden, benötigte der HTHC die Trainingszeiten für den Eigenbedarf. Die Nationalspieler waren heimatlos; ein für einen Sport, der regelmäßig nationale und internationale Titel in die Stadt trägt, unhaltbarer Zustand, den der seit Oktober 2019 tätige neue Bundesstützpunktleiter Markus Weise (57) mit dem Aufbau eines Leistungszentrums am Hemmingstedter Weg mittelfristig in den Griff zu bekommen gedenkt.

Gemeinsames Training tut ihnen gut

Da die Herren-Bundesligateams bereits vergangene Woche wieder in einen Turnus mit drei Einheiten Mannschaftstraining zurückgekehrt waren, gibt es für das Hamburger Nationalquartett aktuell kein zusätzliches Stützpunkttraining auf dem Platz. Dafür trifft man sich viermal in der Woche in der Leichtathletikhalle in Winterhude, um unter Anleitung von Athletikcoach Rainer Sonnenburg (59) zu arbeiten. „Die Intensität ist sehr hoch, und ich glaube, dass uns diese Phase sehr hilft, um an unseren Schwächen zu arbeiten“, sagt Mathias Müller.

Die Damen, die ebenfalls drei- bis viermal wöchentlich mit Sonnenburg schuften, werden bis auf Weiteres einmal pro Woche in den gewohnten Kleingruppen auf dem Feld zum Stützpunkttraining zusammenkommen. „Wir spüren einfach, dass es uns guttut, uns zu sehen und gemeinsam zu trainieren“, sagt Spielgestalterin Anne Schröder. Marc Herbert hat auch festgestellt, dass die Intensität des Kleingruppentrainings wichtige Erkenntnisse bringt. „Die Einheiten sind sehr fordernd. Man merkt sofort, wer wie fit ist und wer voll mitzieht“, sagt er. Seine Erkenntnisse teilt er mit den Bundestrainern. Reckinger ist in seiner Heimat Belgien im Lockdown. Al Saadi, der in Hamburg lebt, hat sich bewusst aus dem Training herausgehalten, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, die Spieler aus seiner Heimatstadt zu bevorzugen.

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Auch wenn die Auswahlspieler und ihre Coaches versuchen, aus der aktuellen Situation das Beste zu machen, ist doch allen klar, dass diese nicht noch monatelang durchzuhalten ist. Wer in einem Kontaktsport 1,50 Meter Abstand halten muss, stößt schnell an Grenzen. Zweikämpfe stehen ebensowenig auf dem Trainingsplan wie wettkampfnahe Spielformen. Nicht einmal Strafecken können geübt werden, weil sich Stopper und Schütze bei der Ausführung zu nah kommen würden. Für Torhüter wie Rosa Krüger oder Mark Appel bleiben deshalb nur Schüsse aus der Distanz, was auf Dauer schnell eintönig wird. „Ich bin trotzdem froh, wenigstens zwei- oder dreimal pro Woche mit den Jungs zu trainieren. Die Abende waren in der Zeit des kompletten Sportverbots doch ziemlich langweilig“, sagt Appel.

Keiner weiß, wie sich fehlende Wettkampfpraxis auswirkt

Die Frage, wie sich die fehlende Wettkampfpraxis auswirken wird, treibt alle Beteiligten um. Anfang März gab es die letzten Länderspiele. Selbst wenn es im Optimalfall Anfang September wieder losgeht: Sechs Monate Spielpause hat keiner der Auswahlakteure auch nur ansatzweise bislang erlebt. Aber auch in dieser Frage überwiegt letztlich der grenzenlose Optimismus, der Topathleten im Nischensport grundsätzlich auszeichnet.

„Wir haben keinen finanziellen Druck wie die Fußballer und werden bestimmt einige Testspiele machen können, bevor es wieder richtig losgeht“, sagt Mathias Müller. „Wahrscheinlich kommen wir schneller wieder in den Normalmodus, als wir alle denken. Hockeyspielen ist doch wie Fahrradfahren, das verlernt man nicht“, sagt Anne Schröder. Dann lupft sie den nächsten Ball galant über die Hindernisse und zirkelt ihn per argentinischer Rückhand unter die Torlatte. Das Netz zappelt, der Regen prasselt. Und keiner wankt im Hamburger Hockey.

Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde

  • Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
  • Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
  • Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
  • Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
  • Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden