Hamburg. Die deutsche Meisterschaft im Formationstanz beschert Hamburg ein hoch emotionales Turnier – und einen großen Erfolg.

Es ist kurz vor 16 Uhr am Sonnabendnachmittag in der Sporthalle Hamburg, als zum ersten Mal der Gedanke aufkommt, dass das hier ein großer Abend wird. Zwei Tänzer in schwarz-gelben Anzügen heben eine Frau in den Spagat, schreiten mit ihr über das Parkett wie mit einer Trophäe und präsentieren sie den knapp 4000 Zuschauern, die schon jetzt nicht mehr sitzen, sondern stehen. Es ist ja gerne mal laut in Sporthallen, genau das macht die Atmosphäre oft aus. Aber am Sonnabend ist die Stimmung so dicht, so elektrisierend, dass die Halle beinahe zu bersten droht.

Es sind die 16 Tänzer des 1. TSZ Velbert, die gerade ihr Programm beendet haben und mit pumpenden Oberkörpern das Parkett verlassen, in die Halle winken, die Hand zur Faust ballen. In Hamburg findet an diesem Sonnabend die deutsche Meisterschaft im Formationstanzen statt, in den Disziplinen Standard und Latein, die Elite des deutschen Tanzsports hat sich aufgemacht in die Hansestadt, vor 37 Jahren war dies das letzte Mal der Fall. Diese deutsche Meisterschaft ist meine erste. Als Sportjournalist hat man in diesem Moment zwei Möglichkeiten: Entweder Expertise vortäuschen. Oder offen und neugierig zugehen auf eine Sportart, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt.

Formationstanz ist eine Explosion

Zugehen, das merke ich am Sonnabend schnell, ist beim Formationstanzen keine so gute Idee: viel zu langsam gedacht. Formationstanz ist eine Explosion – eine gut getaktete, sorgsam orchestrierte, am Ende völlig entfesselnde Explosion. Was weniger mit den meist knallbunten Kostümen der Tänzer zu tun hat, mit ihrem Make-up, der lauten Musik. Sondern mit den Funken, die eine gute Choreografie imstande ist zu schlagen, mit all dem, was aus den Tänzern herausbricht, mittendrin oder am Ende eines Wettkampfs. Formationstanz ist eine hoch emotionale, eine hoch komplexe Sportart – nicht nur, weil sie den Athleten ein Maximum an Körperbeherrschung und Koordination abverlangt.

Es geht auch darum, fünf Tänze – Samba, Cha-cha-cha, Rumba, Paso Doble und Jive für den Bereich Latein – so im Schlaf zu beherrschen, dass die rund sechsminütige Wettkampfdarbietung so mühelos daherkommt wie eine lockere Laufrunde im Park. Und das als Paar gemeinsam mit sieben anderen, perfekt im Takt der Musik, perfekt synchron. Kein Wunder, dass zum Ende einer guten Performance die Emotionen überlaufen.

In kompanieartigem Gleichschritt

Die Explosion beginnt dabei immer gleich, mit dem Aufmarsch des Teams: acht Paare, die sich in kompanieartigem Gleichschritt Richtung Parkett bewegen, davor kurz innehalten und auf das Kommando ihres Kapitäns warten. Die Reporter stehen in dem Moment direkt neben den Tänzern. Und sehen, wie sie sich noch einmal kurz die Hand auf die Schulter legen, sich Kommandos zuflüstern in ihrer Geheimsprache; wie sie gemeinsam einatmen, Luft in den Oberkörper pumpen, die Schultern zurücknehmen, das Kinn in die Höhe. In den Gesichtern dann: eine Mischung aus Ehrgeiz, Lampenfieber, Stärke und Stolz.

Der Verein Blau-Weiss Buchholz hat dieses Turnier zum ersten Mal in seiner Geschichte ausgerichtet, und schon während der Vorrunde am Nachmittag wird klar, wie gut dem Verein aus der Nordheide diese Premiere gelungen ist. Die Stimmung in der Halle ist über rund neun Stunden euphorisch. Es ist 23.16 Uhr, als die 16 Tänzerinnen und Tänzer von Blau-Weiss Buchholz zum letzten Mal an diesem Abend Richtung Parkett marschieren.

Die Reporter verständigen sich zu diesem Zeitpunkt nur noch mit Handzeichen, zu laut ist es in der Halle. Auch im Finale gelingt dem Team ein konzentrierter Auftritt. Ein Heimspiel kann eine Bürde sein, aber die Fans tragen die Tänzer durch ihre Choreografie, lassen sie lachen und brüllen, schon mittendrin.

Dritter Rang für die Buchholzer

„Was das mit einem Tänzer macht, das kann man nicht in Worte fassen“, sagt Blau-Weiss-Trainerin Franziska Becker nach dem Turnier. „Monatelang schaut man drei- bis viermal in der Woche im Training auf eine Turnhallenwand, und dann so einen Moment zu erleben, so eine Kulisse zu haben, das gibt einem einfach alles zurück.“

Blau-Weiss Buchholz beendet die deutsche Meisterschaft auf dem dritten Rang. Womöglich wäre mehr drin gewesen, den zweiten Platz hatte man sich eigentlich vorgenommen. Das Wertungsgericht sah es anders. Man werde das in den kommenden Tagen sportlich analysieren, sagt Franziska Becker am Tag danach. Sie klingt heiser. Heiser, aber glücklich.

Endrundenergebnisse der deutschen Meisterschaften 2019 im Formationstanz, Standard:

1. TSC Schwarz-Gold Göttingen (33.150 Punkte), 2. Braunschweiger TSC (32.658 Punkte), 3. TC Ludwigsburg (31.758 Punkte). Latein: 1. GGC Bremen A (32.729), 2. TSZ Velbert (32.525),

3. TSA Blau-Weiss Buchholz (29.750).