Hamburg. WM in Japan: Hamburgs Bundesligatrainer Carsten Segert erklärt, was wichtig ist und ob die Live-Übertragung den Sport populärer macht.

Nach der Fußball-WM und den Olympischen Spielen ist die Rugby-WM, die von diesem Freitag an in Japan stattfindet, das weltweit größte Sportevent. In Deutschland schlummert Rugby weitgehend in der Nische, obwohl die deutschen Männer in der olympischen Siebener-Variante (sieben Spieler pro Team) immerhin Europameister sind. In der klassischen 15er-Variante, die bei Weltmeisterschaften gespielt wird, war Deutschland indes noch nie für Welttitelkämpfe qualifiziert.

Der TV-Sender ProSieben Maxx überträgt 31 Spiele live, beginnend mit der Eröffnungspartie heute zwischen Japan und Russland (11.20 Uhr). Ob das dem Sport einen Schub geben kann und auf was sonst zu achten ist, erklärt Carsten Segert (52), der als Nationalspieler 1993 den ersten Versuch (fünf Punkte wert) für Deutschland in einem WM-Qualifikationsspiel legte. Der Cheftrainer der Bundesligamänner des Hamburger RC hat als Coach des namibischen Erstligisten Windhoek Wanderers auch internationale Erfahrung gesammelt.

Der Stellenwert der WM: Siebener-Rugby ist zwar olympisch, aber letztlich nur ein Instrument, um Aufmerksamkeit für das Hauptereignis zu generieren. Die WM findet nur alle vier Jahre statt und ist die größte Werbeplattform für unseren Sport. Der wirtschaftliche Effekt wird auf vier Milliarden Dollar taxiert.

Die Bedeutung von Rugby in Japan: Rugby ist in Japan schon längere Zeit ein wichtiger Studentensport. Seit ungefähr zehn Jahren gibt es eine Profiliga, die auch eine Reihe an starken Ausländern ins Land gebracht hat, von denen einige mittlerweile für Japans Nationalteam spielberechtigt sind. Judo, Sumo und auch Baseball sind noch populärer, aber mit Fußball steht Rugby vom Bekanntheitsgrad her auf einer Stufe. Die Gruppenspiele Japans waren sofort ausverkauft, die Stadien werden mit bis zu 72.000 Fans gefüllt sein.

Das Problem von Rugby in Deutschland: Die Wahrnehmung hat sich in den vergangenen Jahren zwar erhöht, aber Rugby hat das Problem, das fast alle Sportarten in Deutschland haben: Abseits des Fußballs ist wenig Platz. Die Clubs machen gute Arbeit, der Verband kriegt es aber leider nicht hin, das Ganze vernünftig aufzubauen. Eine erfolgreiche Qualifikation für eine WM wäre hilfreich, davon sind wir aber weit entfernt. 1994 waren wir in der letzten Quali-Runde, haben aber von Russland und Rumänien jeweils 60 Punkte kassiert, und 2018 waren wir in der Trostrunde der letzten vier. Meine Hoffnung ist, dass die Übertragungen auf ProSieben Maxx dazu beitragen, unseren Sport und seine Werte – Fairness und Respekt vor Mitspielern, Gegnern und vor allem auch den Schiedsrichtern – ins Bewusstsein deutscher Sportfans zu rücken.

Der Modus der WM: Gespielt wird in vier Gruppen à fünf Teams. Jeder spielt gegen jeden, die beiden besten Teams jeder Gruppe erreichen das Viertelfinale.

Die Vorrundengruppen: In Gruppe A rechne ich damit, dass sich Irland und Schottland durchsetzen. Allerdings könnte Japan mit dem Heimvorteil den Schotten gefährlich werden. Samoa kann unbequem sein, hat aber gegen Irlands starke Mischung aus Kick- und Passspiel keine Chance. Russland ist der große Außenseiter. In Gruppe B dürften sich Titelverteidiger Neuseeland und Südafrika recht klar behaupten. Neuseeland hat den ausgeglichensten, hochklassigsten Kader und ist dank des Rituals vor jedem Match, dem „Haka-Tanz“, jedem Sportfan ein Begriff. Aber Südafrika ist auf Augenhöhe, hat ein kraftvolles Offensivspiel und ist in bestechender Form. Italien wird Dritter, Namibia und Kanada streiten sich um Platz vier.

Gruppe C ist die härteste Gruppe, weil England, Frankreich und Argentinien allesamt Viertelfinalkandidaten sind, aber einer ausscheiden muss. Und die USA und Tonga sind auch keine Laufkundschaft. Bei Argentinien imponiert mir, dass sie die einzige Mannschaft sind, die ohne naturalisierte Ausländer spielt und auch im Trainerstab nur auf Einheimische setzt. In Gruppe D setze ich klar auf Australien und Wales, die mit Georgien und Uruguay zwei Außenseiter zum Gegner haben. Fidschi kann an guten Tagen auch die Topteams ärgern, hat aber häufig Probleme mit der Disziplin.

Die Titelfavoriten: Im Halbfinale sehe ich Neuseeland, Südafrika, England und Australien. Australien stand auch 2015 im Finale und kann an einem guten Tag Neuseeland schlagen. Mein gar nicht so geheimer Geheimfavorit ist Südafrika.

Spieler, auf die man achten sollte: Der Australier Kurtley Beale (30) ist zu Weltklasseleistungen fähig. Südafrika hat mit Siya Kolisi (28) den ersten farbigen Kapitän. Bei Neuseelands „All Blacks“ könnte ich alle Spieler nennen, besonders interessant finde ich Richie Mo’unga (25). Für England dürfte Kapitän Owen Farrell (27) eine hervorgehobene Rolle spielen.