Ottensheim. Die Prestigeerfolge täuschen allerdings über die schwache Gesamtbilanz in den olympischen Bootsklassen hinweg.

Was sie auszeichnet, diese nimmersatten Modellathleten, das strahlte am Sonntagnachmittag Torben Johannesen aus. Da hatten sie sich maximal verausgabt, die Mitglieder des Deutschland-Achters, um sich auf einem Nebenarm der Donau in Ottensheim bei Linz in einer Weltklassezeit von 5:19,41 Minuten den dritten WM-Titel in Serie vor den Niederlanden (5:19,96) und Großbritannien (5:22,35) zu sichern. Doch all die Plackerei hatte der einzige Hamburger im deutschen Paradeboot längst vergessen, als er wenige Minuten später von ebendiesem Zieleinlauf schwärmte.

„300 Meter vor dem Ziel herrschte eine Atmosphäre, die es beim Rudern sonst kaum gibt. Das war einfach nur unglaublich“, sagte der 24-Jährige, in dessen Heimatverein RC Favorite Hammonia Dutzende Mitglieder beim Public Viewing mitfieberten. „Es war ein Rennen am Anschlag, die letzten 200 Meter haben wir um unser Leben gekämpft. Aber im Jahr vor Olympia ist der WM-Titel eine echte Standortbestimmung. Deshalb war es unsere größte Leistung, seit ich 2017 ins Team kam“, sagte er.

Steuermann Hannes Ocik (28/Schwerin) freute sich nicht nur über „ein phänomenales Finalrennen, sondern auch darüber, dass wir damit das Olympiaticket gelöst haben.“ Rang fünf war nötig, um sich für die Sommerspiele 2020 in Tokio zu qualifizieren. Dass dies gelungen war, stimmte auch den als extrem kritisch bekannten Steuermann Martin Sauer (36/Berlin) milde. „Am Ende mussten wir hart kämpfen, aber über 1700 Meter war es ein starkes, diszipliniertes Rennen. Für Tokio haben wir aber noch Reserven, der Endspurt hat mir nicht gefallen“, sagte er.

Zeidler rettet drei Hundertstelsekunden ins Ziel

Oliver Zeidler ist der erste deutsche Einerweltmeister seit Marcel Hacker 2002.
Oliver Zeidler ist der erste deutsche Einerweltmeister seit Marcel Hacker 2002. © dpa | Alexandra Wey

Das konnte über Oliver Zeidler beileibe nicht behauptet werden. Er mag der stärkste Ruderer der Welt sein, dieser 203 Zentimeter große Muskelberg. Aber der Zielsprint, mit dem er sich eine halbe Stunde nach dem Achter seinen ersten WM-Titel im Einer erkämpfte, streckte sogar ihn nieder. Minutenlang lag der 23-Jährige vom RC Ingolstadt auf dem Anlegesteg und versuchte, wieder zu Kräften zu kommen nach einem Rennen, das an Dramatik schwer zu überbieten war. 500 Meter vorm Ziel hatte Zeidler noch an Position vier gelegen. Im Ziel brauchte es das Fotofinish, um die drei Hundertstelsekunden Vorsprung (Siegerzeit 6:44,55 Minuten) auf den Dänen Sverri Nielsen sichtbar zu machen. Bronze gewann der norwegische Titelverteidiger Kjetil Borch (6:44,84).

„Ich war mir nicht sicher, wer vorn lag, deshalb habe ich nicht sofort gejubelt. Aber ich habe im Endspurt einfach durchgezogen und gehofft, dass es reicht“, sagte der erste deutsche Einerweltmeister seit Marcel Hacker (Magdeburg) im Jahr 2002. Den Moment seines größten Triumphes ordnete er entsprechend seiner unglaublichen Geschichte ein: „Vor drei Jahren saß ich erstmals in einem Boot. Jetzt der Beste zu sein, das ist unglaublich.“ Tatsächlich hatte der Bayer 2016 noch versucht, sich im Schwimmen für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro zu qualifizieren.

Weil das nicht gelang, wechselte er zum Rudern, machte innerhalb weniger Jahre enorme technische Fortschritte – und krönte sich nach dem EM-Titelgewinn Anfang Juni in Luzern (Schweiz) nun zum Weltmeister. Was sein nächstes Ziel sei? „Das kann sich nach EM- und WM-Titel wohl jeder denken“, sagte er. Keine Frage: Zeidler will nun in Tokio 2020 Olympiasieger werden, wie es schon sein Großvater Hans-Johann Färber (1972 im Vierer) und seine Tante Judith Zeidler (1988 im Achter) waren.

Der Achter, Zeidler und der leichte Doppelzweier mit Jason Osborne (25/Mainz) und Jonathan Rommelmann (24/Krefeld), der am Sonnabend Bronze gewann, waren die einzigen Lichtblicke in den olympischen Klassen. Die generelle Bilanz fiel ernüchternd aus. Nur sechs von 14 möglichen Tickets für Tokio wurden gebucht, neben den Medaillengewinnern holten beide Doppelvierer und der Doppelzweier mit dem Hamburger Tim Ole Naske (23) und Stephan Krüger (30/Rostock), der im B-Finale Vierter wurde, den Quotenplatz für Japan.

Holtmeyer mit Bilanz nicht zufrieden

„Nachdem Jason und Jonathan am Sonnabend im dunklen Tunnel die Grubenlampe entzünden konnten, haben der Achter und Zeidler das Licht heute wieder angeknipst. Aber diese Erfolge übertünchen nicht die Gesamtleistung, mit der wir nicht zufrieden sein können“, sagte Chef-Bundestrainer Ralf Holtmeyer. Sorgen bereitet vor allem der Frauenbereich. Einzig der Doppelvierer erreichte das Minimalziel Tokio, war im A-Finale aber als Vierter zwölf Sekunden langsamer als Sieger China. Alle anderen sechs weiblichen Besatzungen müssen im Mai 2020 die Nachqualifikation auf dem Rotsee in Luzern bestreiten.

Das gilt bei den Männern für den Zweier und Vierer ohne Steuermann genauso. Sorgen macht aber auch der Doppelvierer, zuletzt bei den Sommerspielen in London und Rio eine Goldbank – und nach Rang fünf im A-Finale mit fast 13 Sekunden Rückstand auf Weltmeister Niederlande entsprechend bedient. „Wir haben im Finale leider unsere schlechteste Leistung geboten, die Schlagstrukturen haben nicht funktioniert“, gab der Hamburger Skull-Cheftrainer Marcus Schwarzrock unumwunden zu.

Daran wird von Oktober an gearbeitet werden, wenn für die Ruderer die Olympia-Vorbereitung startet. Der Achter muss zuvor am Sonntag noch beim SH-Netz-Cup in Rendsburg antreten. „Danach ist endlich Urlaub“, sagte Torben Johannesen. Ein Urlaub, den sich die Gold-Garanten redlich verdient haben.

Sylvia Pille-Steppat (51) vom Wilhelmsburger Ruder-Club belegte im paralympischen Einer Rang fünf.