Hamburg. Das Pathos des vom Veranstalter als “verlorener Sohn“ betitelten Hamburgers stieß vielen Beobachtern unangenehm auf.

Als Alexander Zverev ausgeschieden war aus seinem Heimatturnier; als er das Halbfinale bei den Hamburg European Open verloren hatte am Sonnabendnachmittag gegen den erfolgreichen Titelverteidiger Nikolos Bassilaschwili aus Georgien mit 4:6, 6:4 und 6:7 (5:7), obwohl er beim Stand von 5:3 im dritten Satz zwei Matchbälle vergeben und im entscheidenden Tiebreak mit 5:2 vorn gelegen hatte; da wollte Deutschlands bester Tennisprofi nur noch eines: nach Hause. „Ich fliege jetzt nach Monte Carlo“, sagte der 22-Jährige, der in seiner Wahlheimat ein wenig ausspannen wird, ehe er am Mittwoch nach Kanada reist, wo in einer Woche das Masters in Montreal startet.

Um eins klarzustellen: Es war eine gelungene Woche mit Alexander Zverev am Rothenbaum. Der Plan des Weltranglistenfünften, nach einer an Trennungen – Manager, Freundin, am Freitag auch noch Cheftrainer Ivan Lendl – reichen ersten Saisonhälfte in seiner Geburtsstadt neues Selbstvertrauen zu tanken, ist aufgegangen. Zverev spielte, auch wenn er im Halbfinale 16 von 20 Breakchancen nicht nutzte und vor allem im zu zaghaften Netzspiel bekannte Schwächen offenbarte, vier starke Matches. Und er schaffte es dank eines selten arroganten, dafür umso charmanteren Auftretens auf dem Platz und außerhalb desselben, ein Stück verlorenen Kredits zurückzuerobern. Das Publikum stand hinter seinem zurückgekehrten Lokalhelden, der es ehrlich meinte, als er vorgab, die Liebe der Fans gespürt zu haben.

Rückkehr nichts anderes als ein Selbstzweck

Und doch stieß das Pathos, geschürt auch vom Veranstalter, der auf allen Kanälen die „Rückkehr des verlorenen Sohnes“ überstrapazierte, vielen Beobachtern unangenehm auf. Es ist nichts dagegen zu sagen, wenn sich ein Topsportler, der mit 22 bereits ATP-Weltmeister ist und mehr als 17 Millionen US-Dollar Preisgeld verdient hat, für Monte Carlo als Wohnsitz entscheidet. Nicht nur die optimalen Trainingsbedingungen sprechen für den Stadtbezirk Monacos, in dem viele Tennisprofis leben.

Die Niederlage vom Sonnabend hat Alexander Zverev wahrhaftig tief getroffen. Natürlich hätte er gern sein zweites Halbfinalmatch in Hamburg nach 2014, als er als 17-Jähriger gegen den spanischen Altmeister David Ferrer chancenlos 0:6, 1:6 untergegangen war, gewonnen. Natürlich wäre er gern Nachfolger Michael Stichs geworden, der 1993 als letzter Deutscher am Rothenbaum den Titel gewinnen konnte. Aber als er im Angesicht der bitteren Niederlage davon sprach, nun nach Hause fliegen zu wollen, da wurde vielen noch einmal deutlich vor Augen geführt, dass seine Rückkehr an die Stätte seines ersten ATP-Turnierstarts 2013 in erster Linie nichts anderes war als Selbstzweck – und mitnichten die lange ersehnte Heimkehr.

Zverev vermeidet einen Treueschwur

Niemand, das bleibt festzuhalten, hat ihn gezwungen, die Stadt, die ihm angeblich so viel Liebe und Energie gibt, drei Jahre lang nicht ein einziges Mal auch nur zu besuchen. Auch wenn der inzwischen geschasste Manager Patricio Apey mit seinem Ansinnen, Zverev zur globalen Marke zu machen, an dessen Weigerung, trotz per E-Mail bestehender Vereinbarung 2017 und 2018 nicht am Rothenbaum zu spielen, großen Anteil hatte; wäre ihm die Heimat so wichtig, dann hätte Alexander Zverev anders entscheiden können.

Auch am Sonnabend gab es von ihm keinen Treueschwur zu hören, obwohl die neue Turnierdirektion eine langfristige Kooperation anstrebt und seine Rückkehr mit geschätzt 300.000 Euro marktüblich entlohnt hat. Was ihn dazu bewegen würde, eine dauerhafte Startzusage zu geben, wurde der dreimalige Masterssieger gefragt. Seine Antwort umfasste ein Wort: „Hartplatz.“ Damit war eine Diskussion neu entfacht, die kontraproduktiv ist. Zwar wäre es für Zverev einfacher, sich in Hamburg auf die nordamerikanische Hartplatzserie vorzubereiten, wenn das Turnier den Belag wechseln würde. Doch dadurch würde nicht nur Tradition verloren gehen, sondern auch die weltbesten Sandplatzspieler, die den Rothenbaum nutzen, um zwischen Rasen- und Hartplatzserie wichtige Punkte für die Weltrangliste zu sammeln.

Federer spielt regelmäßig in seiner Heimatstadt

Zverev selbst konterkarierte sein Ansinnen mit der Aussage, dass er „wohl kaum in Hamburg gespielt hätte, wenn ich in Wimbledon nicht so früh gescheitert wäre.“ Im Klartext: Wer beim wichtigsten Majorturnier der Welt weit kommt, macht während Hamburg, das wegen Olympia (Start 24. Juli 2020) im kommenden Jahr sogar direkt nach Wimbledon beginnt, Pause. Und da er „hoffe, dass ich bald lerne, wie man in Wimbledon gut spielt“, wird Zverev selbst bei einer – finanziell zusätzlich belastenden – Umrüstung auf Hartplatz keine dauerhafte Startzusage geben. Und dafür riskieren, dass all die starken Sandplatzspieler fehlen?

Die einzig sinnvolle Weiterentwicklung wäre die Rückkehr des Turniers in den Mai vor die French Open, das einzige Grand-Slam-Event auf Sand. Diese würde auch ermöglichen, den Herren das Damenturnier vor- oder auch nachzulagern, um das sich die neuen Macher bemühen. Die Hoffnung, von der Herrentennis-Organisation ATP ein kombiniertes Event gestattet zu bekommen, ist verschwindend gering und auf der Anlage auch kaum durchführbar. Allerdings gibt es in der aktuellen Konstellation mit den Mastersevents in Madrid und Rom auch im Mai keinen sinnvollen Platz für zwei Turnierwochen.

Machbar wäre für Zverev jedoch auch, regelmäßig in der Heimat anzutreten, wenn alles so bliebe, wie es jetzt ist. Es muss ja nicht so sein wie beim großen Idol unserer Tenniszeit, dem Schweizer Roger Federer (37), der bei seinem Herzensturnier in Basel seit 1998 nur dreimal fehlte. Aber Alexander Zverev muss mehr tun als nur dann, wenn es ihm hilft, ein paar starke Matches und schön klingende Worte zu liefern, wenn er seinen Platz in den Herzen der Hamburger dauerhaft reservieren möchte.