Hamburg . Der Olympiasieger muss beim Weltcup am Wochenende überzeugen. Nur so hat er noch eine Chance, in den WM-Kader zu kommen.

Die Eingewöhnung bei der Tagesmutter lief bestens, Niel fühlt sich wohl in der neuen Umgebung. Für Eric Johannesen war das die beste Nachricht der vergangenen Wochen. Immerhin ist die Familie damit keine weitere Baustelle für den Ruder-Olympiasieger, der 2012 im Achter Gold für Deutschland holte. Sein ein Jahr alter Sohn und seine Partnerin Kaja, die in diesem Monat als Lehrerin am katholischen Gymnasium Sankt Ansgar in den Schuldienst zurückgekehrt ist, sind seine Quelle der Kraft, „ich bin sehr dankbar dafür, dass sie mir so sehr den Rücken stärken“, sagt er.

Kraftquellen hat Eric Johannesen in diesen Tagen ganz besonders nötig, schließlich steht der 30-Jährige vom RC Favorite Hammonia an diesem Wochenende am Scheideweg seiner Karriere. Beim Weltcup in Posen (Polen) muss er mit seinem Zweierpartner Paul Schröter (28/Berlin) überzeugen, er muss sich gegen das Duo Marc Leske (23/Moers) und Anton Braun (29/Berlin) deutlich behaupten, um noch eine Chance zu haben, für die WM in Linz (Österreich/25. August bis 1. September) nominiert zu werden. Gelingt das nicht, droht dem Hamburger Vorzeigeathleten das Karriereende. Denn wer in diesem Jahr nicht im WM-Kader auftaucht, wird aller Voraussicht nach auch in der Olympiasaison 2020 nicht berücksichtigt.

Es geht um alles oder nichts

Diese Drucksituation ist neu für Eric Johannesen, entsprechend hat sie an ihm genagt in den vergangenen Wochen. „Früher ging es um die Farbe der Medaille, die ich gewinnen würde. Jetzt geht es um alles oder nichts. Das ist eine Ausgangslage, die ich bislang noch nicht kannte“, sagt der gebürtige Oberhausener. Um sich mental für diese Herausforderung zu wappnen, hat er viel mit der Psychologin und Mentaltrainerin Annelen Collatz gearbeitet, die seit 2012 für den Deutschen Ruderverband (DRV) Athleten betreut und Johannesen seitdem kennt.

„Es hat mir sehr geholfen, in dieser Situation einen Blick von außen zuzulassen“, sagt er. Es sei wichtig für ihn gewesen, die negativen Gedanken, die Ängste und Sorgen entstehen ließen, zuzulassen und sich aktiv mit ihnen auseinanderzusetzen. Sich das Worst-Case-Szenario auszumalen und zu verstehen, dass ein Scheitern weder das Ende des Lebens bedeuten noch darin resultieren würde, dass er nichts mehr wert sei, habe zu mehr Gelassenheit geführt. Und es stimmt ja: Als studierter Wirtschaftsingenieur mit dualer Ausbildung und Berufserfahrung beim Schiffsversicherungsmakler Georg Duncker wäre das Loch, in das Eric Johannesen nach der Leistungssportkarriere fallen würde, kein tiefes.

Johannesen und Schröter gelten als Außenseiter

Trotzdem wird er alles in seiner Macht Stehende tun, um diesen Moment hinauszuzögern. Im Training waren die Leistungen in den vergangenen Wochen deutlich stabiler, „wir müssen das jetzt nur ins Rennen übertragen, dann sehe ich gute Chancen, dass wir Leske/Braun schlagen können“, sagt er. Intern allerdings gelten Paul Schröter und er als klare Außenseiter.

Uwe Bender, sportlicher Leiter für den Riemenbereich am Stützpunkt Dortmund, sagt: „Eric ist aktuell noch immer weit entfernt von der Leistungsfähigkeit, die ihn in den Olympiazyklen vor London und Rio ausgezeichnet hat. Seine Physis war damals ein wahnsinniges Pfund, jetzt liegt er unter dem Durchschnitt des Teams, und der Wettbewerb ist gnadenlos.“ Man werde zwar die Ergebnisse von Posen abwarten und bewerten, „aber auch seine Leistungen im Wettkampf waren bislang nicht gut“. Bender glaubt zudem, dass sich Johannesen mit dem Vorhaben, 2020 gemeinsam mit seinem im Achter gesetzten Bruder Torben (24) Olympiagold zu holen, zu viel Druck gemacht habe.

Worin sein Leistungsloch begründet liegt, kann Eric Johannesen sich selbst nicht schlüssig erklären. Er vermutet eine Mischung aus psychischem Druck und fehlendem Selbstbewusstsein, nachdem er schon im vergangenen Jahr aus dem A-Kader ausgebootet und für EM und WM nur als Ersatzmann nominiert worden war. „Das ganze Hickhack, sich ständig neu beweisen zu müssen, ist sicherlich nicht förderlich für die Leistung“, sagt er. Welche Rolle die Sportpause gespielt hat, die er nach dem Silbergewinn bei Olympia in Rio 2016 in der Saison 2017 eingelegt hatte, darüber möchte er nicht spekulieren.

2018 spürte Johannesen körperliche Schwächen

„Geholfen hat das sicherlich nicht, aber bei ihm kommen mit der Geburt seines Sohnes und der Fokussierung auf den beruflichen Werdegang mehrere Faktoren zusammen“, sagt Uwe Bender. „Ich stehe zu der Entscheidung, für den Kopf und die berufliche Entwicklung habe ich die Pause gebraucht“, sagt Eric Johannesen. Nachdem er 2018 tatsächlich körperliche Schwächen gespürt hatte, sei er in diesem Jahr ohne Probleme durch die harten Vorbereitungsmonate gekommen. „Körperlich fühle ich mich gut. Aber es ist immer schwer, nach einer langen Pause in ein so starkes, leistungswilliges Team zurückzukommen“, sagt er.

Den Willen, es zu schaffen, spricht ihm niemand ab. Auf Dauer will Eric Johannesen allerdings nicht in Ungewissheit leben. Sollte es im Zweier nicht reichen, wird er weder auf den Vierer spekulieren noch zurück in den Skullerbereich wechseln, aus dem er 2010 kam. „Dazu bin ich zu lange raus und nicht mehr flexibel genug. Auf dem dort geforderten Leistungsniveau bin ich nicht, so ehrlich muss ich sein“, sagt er. Und so bleibt die Aussicht, an diesem Wochenende alles zu geben, was er kann, „damit ich mir nichts vorzuwerfen habe“. Und wenn es dann nicht reichen sollte, dann wird es die Familie sein, die ihn auffängt.