Hamburg. In Atlantic City treffen die beiden besten Boxerinnen der Welt aufeinander. Herausforderin ist Christina Hammer aus Dortmund.

Zehnmal zwei Minuten trennen Christina Hammer davon, ein Weltstar zu werden. Zehnmal zwei Minuten – sollte er über die volle Distanz gehen, der Kampf ihres Lebens. Aber nicht in Frankfurt, Berlin oder Leipzig, sondern in Atlantic City, der schillernden US-Spielerstadt, die in den Boomzeiten des Sports neben Las Vegas zu den Box-Hochburgen der Boxwelt zählte. In der Nacht zum Sonntag (3 Uhr/DAZN) treffen in der berühmten Boardwalk Hall die zweifache Olympiasiegerin Claressa Shields (24) aus Flint (US-Bundesstaat Michigan) und ihre Herausforderin, die fünffache Weltmeisterin Christina Hammer (28) aus Deutschland, aufeinander.

Sie ist seit fast neun Jahren WBO-Weltmeisterin, hat bislang alle ihre gesamten 24 Profikämpfe gewonnen. Viel mehr an Erfolg geht fast nicht. Ihr Problem: Hierzulande nimmt kaum noch jemand Notiz vom Frauenboxen. Die Zeiten, als der Hamburger Universum-Stall mit seiner Protagonistin Regina Halmich in den ersten Jahren dieses Jahrtausends im ZDF bis zu acht Millionen Fans vor die Bildschirme lockte, sind lange vorbei. Nicht dass es an erfolgreichen Sportlerinnen mangelt; mit Hammer und Tina Rupprecht (26/Augsburg) im Minimumgewicht (bis 47,6 kg) gibt es zwei Weltmeisterinnen.

Schritt ins Ausland nötig

Die Berlinerin Nina Meinke (26) ist Europameisterin im Federgewicht (bis 57,2 kg), die Hamburgerin Susi Kentikian (31), lange Weltmeisterin im Fliegengewicht (bis 50,8 kg), wartet seit fast drei Jahren auf einen lukrativen letzten Kampf. Aber es gibt keinen TV-Sender, der die starken Ladies zeigt, geschweige denn finanziert.

Wer also große Kämpfe will, muss den Schritt ins Ausland wagen. International hat das Frauenboxen seit der Aufnahme ins olympische Programm bei den Sommerspielen 2012 in London einen Boom erlebt. Mit Claressa Shields, die als einzige Boxerin in London und Rio de Janeiro Gold gewann und dann Profi wurde, gibt es einen Superstar in den USA, aber auch die Irin Katie Taylor (32) als Dreifach-Championesse im Leichtgewicht (bis 61,2 kg), die Mexikanerin Mariana Juarez (39) als WBC-Weltmeisterin im Bantamgewicht (bis 53,5 kg) und vor allem Cecilia Braekhus (37) sind Stars. Die Norwegerin, die im Weltergewichtslimit (bis 66,7 kg) antritt, ist die erste und bislang einzige Kämpferin, die die WM-Titel der vier bedeutenden Weltverbände WBA, WBO, WBC und WIBF hält. Sie wird allerdings nicht die Einzige bleiben.

Internationale Beachtung

Auch die Siegerin des Duells Shields gegen Hammer darf alle vier Gürtel tragen. Entsprechend internationale Beachtung findet der Kampf, der sogar als historisch angesehen wird. „Es ist vielleicht der größte Kampf, den es im Frauenboxen jemals gab“, sagt Stephen Espinoza, Sportchef des US-Pay-TV-Giganten Showtime, der Shields’ Kämpfe exklusiv zeigt. „Vor allem aber ist es ein sportlich hochwertiger Kampf, der dem Männerboxen in nichts nachsteht.“

Aber natürlich werden auch die beiden besten Boxerinnen der Welt nicht annähernd die Börsen der Männer verdienen. „Das kann sich ändern. Deshalb müssen wir mehr auf uns aufmerksam machen“, sagt Hammer. Als Unterwäsche-Model hat die 1,80 Meter große Athletin das schon versucht. Geboren wurde sie in Kasachstan, kam als Baby mit den Eltern als Aussiedler nach Deutschland. In Hessen wuchs sie auf, machte als 15-Jährige erste Bekanntschaft mit dem Boxen – und war infiziert.

Lebenspartner ist auch Profisportler

Danach ging alles schnell: Amateurboxschule, schon im Juniorinnenalter machte sie bei den Profis mit. Mit 20 wurde sie Weltmeisterin. Seither hat Hammer den WBO-Titel nicht mehr abgegeben. Den Eltern war die Leidenschaft der Tochter als Berufsziel aber zu ungewiss. Also machte sie Abitur und studiert seither Sportwissenschaften. Ihr Lebenspartner, ein Handballspieler aus der zweiten Bundesliga, ist Profisportler wie sie. Mit ihm teilt sie die Begeisterung für Basketball – und für Schuhkäufe. „Ich habe ein eigenes Zimmer für Schuhe. Dort stehen rund 150 Paare.“ Belohnungen für besondere Anstrengungen, wie sie sagt.

Das wird in jedem Fall auch der Kampf gegen Shields werden. „Zu meiner Zeit waren die vier großen Weltverbände gar nicht im Frauenboxen involviert“, sagt Halmich. „Ich habe mir immer gewünscht, eine internationale Topgegnerin in meiner Gewichtsklasse zu haben.“ Die 42-Jährige arbeitet heute als TV-Moderatorin, Motivations- und Fitnesscoach. Ihre Prognose: „Für mich ist Claressa aufgrund ihrer technischen Vorteile und ihres aggressiven Stils 60:40-Favoritin, aber ich würde Christina niemals abschreiben.“

Sparring mit Männern

Hammer selbst, die seit Jahren mit Männern Sparring macht und sich mit ihren Trainern Dimitri Kirnos und Nick Morsink in Österreich vorbereitete, glaubt, den Schlüssel zum Sieg in Shields’ Defensive gefunden zu haben. „Sie geht viel nach vorn, ist dabei aber offen. Ich muss immer in Bewegung sein und aus der Distanz mit dem Jab attackieren, dann werde ich siegen.“ Zumindest die Atmosphäre kennt sie. Im Juni vergangenen Jahres boxte die Deutsche in den USA im Rahmenprogramm eines Shields-Kampfes – und gewann.

Unabhängig vom Ergebnis ist ein Rückkampf mit Shields geplant. „Ich mag keine Zufälle, habe genau im Kopf, was ich will“, sagt Hammer. „Die einzigen Limits sind die, die man sich selbst setzt. Ich setze mir keine, meine Zeit kommt jetzt.“