Hamburg. Der Hamburger Weltklasseschwimmer denkt über das Ende seiner Karriere nach, will sich aber nächste Woche für Olympia qualifizieren.

Wie er dasitzt, die kurzen Ärmel des schwarzen T-Shirts hochgekrempelt zum Muskelshirt, was die kräftigen Oberarme vorteilhaft zum Vorschein bringt, den Sommertag genießend die Sonnenbrille lässig in die blonden Hare gesteckt, strahlt Steffen Deibler eine unverschämte Ruhe und Gelassenheit aus. Nichts ist zu spüren von Anspannung oder gar Hektik, und das ist deshalb bemerkenswert, weil für ihn am Donnerstag und Freitag der nächsten Woche in Berlin die wichtigsten Wettkämpfe der Saison anstehen.

Deibler, 28 Jahre alt, ist einer der besten Schwimmer der Welt. Über 50 Meter Schmetterling hält er den Kurzbahnweltrekord, über die doppelte Distanz wurde er bei den Olympischen Spielen 2012 in London und ein Jahr später bei den Weltmeisterschaften in Shanghai Vierter. Im Spitzensport aber zählt nur das Hier und Jetzt. Und zur Qualifikation für die Sommerspiele im August in Rio, es wären seine dritten, fehlen ihm noch sieben Hundertstelsekunden zur Jahresbestzeit des Konkurrenten Philip Heintz. Die muss er in zehn Tagen liefern. 51,84 Sekunden werden von ihm gefordert – und dass bei den German Open über seine Spezialstrecke niemand schneller schwimmt als der 46-malige deutsche Meister. Deibler sagt: „Ich bin bereit, ich bin in Form. Wenn ich gesund bleibe, schaffe ich das.“ Als dieser Leistungsnachweis das erste Mal von ihm gefordert war, bei den deutschen Meisterschaften Anfang Mai ebenfalls in Berlin, stand nicht Deibler, sondern ein Häufchen Elend auf dem Startblock. Geschwächt von einem Magen-Darm-Virus verfehlte er im Endlauf die Olympianorm – den Titel über 100 Meter Schmetterling gewann er dank großer Willenskraft mit dem letzten Armschlag dennoch.

Seit er wieder fit ist, hat er auch die Zeiten geschwommen, die er sich für diesen Zeitpunkt der Olympiavorbereitung vorgenommen hatte. Zuletzt bei der stark besetzten Mare-Nostrum-Tour in Frankreich und Spanien kraulte und schmetterte er auf allen drei Wettkampfstationen auf einem konstanten Niveau, das ihn selbst überraschte.

Dieses Jahr ist für Steffen Deibler ohnehin ein besonderes. Im Frühjahr schloss er an der Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) am Berliner Tor sein Studium der Umwelttechnik ab. Für seine Bachelorarbeit über ökonomischen und ökologischen Nutzen einer Biogasanlage erhielt er die Note 1,3. Spätestens in diesem Moment wurde ihm wohl bewusst, dass das Leben für ihn noch viele Herausforderungen bereithält, dass Schwimmen ihn zwar weiter fasziniert, dass sich aber trotzdem irgendetwas ändern muss.

„Ich wusste schon im September, was ich die nächsten elf Monate tun werde, wo ich wann sein werde, wie mein Tagesablauf das nächste Jahr über aussieht. Mein Leben war durchgeplant, für Spontaneität kaum Platz. Einfach mal so zum Zelten an die Ostsee fahren, das war nicht möglich“, sagt Deibler. Das sei der Preis gewesen, den der Leistungssport von ihm gefordert hat, den er auch gern zahlte, weil ihm das Schwimmen viel zurückgab. Nicht in erster Linie Ruhm, „ich will kein A-Promi sein“, Ehre und Geld, das am allerwenigsten, „ich habe ein auskömmliches Einkommen“. Der Spaß war es, der ihn nun schon mehr als 15 Jahre im Wasser hielt. „Mich muss auch heute niemand zum Training prügeln, ich habe noch immer große Lust drauf“, sagt er.

Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen hat er bislang nicht gezogen. Es sei auch jetzt nicht der richtige Augenblick, in dem seine Konzentration der Olympiaqualifikation gilt, weitgehende Entscheidungen zu treffen. Sein jüngerer Bruder Markus (26) hatte vor anderthalb Jahren seine Karriere beendet, nachdem er gerade Weltmeister und Weltrekordler geworden war.

Sportstudium, Triathlon – für Deibler kommt vieles infrage

Markus Deibler machte sich danach als Eisverkäufer selbstständig, besitzt heute in Hamburg zwei Cafés (Luicella’s). Die Geschäfte laufen hervorragend. Steffen Deibler besucht ihn regelmäßig, auch weil er sich gern mal durch das extravagante Sortiment nascht. Zwölf Kugeln sind sein Rekord. Dem Mut seines Bruders als Existenzgründer zollt er Respekt, er hingegen sieht seine Zukunft weiter im Sport – auch wenn er oft die Wertschätzung der Gesellschaft vermisst. Dass für viele nur Medaillen zählen, kaum einer den Aufwand sieht, der nötig ist, allein um bei Olympia nur dabei zu sein, stimmt ihn nachdenklich. Da fehle in der öffentlichen Wahrnehmung die richtige Justierung.

Was nun? „Vielleicht mache ich nächste Woche nach Berlin Schluss, wenn ich mich nicht für Rio qualifiziere, vielleicht nach Rio, vielleicht mache ich eine Weltreise, womöglich schwimme ich weiter. Dann aber nehme ich mir mehr Freiheiten, presse mich nicht mehr in ein derart enges, streng durchgetaktetes Korsett. Ich würde auch weit weniger Zeit im Wasser verbringen, würde versuchen, mich anders in Form zu bringen.“ Deibler will das keinesfalls als Kritik an seiner Trainerin Petra Wolfram verstehen, im Gegenteil: „Wir arbeiten seit Jahren hervorragend zusammen, wir haben alle Pläne miteinander abgestimmt, wir ziehen das jetzt auch wie besprochen durch. Und wir waren ja auch all die Jahre erfolgreich.“

Etwas Neues also. Ein anderer Sport etwa. Triathlon? Schwimmen und Radfahren wären unproblematisch, sagt Deibler, aber Laufen? „Müsste ich dann lernen.“ Mannschaftssport, Football eventuell, käme für ihn trotz seiner kräftigen Konstitution nicht infrage. „Für das, was ich an Leistung und Aufwand einbringe, will ich auch den Ertrag sehen.“ Von anderen abhängig zu sein, schreckt ihn wie schwitzende Körper. „Beim Schwimmen ist alles sauber getrennt. Ich bin kein Typ für Zweikämpfe.“ Schon „das angeblich körperlose“ Basketball missfalle ihm.

Eines steht für ihn fest. Treibt er weiter Sport, will er konkurrenzfähig bleiben. Sport ohne Ehrgeiz, das wäre nichts für ihn. Ein zweites Studium an der Sporthochschule Köln zieht er ebenfalls in Betracht – wie vieles andere auch. „Zum Glück stehe ich nicht unter Druck, mich schnell entscheiden zu müssen. Ich freue mich auf alles, was jetzt kommt. Ich bin richtig neugierig darauf.“ Berlin, Rio sind Nebenschauplätze in seinem Leben geworden – sie haben für ihn aber nichts an ihrer ursprünglichen Bedeutung verloren. Steffen Deibler ist mit sich im Reinen.