Ratzeburg. Seit Sonntag bereitet sich das Team in Ratzeburg auf die Ruder-WM vor. Ein Jahr vor Olympia wächst der Druck auf den Titelverteidiger.

Beim Studium seines Kaders ist Ralf Holtmeyer neulich wieder aufgefallen, wie die Zeit doch vergangen ist. „Da waren 94er-Jahrgänge dabei“, sagt der Ruder-Bundestrainer kopfschüttelnd. Und dann habe er nachgerechnet, wie viel Jahre zwischen ihm und den jüngsten Athleten liegen. 38 sind es inzwischen. Als Holtmeyer 1988 in Seoul erstmals den Deutschlandachter zur olympischen Goldmedaille führte, war er selbst 32, neun Jahre jünger als Manfred Klein, der damals sein Steuermann war.

Gelassener sei er geworden, erzählen die, die Holtmeyer von früher kennen. Er selbst sagt: „Es ist ganz normal, dass sich mit zunehmendem Altersabstand auch das Verhältnis zu den Athleten ändert.“ Und er habe auch immer versucht, das Trainingsprogramm nicht stumpf durchzuziehen, sondern an die Bedürfnisse der jeweiligen Mannschaft anzupassen. Seinen Prinzipien aber sei er immer treu geblieben.

Das oberste ist, dass bei der Besetzung des Achters die Leistung zählt – und nicht das Geleistete. Auch deshalb sind von den acht Ruderern, die 2012 auf dem Dorney Lake Olympiasieger wurden, nur noch drei übrig geblieben, Steuermann Martin Sauer nicht eingerechnet. Und wenn nichts Ungewöhnliches passiert, dann wird die Mannschaft, die sich seit Sonntag beim zweiwöchigen Trainingslager in Ratzeburg auf die Weltmeisterschaften auf dem Lac d’Aiguebelette in Frankreich (30. August bis 6. September) vorbereitet, auch die sein, die im kommenden Jahr in Rio den Titel verteidigen soll.

Holtmeyer hat die Spiele „schon seit zwei, drei Jahren im Kopf“. Diese vorolympische Saison sei die letzte, in der er noch etwas ausprobieren könne: einen neuen Trainingslagerstandort (Völkermarkt in Österreich), neue Trainingsansätze, auch neues Personal. Im Olympiajahr selbst wird es wohl keine großen Umbesetzungen mehr geben. Allenfalls Andreas Kuffner, der Zweierpartner von Eric Johannesen vom RC Bergedorf, kann sich nach einer Erkrankung noch seinen Rollsitz zurückerobern. Holtmeyer hat den Berliner auf der Liste. „Aber auch er muss kämpfen.“

Erst recht, wenn die WM ein Erfolg wird. Der Deutschlandachter tritt nicht unbedingt als Favorit dort an. Seit dem EM-Sieg Ende Mai in Posen gab es drei Niederlagen gegen die Briten, je eine knappe bei den Weltcups in Varese und Luzern, dazwischen eine empfindliche bei der Henley-Royal-Regatta.

Das unterscheidet die Situation grundlegend von der vor London 2012. Damals krönte der Achter eine Serie von 35 Regatten und vier Jahren ohne Niederlage mit dem Olympiasieg. „Dieser Nimbus hatte sich in den Köpfen der Athleten festgesetzt“, sagt Holtmeyer, „sie hat ihnen das Selbstvertrauen gegeben, auch kritische Situationen zu meistern.“

Was diese Qualität betrifft, hat der 2015er-Jahrgang wohl noch etwas Nachholbedarf. Aber dass sich sein Achter, nur eine Woche nachdem er in Henley von den Briten um fast drei Längen abgehängt wurde, in Luzern bis auf acht Hundertstelsekunden an das Weltmeisterboot herangepirscht hat, das habe ihm schon imponiert. „Wir haben das Niveau, uns auf Augenhöhe mit den Briten zu bewegen“, sagt der Hamburger Bugmann Maximilian Munski, „und wir haben auch den Anspruch, die WM zu gewinnen.“

Rivale Großbritannien holt sich in Deutschland den letzten Schliff

Munski, 27, ist einer der Neuen im Achter. Schon 2013 gehörte er zur Besatzung, im vergangenen Jahr musste er mit dem Vierer vorliebnehmen. Holtmeyer schätzt an dem Pädagogikstudenten, „dass er ein mannschaftsdienlicher Typ ist, der auch auf die Gruppendynamik außerhalb des Boots achtet“. Aber auch ihm hat er in den letzten Zügen vor Rio Hausaufgaben aufgegeben: „Ich wünsche mir, dass er körperlich noch ein bisschen zulegt.“

Es gilt den Aufwand weiter zu erhöhen im Fernduell mit den Briten. Dass sie im Hinblick auf Rio ihre Energie im Riemenbereich voll auf das Großboot konzentrieren, sei der entscheidende Unterschied zur Situation vor London. Auch die Nationalmannschaft des Weltmeisters hat gerade ihr Trainingslager bezogen, in Breisach am Rhein. Dort holte sich der Deutschlandachter 2012 den letzten Schliff vor Olympia. Nächstes Jahr wird das kaum möglich sein – die Briten haben bereits die erste Julihälfte reserviert.