Hamburg. Die Begegnung zwischen dem deutschen Weitspringer Luz Long und dem US-amerikanischen Superstar Jesse Owens hat Sportgeschichte geschrieben.

Es ist das Sportbild des 20. Jahrhunderts, ein Foto, das viel über Fairness, Respekt und die völkerverbindende Kraft des Sports aussagt. Ein weißer und ein schwarzer Athlet liegen nebeneinander auf dem Rasen und unterhalten sich freundschaftlich. Was heute selbstverständlich sein sollte, war beim Entstehen der Aufnahme im Sinne der damals in Deutschland herrschenden menschenverachtenden Ideologie alles andere als politisch korrekt – und damit auch persönlich riskant.

Der deutsche Weitspringer Luz Long und der US-amerikanische Leichtathletik-Star Jesse Owens sind bei den Olympischen Sommerspielen 1936 in Berlin, die von Nazis für ihre Propagandazwecke schändlich missbraucht werden, Konkurrenten um die Goldmedaille. Doch beide freunden sich während des Wettkampfes an, geben sich Tipps, und am Ende verlassen sie Arm in Arm den Innenraum des Stadions, was später Rudolf Heß, den Stellvertreter Adolf Hitlers, veranlasst, Long schriftlich zu rügen: „Umarmen Sie nie wieder einen Neger.“

„Luz Long, ein Held in der Nazi-Zeit“ ist am Sonntagabend um 23.30 Uhr im NDR-Fernsehen der Titel einer „Sportclub-Story“, die von dieser damals ungewöhnlichen Beziehung berichtet. Grundlage des Films ist das jüngst im Hildesheimer Arete Verlag erschienene Buch von Longs Sohn Kai-Heinrich, geboren am 13. November 1941 in Hamburg, der die Karriere seines Vaters auf 272 Seiten akribisch aufarbeitet, mit allem ihm zugänglichen öffentlichen und privaten Materialen. Entstanden ist eine sportpolitisch hoch interessante Dokumentation über das Lebens eines Spitzensportlers in einem totalitären Regime. Der Olympiazweite Luz Long wurde sechsmal deutscher Meister, sprang 1937 mit 7,90 Meter Europarekord, damals Weltjahresbestleistung.

Kai-Heinrich Long enthält sich bei seiner Erzählung der Familiengeschichte jeglicher Bewertung, er stellt Briefe, Zeitungsausschnitte, Artikel und Funde aus Archiven nur mit verbindenden Sätzen nebeneinander. „Mein Antrieb war es, die Deutungshoheit über das Leben meines Vaters wieder zu erlangen“, sagt er. Owens Begegnung mit Luz Long, beide sollten sich nach den Spielen 1936 nie wieder sehen, waren in den Jahrzehnten danach immer wieder nachgestellt worden. Zuletzt trafen sich Julia-Vanessa Long und Stuart Rankin, die Enkel der beiden Athleten, 2012 in München. Rankin schrieb auch das Vorwort des Buches.

Luz Long, am 27. April in Leipzig geboren, ist kein Widerstandskämpfer. Er tritt in den NSD Studentenbund ein, 1938 in die SA, wird als „Rottenführer“ bezeichnet, am 1. April 1940 wird er Mitglied der NSDAP. Beim Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich unterschreibt er 1938 wie andere Spitzensportler ein Grußwort. In seinen Artikeln benutzt er wiederholt die Unworte der Nazis, wobei nicht auszuschließen ist, dass sie ihm reinredigiert werden. In Briefen an seine Eltern klingen seine Aussagen differenzierter. Der promovierte Jurist heiratet am 4. Januar in Hamburg Gisela Behrens. Am Arbeitsgericht in Barmbek macht er drei Monate später sein Examen zum „kriegsbedingten Notassessor“. Kurz danach wird er zur Wehrmacht eingezogen. Am 14. Juli 1943 stirbt er im Alter von 30 Jahren auf Sizilien. Er verblutet nach einer Schusswunde in den Unterschenkel. Seine Kameraden lassen ihn zurück, weil sie glauben, die anrückenden Amerikaner werden dem leicht Verletzten helfen. Die Hilfe kommt zu spät.

Jesse Owens, der 1936 in Berlin vier Goldmedaillen gewinnt, hat später über Luz Long geschrieben: „Es brauchte sehr viel Mut, um sich vor den Augen Hitlers mit mir anzufreunden. Man könnte alle Medaillen und Pokale, die ich habe, einschmelzen, aber sie könnten die 24-Karat-Freundschaft die ich in diesem Moment für Luz empfand, kein bisschen goldener machen. Hitler muss wohl wahnsinnig geworden sein, als er uns umarmen sah.“

Eine Episode aus dem Treffen der beiden ist bis heute aber nie aufgeklärt worden. Luz Long, ein Gentleman und vom Gedanken des Fairplays seine ganze Karriere lang beseelt, soll Owens nach zwei missglückten Versuchen in der Weitsprung-Qualifkation den Ratschlag gegeben haben, seinen Anlauf zu verändern. Luz Long erwähnt das in seinem Artikel in der „Neuen Leipziger Zeitung“ vom 11. August 1936 („Mein Kampf mit Owens“) nicht. Nach seinen Schilderungen hat Owens bereits im ersten Versuch mit 7,87 Meter die erforderliche Weite vorgelegt. 7,15 Meter werden für die Qualifikation verlangt. Vielmehr bedarf Longs Mannschaftskamerad Wilhelm Leichum, der am Ende Vierter wird, seine Unterstützung. Der ist zweimal übergetreten, und Long rät ihm, nicht zu viel zu riskieren, sondern auf einen sicheren Absprung weit vor dem Balken zu setzen. Leichum hört auf ihn und erreicht mit 7,52 Meter den Endkampf. Dort kommt Long mit 7,84 Meter bis auf drei Zentimeter auf den führenden Owens heran, der dann im letzten Versuch mit 8,06 Meter keine Zweifel an seiner Überlegenheit aufkommen lässt. Zum angeblichen Tipp Longs sagt er später: „Das sind Geschichten, die die Leute hören wollen.“