Hamburg, 30. April Wieder ist ein Amerikaner der Grenze der menschlichen Leistungsfähigkeit ein wenig nähergerückt. In Stanford (Kalifornien) verbesserte Bob Gutowski, dessen Vorfahren aus dem Baltikum stammen, den Stabhochsprung- Weltrekord seines Landsmannes Cornelius Warmerdam von 4,768 auf 4,781 m. Dieser Zweitälteste aller Leichtathletikrekorde hielt seit 15 Jahren jedem Ansturm stand, bis auch er nun gebrochen wurde.

Noch strahlender aber und ehrwürdiger ist dadurch die Patina geworden, die den Veteranen der Weltrekorde umgibt: Am 25. Mai 1935 sprang leite Owens, der überragende Atnlet der Berliner Olympischen Spiele im Jahre danach, 8,1$ m weit.

Jesse Owens hat inzwischen alle seine Laufweltrekorde verloren, der im Weitsprung aber steht nach 22 Jahren noch wie ein Fels im Meer. Trotzdem darf man mit etwas Optimismus erwarten, daß in diesem Sommer auch Jesse Owens' Name aus der Weltrekordliste ausgelöscht wird.

Das Stabhoch-Quartett der'lJSA

Der Stabhochsprung ist eine der schönsten, aber auch schwierigsten Übungen der Leichtathletik. Wie in keiner anderen muß sich beim Athleten Mut zu Kraft und Technik gesellen. Fast fünf Meter stürzt er nach dem Überqueren der Latte in die Sandgrube hinab.

Ex-Weltrekordmann Warmerdam hatte das Pech, nie an Olympischen Spielen teilnehmen zu können. Er stellte seinen Rekord 1942 auf. Und es ist die Tragik des zweifachen Olympiasiegers Bob Richards, daß ihm nun sein 22jähriger Landsmann Bob Gutowski den erstrebten Rekord vorgesprungen hat. ,

Mit Gutowski (4,781 m). Richards (4,699), Don Bragg (4,667) und Ron Morris (4,635) besitzen die Amerikaner ein Quartett von Stabhochspringern, aus dem einer als erster Mensch auch 16 Fuß, das sind 4,877 m, meistern sollte.

Zu Ehren des Ausnahmespringers Cornelius Warmerdam sei gesagt, daß seine Nachfolger ihm gegenüber einen Vorteil besitzen. Sie springen .mit .modernen, leichten Glasfiber- oder Metallstangen, deren Elastizität sogar dem Gewicht der Springer angepaßt werden kann. Warmerdam aber bediente sich noch, der alten, klassischen Bambusstange. Indianer oder Mulatte?

Das Stabhochspringen ist ein Reservoir der weißen Athleten, im Weitsprung hingegen dominieren die farbigen. Man sagt in den USA, die Sprungkraft des Indianers und Olympiasiegers von 1956, Gregory Bell, stelle selbst jene von Jesse Owens in den Schatten. Also erwartet man von i h m den neuen Weltrekord. Bell sprang 1956 schon 8,09 m weit und führt die Weltrangliste 1957 mit 7,96 m an. Wenn je-

Eigener Bericht

mand dem katzengewandten Sohn der Prärie das Konzept verderben kann, so ist dies der holländische Mulatte Henk Visser, der auf der Insel Curacao geboren wurde und im Vorjahr mit einer Weite von 7,98 m dem im Felde gefallenen Leipziger Luz Long den Europarekord entriß.

Im Hochsprung und Dreisprung hat sich 1957 noch nicht allzuviel getan. Zwar haben schon ein Dutzend Amerikaner 2 m übersprungen, in Führung liegt jedoch der australische Olympiazweite Charles Porter mit einer Höhe von 2,089 m. Olympiasieger und Weltrekordmann Charles Dumas, der "Schwarze Panter", hat von seiner Universität Startverbot, weil seine StucVrenleistungen hinter jenen im "Hochsprung zurückgeblieben sind. Dreispringer Nr. 1 ist der Amerikaner Bill S h a r p e mit allerdings wenig bedeutsamen 15,74 m. Duell der "Kleiderschränke"

Zwei der drei Wurfübungen weisen 1957 brave, aber nicht überragende Spitzenleistungen auf. Olympiasieger AI Oerter (USA) warf den Diskus auf 55,10 m, und im Speerwerfen ist Viktor Cibulenko, Rußlands ewiger "zweiter Mann", bisher mit 74,68 m der Jahresbeste. Hier machen zwei Achtzehnjährige, der Amerikaner Bob Voiles (72,49 m) und der Engländer Nicolas Head (72,21 m), von sich reden. Besser sind da schon die 64,36 m, die der Russe Feodor Tkatschew im Hammerwurf vorgelegt hat.

Die Sensation der noch jungen Saison aber ist das sich ankündende Weltrekordduell der beiden amerikanischen "Kleiderschränke" Parry O'Brien und Bill Nieder im Kugelstoßen. Parry, der sicherste Olympiasieger von Melbourne, steuert nicht mehr allein von seinen 19,25 m der 20-m- Grenze zu.

Was 1956 dem Negerriesen Kent Bantum, von seinen Freunden King-Kong genannt, mißglückte, ist dem weißen Modellathleten Bill Nieder in diesem Jahre auf Anhieb gelungen: er hat Anschluß an den überragendsten Kugelstoßer seiner Zeit gefunden.

Parry O'Brien, Amerikaner irischer Abstammung, legte bei einer "Good-wlll- Reise" auf den Philippinen 18,95 m vor. Zurück in den USA verlor er dann seinen ersten Zweikampf mit Nieder, der auf 18,94 kam. Leider wurden beide Leistungen nur bei Schaukämpfen erzielt. Das ändert

aber nichts an der Gefährdung des Weltrekords.

Gleichwertige Gegner treiben sich immer empor. Dabei werden Grenzen gesprengt, die man bisher für unüberbietbar hielt. Vielleicht erleben wir das in diesem Jahr im Kugelstoßen und im Weitsprung nach dem Stabhochsprung erneut.