Vor 75 Jahren begannen die Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Auch 42 Hamburger Athleten nahmen teil, darunter einige stramme Nazis.

Was bis heute in Hamburg von Olympia 1936 übrig geblieben ist, kann man in der Straße Birkenhain in Alsterdorf bestaunen. Vor der Nummer 13 steht eine mächtige Eiche, die das Wohnhaus überragt. Eingepflanzt wurde sie im Herbst vor 75 Jahren von Karl Hein, der in Berlin das Hammerwerfen gewonnen hatte. Jeder Olympiasieger erhielt einen Eichensetzling.

Auch in der City, mitten im Kontorhausviertel, findet sich ein Verweis: An der Toreinfahrt des Altstädter Hofs zeigt ein Sandsteinrelief des Künstlers Richard Kuöhl einen Fackelläufer und die fünf farbigen olympischen Ringe. Sie erinnern Passanten an das Baujahr des Gebäudekomplexes.

Die XI. Olympischen Sommerspiele, die Adolf Hitler als Reichskanzler am 1. August 1936 in Berlin eröffnete, waren Spiele der Symbole und der Propaganda. Das größte Sportfest der Welt wurde für die Selbstdarstellung eines totalitären Regimes missbraucht. Nach dem Erlöschen der olympischen Flamme scherte sich Nazi-Deutschland nicht weiter um seine Versprechungen gegenüber dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) zur Einhaltung der Menschenrechte. Nur drei Jahre nach den Spielen, am 1. September 1939, fielen deutsche Soldaten in Polen ein und lösten den Zweiten Weltkrieg aus. Am Ende des Schreckens gab es 55 Millionen Tote zu beklagen, sechs Millionen Juden starben in Konzentrationslagern.

Davon ahnte 1936 noch niemand etwas. Mit 3961 Teilnehmern aus 49 Nationen, 3633 Männern und 328 Frauen, waren die Sommerspiele in Berlin die bis dahin größten. Erstmals wurden sie live im Rundfunk in 40 Länder übertragen. Auch das Fernsehen feierte seine bestaunte Premiere. Der weltweit erste Sender "Paul Nipkow" in Berlin - benannt nach dem Erfinder einer elektronischen Aufzeichnungsscheibe - produzierte mit einem Großaufgebot von Kameras täglich ein sechsstündiges Programm. Zwar besaß kaum jemand ein privates Empfangsgerät, aber 162 228 zahlende Besucher strömten in die extra für die Spiele errichteten "Fernsehstuben" in Berlin, Leipzig und Potsdam, um die bewegten Bilder von den Wettkämpfen zu sehen.

Jesse Owens, der sportliche Held dieser gigantischen Sportschau, gewann vier Goldmedaillen in der Leichtathletik, über 100 und 200 Meter, mit der 4x100-Meter-Staffel der USA und im Weitsprung vor seinem späteren deutschen Freund Luz Long. Die deutsche Mannschaft, Siegerin der inoffiziellen Nationenwertung, holte 89 Medaillen, davon 33 goldene.

Auch 42 Hamburger Sportler starteten 1936 für Deutschland, mit sechs Gold-, fünf Silber- und vier Bronzemedaillen kehrten sie heim. Während es aus den Hamburger Vorzeigesportarten Rudern nicht ein einziger Athlet und im Hockey nur HTHC-Torwart Rudolf "Tito" Warnholz in den Olympiakader schafften, stellte die Hansestadt das Gros der erfolgreichen Kanu-Mannschaft sowie die komplette Polo-Equipe. Mit Käte Sohnemann und Paula Pöhlsen glänzten zwei Turn-Deerns in der deutschen Gold-Riege. Und drei Hamburger zählten zum siegreichen und heftig umjubelten Handballkader, darunter Spielführer Hans Theilig.

Die Festschrift "Hanseaten im Wettstreit" jubelte damals: "Hamburgs Ruf als Sportstadt hat neuen Glanz bekommen. Unsere Kämpfer und Sieger von Kiel (wo die olympischen Segelwettbewerbe stattfanden, d. Red.) und Berlin haben eine große Tradition würdig verwaltet." Das gute Abschneiden der Hamburger Segler in Kiel sei "ein Beweis für die ausgezeichnete Schule, die unsere jungen Segler auf der Alster, dem tückischsten aller Segelreviere in Deutschland, durchzumachen haben".

Auch in Berlin waren die Hamburger Sportler bekannt. Den siegreichen Hammerwerfer Karl Hein ehrten 100 000 Zuschauer im Olympiastadion mit donnernden "Hummel, Hummel"-Rufen. "Da lief es mir eiskalt den Rücken herunter", erzählte Hein später, "es war eine großartige Atmosphäre." Er habe "jeden Moment genossen".

Den Zuschlag zur Ausrichtung der Spiele 1936 hatte am 13. Mai 1931 nicht Nazi-Deutschland, sondern noch die Weimarer Republik erhalten. Nach der Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 und vor allem nach dem Erlass der Nürnberger Rassengesetze im September 1935 mehrten sich die Aufrufe zum Boykott. Der Schriftsteller Heinrich Mann ("Der Untertan") warnte noch im Juni 1936 aus dem Pariser Exil: "Ein Regime, das sich stützt auf Zwangsarbeit und Massenversklavung, ein Regime, das den Krieg vorbereitet und nur durch verlogene Propaganda existiert, wie soll ein solches Regime den friedlichen Sport und freiheitlichen Sportler respektieren? Glauben Sie mir, diejenigen der internationalen Sportler, die nach Berlin gehen, werden dort nichts anderes sein als Gladiatoren, Gefangene und Spaßmacher eines Diktators, der sich bereits als Herr dieser Welt fühlt."

Stimmen wie diese wurden im Ausland allerdings gern überhört, nachdem sich das Nationale Olympische Komitee (NOK) der USA am 8. Dezember 1935 mit 58:55 gegen einen Boykott ausgesprochen hatte und sich in Spanien ein Bürgerkrieg anbahnte. NOK-Präsident Avery Brundage, später IOC-Präsident von 1952 bis 1972, hatte zielgerichtet auf dieses Ergebnis hingearbeitet. Er hegte zum Teil offen Sympathie für die Ideologie der Nazis, besonders für ihren Kampf gegen den Kommunismus. Ihr Feindbild war auch seines.

Nach dem Krieg begann auch unter Hamburger Olympioniken das große Verschweigen. Viele waren keinesfalls nur Mitläufer, sondern in das Naziregime tiefer verstrickt, als sie es sich eingestehen mochten. Das war hinderlich, wenn man im Nachkriegsdeutschland Karriere machen wollte.

Paul Busse, ehemaliger Fraktionsvorsitzender der SPD in der Hamburger Bürgerschaft und Chef der Hamburg-Messe, und seinem Bruder Peter ist es zu verdanken, dass einige dieser rührseligen Helden-Geschichten aufgearbeitet werden konnten. In Hamburg haben sich gerade mal der Eimsbütteler Turnverband (ETV), der FC St. Pauli und der HSV intensiv mit ihrer nicht so ruhmreichen Vergangenheit auseinandergesetzt. Anderen Klubs wie zum Beispiel der HT16 oder der TSG Bergedorf stünden ähnliche Debatten noch bevor, schätzen Hamburger Historiker nach ihrem jetzigen Kenntnisstand.

Die Busses haben sich in der Juli-Ausgabe der Zeitschrift "Leichtathletik Informationen" insbesondere mit der Vita von Gerhard Stöck beschäftigt, der 1936 mit 71,94 Metern den Speerwurf und Bronze im Kugelstoßen gewann. "Ein Vorzeigeathlet, aber kein Vorbild", überschrieben sie ihren Artikel. Stöck kam 1946 aus Berlin, trat in Hamburg in die regierende SPD ein und wechselte 1948 zum Hamburger SV. In der Administration stieg er schnell zum Leiter des Sportamtes auf. Von 1950 bis 1975 war er der höchste Beamte des Hamburger Sports, 1956 in Melbourne und 1960 in Rom führte er die deutschen Olympia-Teams als Chef de Mission an. Möglich wurde diese Karriere erst nach "Korrekturen" an seiner Vita.

In seinem Entnazifizierungs-Fragebogen von 1945 verschwieg er seinen Eintritt in die SA vom 5. Mai 1933, recherchierten die Busses. Stöck beschrieb sich als einen "Gegner des nationalsozialistischen Zwanges". Er habe sich nur "zum Ruhme des Vaterlandes und zur Ehre des Sports eingesetzt". Auch sein Eintritt in die NSDAP und die SA sei "erzwungen gewesen".

Die britische Militärregierung deutete die Fakten anders. Zur Reichtagswahl 1936 hatte Stöck alle Sportler aufgerufen, ihre "Stimme dem Führer zu geben". Nach seinem Siegeswurf in Berlin, so die Busses, "machte er demonstrativ in strammer Haltung in Richtung Führerloge den 'deutschen Gruß'." Mithilfe alter Verbindungen und internationaler Freunde gelang es Sturmbannführer Stöck schließlich, den Persilschein der Briten zu erlangen. Geholfen hatte ihm dabei etwa der ehemalige Zehnkampf-Weltrekordler Hans-Heinrich Sievert vom ETV, der Stöck von jeder Schuld freisprach. Auch Sievert, groß, blond, blauäugig, den die Nazis gern als Symbol der Herrenrasse feierten, war Mitglied der NSDAP und des NS-Rechtswahrerbundes. Seine Tochter erfuhr erst nach den jetzigen Veröffentlichungen davon. Der Gerhard-Stöck-Preis, den der Senat bis 2006 an erfolgreiche Hamburger Athleten verlieh, verschwand in den Archiven, als die Rugbyfrauen des FC St. Pauli ihn vor fünf Jahren zurückgaben. Trainer Jens Michau kannte Stöcks Rolle in Nazi-Deutschland aus den Recherchen zur braunen Vergangenheit seines Klubs.

Es gibt aber auch die anderen Geschichten. Von Hamburger Männern und Frauen nämlich, die eine NSDAP-Mitgliedschaft ablehnten und trotzdem bei Olympia antreten durften. Wie zum Beispiel Fritz Schilgen. Die Filmemacherin Leni Riefenstahl persönlich schlug ihn als Schlussläufer des Fackellaufs vor. Sie fand, Schilgens Körper bringe im Film "das Ideal des germanischen Athleten optimal zur Geltung".

Der Leichtathlet Schilgen, kein Mitglied der Olympiamannschaft, entzündete das olympische Feuer zu den Klängen von Beethovens "Freude schöner Götterfunken". In Hamburg engagierte er sich in Hamburg sportlich beim SC Victoria und im Hamburger Leichtathletikverband. Die Erinnerung an Olympia 1936 bewahrte er sich auf seine Weise. Er hatte den silbernen Griff der Fackel heimlich eingesteckt.