Hamburg. Deutschlands Herren sind derzeit so schwach wie seit 1985 nicht mehr. Am Rothenbaum zeigt sich auch der lokale Nachwuchs.

Michael Stich trägt eine Überzeugung in sich. „Ich glaube, dass wir in Deutschland den potenziellen Wimbledonsieger für 2020 haben. Wir müssen ihn nur finden“, sagt der Direktor des ATP-Turniers am Rothenbaum. Angesichts der erschreckenden Momentaufnahme im deutschen Herrentennis – in der vergangenen Woche stand erstmals seit Mai 1985 kein einheimischer Profi mehr unter den Top 40 der Weltrangliste – scheint diese Aussage gewagt. Die Hoffnungen ruhen aktuell auf dem Hamburger Alexander Zverev. Der 18-Jährige, Nummer 98 der Welt, gilt als kommender Top-Ten-Spieler, zahlte bei seinem Heimturnier am Dienstag allerdings in Form einer Dreisatzniederlage gegen Spaniens Altmeister Tommy Robredo, 33, Lehrgeld.

Wie aber werden in Hamburg Talente gesucht und gefördert? Um den Fans am Rothenbaum den Nachwuchs zu präsentieren, wird seit einigen Jahren im Rahmen des Turniers die Junior Trophy ausgetragen. In diesem Jahr spielen von diesem Donnerstag bis Sonnabend Valentin Günther (17, Bielefeld), Jochen Bertsch (17, Mannheim), Jannik Gieße (17, Mannheim), Robert Strombach (15, Berlin), Louis Weßels (16, Bielefeld), Pelle Boerma (18, Wahlstedt) sowie die Lokalmatadoren Lucas Hellfritsch (17, Pinneberg) und Jason Jeremy Hildebrandt, 15, vom Rahlstedter HTC vor.

Hildebrandt ist Mitglied im Landeskader des Hamburger Tennisverbands (HTV). Wer verstehen will, wie dort die Nachwuchsarbeit funktioniert, der muss mit Guido Fratzke reden. Der 45-Jährige ist seit 2010 als Landestrainer beim HTV angestellt. 53 Kinder und Jugendliche der Altersklassen U9 bis U18 gehen im Verbandszentrum in Horn durch seine Schule. „Wir sind nicht nur Tennistrainer, sondern wollen auch Lebenshilfe geben und ein Vertrauensverhältnis zwischen Athlet, dessen Eltern und dem Verband schaffen“, sagt Fratzke. Um diese Ziele zu erreichen, kann er sich auf ein funktionierendes Netzwerk verlassen. Mit Dirk Sperling, der sich hauptsächlich um den jüngsten Nachwuchs bis U12 kümmert, hat er einen festen Co-Trainer, dazu kommen Praktikanten, die im Training assistieren. Mit Marc Ben Halima und Ex-Weltklasse-Hürdensprinter Helge Schwarzer gibt es zwei feste Athletiktrainer. Physiotherapeuten und der Mentalcoach Christian Spreckels werden nach Bedarf hinzugezogen. Für die besten Talente ist diese Rundumbetreuung kostenfrei, die anderen müssen dafür zahlen. „Eltern von Tenniskindern sind finanziell schon recht belastet“, sagt Fratzke.

Um die körperliche Belastung der Nachwuchsspieler nicht ausufern zu lassen, helfen Fratzke und sein Team bei der Trainingssteuerung. Zwei- bis viermal pro Woche absolvieren die Talente nachmittags zwischen 15.30 und 20 Uhr ihr Stützpunkttraining, das in der Regel aus 90 Minuten Tennis und 60 Minuten Athletik besteht. Tennisasse, die die Eliteschule des Sports am Alten Teichweg besuchen, haben auch vormittags Training. Zusätzlich dazu arbeiten alle noch in ihren Heimatvereinen. Die Arbeit, die in den derzeit 91 im HTV ansässigen Clubs geleistet wird, hält Fratzke für unabdingbar. „Wir sprechen uns mit den Heimtrainern ab, damit die Spieler die vom Weltverband ITF empfohlene Richtlinie von 40 bis 100 Matches pro Jahr nicht überschreiten“, sagt er.

Im Hamburger Verband sind derzeit 11.454 Jugendliche in 91 Clubs gemeldet

Einmal im Jahr gibt es in Horn einen Sichtungstermin, zu dem alle Vereine ihre besten Spieler schicken. Dazu existieren in Harburg, Poppenbüttel, Eimsbüttel und Marienthal vier Stützpunkte, die Bezirkstraining anbieten. Die dort ansässigen Bezirkstrainer stellen ihre Talente ebenfalls im HTV-Zentrum vor. Dass es an Tennisbegeisterung in Hamburg nicht mangelt, zeigt die Mitgliederentwicklung. Gab es im Jahr 2002 noch 8363 Mitglieder bis 18 Jahre, so sind es 2015 bereits 11.454 Jugendliche unter insgesamt 34.937 registrierten Spielern, während die Zahl im Deutschen Tennis-Bund (DTB) rückläufig ist. Dort waren 2014 380.696 Jugendliche unter den 1.445.117 Mitgliedern, während 2013 noch 387.963 Menschen unter 18 und insgesamt 1.472.197 deutschlandweit Tennis im Verein spielten. Und in der Generation nach Zverev und der auf der WTA-Tour etablierten Carina Witthöft, 20, rücken mit Marvin Möller (U16), Lisa Matviyenko (U18) und Eva Lys (U14) vielversprechende Talente nach. „Wir sind ein kleiner Verband, aber zwei, drei bringen wir immer durch“, sagt Fratzke.

„Für die Arbeit der Landesleistungszentren sind wir sehr dankbar. Dort wird die Grundausbildung gemacht“, sagt DTB-Sportdirektor Klaus Eberhard. Drei Bundesstützpunkte betreibt der nationale Verband derzeit. In Hannover trainieren unter Nachwuchs-Bundestrainer Peter Pfannkoch die Junioren. In Stuttgart-Stammheim leitet Fedcupchefin Barbara Rittner die Damenelite an, und in Oberhaching bei München ist Daviscupchef Michael Kohlmann für die Herren zuständig. Ein vierter Standort für den weiblichen Nachwuchs ist in Kamen geplant.

Guido Fratzke, 45, ist seit 2010 Landestrainer in Hamburg. Zuvor arbeitete er als Bezirkscoach in Offenbach am Main
Guido Fratzke, 45, ist seit 2010 Landestrainer in Hamburg. Zuvor arbeitete er als Bezirkscoach in Offenbach am Main © Michael Rauhe

Fratzke hielte ein nationales Leistungszentrum, wie es in erfolgreichen Tennisnationen wie Frankreich oder Spanien betrieben und auch von ehemaligen Topspielern gefordert wird, für sinnvoll. Allerdings weiß auch er, dass sich in Deutschland viele Eltern schwer damit tun, ihren Nachwuchs loszulassen, außerdem sei das Konkurrenzdenken oftmals stärker ausgeprägt als das Gemeinschaftsgefühl. Eberhard hält den deutschen Weg, auf die duale Ausbildung zu setzen, für richtig. „Es stimmt, dass uns ein Top-Ten-Spieler fehlt, dafür sind wir in der Breite sehr gut aufgestellt. Dazu kommt: Wer bei uns den Weg auf die Profitour nicht schafft, fällt nicht ins Bodenlose. In anderen Nationen wird hingegen schon sehr früh alles auf Tennis gesetzt.“

Fratzke sagt: „Wir wollen, dass unsere Talente Spaß daran entwickeln, sich für ihre Karriere zu quälen, ohne Angst haben zu müssen, bei Misserfolg vor dem Nichts zu stehen. Ich sage jedem: Du bist freiwillig hier, das ist ein Privileg, das du schätzen musst.“