Baku. Die Hauptwettkampfstätte in Aserbaidschan ist nach dem Linienrichter benannt, der dem DFB 1966 den WM-Titel kostete. Ein Ortsbesuch.

Eine Statue vor dem Stadion, die Tofik Bachramow gewidmet ist? Nein, die gibt es nicht. Und überhaupt: Warum das Stadion der Republik in Aserbaidschans Hauptstadt Baku nach diesem Bachramow benannt ist, wissen sie auch nicht, die stets bemühten, aber bisweilen von den sonderbaren Anfragen der internationalen Medienvertreter überforderten Helfer, die bei den ersten Europaspielen der Sportgeschichte als blau gekleidetes Heer durch die Wettkampfstätten schwirren.

Cavid Mammadov bittet um Verzeihung für die Unwissenheit seiner Mitarbeiter. „Die Jugend des Landes interessiert sich nicht mehr für die alten Helden“, sagt der ebenfalls noch junge Mann, der im Tofik-Bachramow-Stadion für das Pressemanagement zuständig ist. Während der Europaspiele finden in der von deutschen Kriegsgefangenen erbauten, 1951 eröffneten und 2012 generalüberholten Arena die Wettkämpfe im Bogenschießen statt. Der Mixed-Wettbewerb am Mittwochnachmittag interessiert wenige Hundert Zuschauer, die sich auf den 31.000 Menschen fassenden Tribünen zu einem Pulk zusammengesetzt haben, um wenigstens etwas Stimmung zu verbreiten.

Deutschlands Medaillengewinner von Baku

Krönender Abschluss: Die Volleyballler bescherten Deutschland das 16. Gold
Krönender Abschluss: Die Volleyballler bescherten Deutschland das 16. Gold © Getty Images for BEGOC | Richard Heathcote
Silber ging noch einmal an die Judoka - dank des Frauen-Teams um die Hamburgerin Martyna Trajdos (2.v.l.)
Silber ging noch einmal an die Judoka - dank des Frauen-Teams um die Hamburgerin Martyna Trajdos (2.v.l.) © dpa | Robert Ghement
Paul Hentschel (M.) schwamm über 400 M Freistil zu Gold
Paul Hentschel (M.) schwamm über 400 M Freistil zu Gold © Witters
Monika Karsch schoss sich mit der Pistole aus 25 Metern zu Bronze
Monika Karsch schoss sich mit der Pistole aus 25 Metern zu Bronze © Witters
Schön synchron aus drei Metern zu Silber: Saskia Oettinghaus (l.) und Louisa Stawcynski
Schön synchron aus drei Metern zu Silber: Saskia Oettinghaus (l.) und Louisa Stawcynski © Witters
Die 16 Jahre alte Hamburgerin Maxine Wolters gewann Schwimm-Gold über 200 Meter Lagen
Die 16 Jahre alte Hamburgerin Maxine Wolters gewann Schwimm-Gold über 200 Meter Lagen © Getty Images for BEGOC | Robert Prezioso
Judoka Martyna Trajdos vom Eimsbüttler TV in Hamburg erkämpfte sich die Goldmedaille in der Gewichtsklasse bis 63 Kilogramm und darf bei der Abschlussfeier die deutsche Fahne tragen
Judoka Martyna Trajdos vom Eimsbüttler TV in Hamburg erkämpfte sich die Goldmedaille in der Gewichtsklasse bis 63 Kilogramm und darf bei der Abschlussfeier die deutsche Fahne tragen © AFP | JACK GUEZ
Christian Reitz (l.) holte sich beim Schießen mit Monika Karsch die Gold-Medaille. Oliver Geis holte Bronze (Schießen, Schnellfeuerpistole 25 m)
Christian Reitz (l.) holte sich beim Schießen mit Monika Karsch die Gold-Medaille. Oliver Geis holte Bronze (Schießen, Schnellfeuerpistole 25 m) © Getty Images for BEGOC | David Ramos
Bronze für Martin Gromowski (r.) und Kyrylo Sonn (Trampolin, Synchron)
Bronze für Martin Gromowski (r.) und Kyrylo Sonn (Trampolin, Synchron) © dpa | Bernd Thissen
Leonie Kullmann (l.) sicherte sich Silber im Schwimmen (200 m Freistil)
Leonie Kullmann (l.) sicherte sich Silber im Schwimmen (200 m Freistil) © dpa | Vassil Donev
Max Rendschmidt (l.) und Marcus Groß freuen sich über Silber im Kajak-Doppel über 1000 Meter
Max Rendschmidt (l.) und Marcus Groß freuen sich über Silber im Kajak-Doppel über 1000 Meter © Getty Images for BEGOC | Robert Prezioso
Laura Kelsch holte die Silber-Medaille über 50 Meter Brust
Laura Kelsch holte die Silber-Medaille über 50 Meter Brust © dpa | Robert Ghement
Silber für Schwimmerin Maxine Wolters (200m Rücken)
Silber für Schwimmerin Maxine Wolters (200m Rücken) © Getty Images for BEGOC | Harry Engels
Bronze im Synchronspringen: Frithjof Seidel (l.) und Nico Herzog
Bronze im Synchronspringen: Frithjof Seidel (l.) und Nico Herzog © Getty Images for BEGOC | Paul Gilham
Bronze für Schwimmer Marek Ulrich (r., 100 m Rücken)
Bronze für Schwimmer Marek Ulrich (r., 100 m Rücken) © dpa | Vassil Donev
Die 15 Jahre alte Frankfurterin Julia Mrozinski sicherte sich in überlegener Manier den Titel über 200 Meter Schmetterlin
Die 15 Jahre alte Frankfurterin Julia Mrozinski sicherte sich in überlegener Manier den Titel über 200 Meter Schmetterlin © dpa | Sergey Dolzhenko
Paul Hentschel holte Gold über 400 Meter Freistil
Paul Hentschel holte Gold über 400 Meter Freistil © dpa | Robert Ghement
Medaillenbank Sportschützen: Monika Karsch und Christian Reitz holten Gold im Mixed-Wettbewerb mit der Luftpistole
Medaillenbank Sportschützen: Monika Karsch und Christian Reitz holten Gold im Mixed-Wettbewerb mit der Luftpistole © dpa | Bernd Thissen
Völlig synchrones Duo: Louisa Stawczynski and Saskia Oettinghaus (Mitte) sicherten sich Gold vom 3-Meter-Brett. Auch einzeln zeigten sich die jungen Damen stark: Oettinghaus holte Bronze vom 3-Meter-Brett, Louisa Stawczynski Silber vom Einer
Völlig synchrones Duo: Louisa Stawczynski and Saskia Oettinghaus (Mitte) sicherten sich Gold vom 3-Meter-Brett. Auch einzeln zeigten sich die jungen Damen stark: Oettinghaus holte Bronze vom 3-Meter-Brett, Louisa Stawczynski Silber vom Einer © dpa | Srdjan Suki
Die frühere Weltmeisterin Karina Winter holte die Goldmedaille im Bogenschießen
Die frühere Weltmeisterin Karina Winter holte die Goldmedaille im Bogenschießen © dpa | Bernd Thissen
Dimitrij Ovtcharov wurde erster Europaspiele-Sieger im Tischtennis-Einzel
Dimitrij Ovtcharov wurde erster Europaspiele-Sieger im Tischtennis-Einzel © dpa | Bernd Thissen
Christian Reitz triumphierte mit der Schnellfeuerpistole
Christian Reitz triumphierte mit der Schnellfeuerpistole © dpa | Bernd Thissen
Silber am Boden! Fabian Hambüchen turnte sich im Einzel-Finale von sechsten auf den zweiten Platz vor
Silber am Boden! Fabian Hambüchen turnte sich im Einzel-Finale von sechsten auf den zweiten Platz vor © Getty Images for BEGOC | Matthias Hangst
Elena Wassen (r) holte Bronze vom Turm
Elena Wassen (r) holte Bronze vom Turm © dpa | Srdjan Suki
Nach der Silbermedaille am Vormittag, gewann Hambüchen in seiner Paradedisziplin am Reck Gold
Nach der Silbermedaille am Vormittag, gewann Hambüchen in seiner Paradedisziplin am Reck Gold © dpa | Bernd Thissen
Sophie Scheder flog am Stufenbarren zur Silbermedaille
Sophie Scheder flog am Stufenbarren zur Silbermedaille © dpa | Bernd Thissen
Sportschützin Monika Karsch freute sich am Sonnabend über die Bronzemedaille über 25 Meter mit der Luftpistole
Sportschützin Monika Karsch freute sich am Sonnabend über die Bronzemedaille über 25 Meter mit der Luftpistole © Getty Images for BEGOC | Tom Pennington
Sportschütze Henri Junghänel bescherte dem deutschen Team die fünfte Goldmedaille
Sportschütze Henri Junghänel bescherte dem deutschen Team die fünfte Goldmedaille © Getty Images
Freistil-Ringer Marcel Ewald profitierte von der Disqualifikation zweier Kontrahenten und holte Silber
Freistil-Ringer Marcel Ewald profitierte von der Disqualifikation zweier Kontrahenten und holte Silber © dpa | Bernd Thissen
Strahlender Doppelsieger: Kanute Max Hoff holte auch Gold über die Marathondistanz 5000 Meter
Strahlender Doppelsieger: Kanute Max Hoff holte auch Gold über die Marathondistanz 5000 Meter © dpa
Levent Tuncat (r.) erkämpfte sich Bronze im Taekwondo
Levent Tuncat (r.) erkämpfte sich Bronze im Taekwondo © Getty Images
Ronald Rauhe (l.) und Tom Liebscher holten im Kajak-Zweier über die olympische 200-m-Distanz Silber
Ronald Rauhe (l.) und Tom Liebscher holten im Kajak-Zweier über die olympische 200-m-Distanz Silber © dpa
Sportschützin Barbara Engleder erreichte im 10 m Luftgewehr-Finale mit 186,0 Ringen den Bronzeplatz
Sportschützin Barbara Engleder erreichte im 10 m Luftgewehr-Finale mit 186,0 Ringen den Bronzeplatz © Getty Images
Sophie Scheder (v.l.), Elisabeth Seitz und Leah Griesser turnten sich im Teamwettbewerb zu Silber
Sophie Scheder (v.l.), Elisabeth Seitz und Leah Griesser turnten sich im Teamwettbewerb zu Silber © dpa
Freistil-Ringerin Aline Focken freute sich über Bronze in der 69-Kilo-Klasse
Freistil-Ringerin Aline Focken freute sich über Bronze in der 69-Kilo-Klasse © dpa
Kanute Max Hoff (M.) freut sich über das erste deutsche Gold bei den Europaspielen in Aserbaidschan
Kanute Max Hoff (M.) freut sich über das erste deutsche Gold bei den Europaspielen in Aserbaidschan © dpa
Platz zwei im Vierer-Kajak über 500 Meter: Franziska Weber (v.l.), Conny Wassmuth, Verena Hantl und Tina Dietze
Platz zwei im Vierer-Kajak über 500 Meter: Franziska Weber (v.l.), Conny Wassmuth, Verena Hantl und Tina Dietze © Getty Images
Mannschaftskollege Sebastian Brendel triumphierte über 1000 Meter
Mannschaftskollege Sebastian Brendel triumphierte über 1000 Meter © dpa
Peter Kretschmer (2.v.r.) und Michael Müller (r.) mussten sich im Canadier-Zweier über 1000 Meter nur knapp den Russen und Weißrussen geschlagen geben. Der Lohn: Bronze
Peter Kretschmer (2.v.r.) und Michael Müller (r.) mussten sich im Canadier-Zweier über 1000 Meter nur knapp den Russen und Weißrussen geschlagen geben. Der Lohn: Bronze © dpa
Petrissa Solja (v.l.), Ying Han und Xiaona Shan holten Gold im Tischtennis
Petrissa Solja (v.l.), Ying Han und Xiaona Shan holten Gold im Tischtennis © dpa
Ringer Ramsin Azizsir (hinten) beendete den Wettbewerb im riechisch-römischen Stil mit der Bronzemedaille
Ringer Ramsin Azizsir (hinten) beendete den Wettbewerb im riechisch-römischen Stil mit der Bronzemedaille © dpa
Frank Stäbler rang sich ebenfalls auf Rang drei
Frank Stäbler rang sich ebenfalls auf Rang drei © dpa
Dem Karateka Jonathan Horne (r.) blieb nach der Finalniederlage gegen den Türken Enes Erkan Silber
Dem Karateka Jonathan Horne (r.) blieb nach der Finalniederlage gegen den Türken Enes Erkan Silber © dpa
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Bachramow und das Wembley-Tor

Der Star ist ja auch das Stadion, genauer: der Mann, nach dem es benannt ist. Tofik Bachramow, geboren am 29. Januar 1925, hat Sportgeschichte geschrieben, weil er Deutschland den zweiten WM-Titel kostete. Er war der „russische Linienrichter“, der im Finale der Fußball-WM 1966 im Londoner Wembleystadion den Schuss von Geoff Hurst, der von der Unterkante der Latte ins Feld zurücksprang, hinter der Linie gesehen hatte. Bachramow hob die Fahne und nickte, Schiedsrichter Gottfried Dienst aus der Schweiz entschied auf Tor, England führte 3:2 und holte schließlich den WM-Titel, der bis heute der einzige für das Mutterland des Fußballs bleiben sollte.

Fußballgeschichte: Tofik Bachramow ( hinten l.) verfolgt im 66er Finale den Wimpeltausch von DFB-Kaptiän Uwe Seeler (l.)
Fußballgeschichte: Tofik Bachramow ( hinten l.) verfolgt im 66er Finale den Wimpeltausch von DFB-Kaptiän Uwe Seeler (l.) © Witters

Warum ein Linienrichter, der im selben Turnier als Referee der Schweiz im Gruppenspiel gegen Spanien ein reguläres Tor aberkannte und so für das Aus der Eidgenossen sorgte, in seiner Heimat ein Volksheld werden konnte, versucht Mammadov zu erklären: „Bachramow hat nach seiner Schiedsrichter-Karriere noch viele Jahre als Generalsekretär des aserbaidschanischen Verbands gearbeitet und sich besonders um den Nachwuchs gekümmert. Das hat ihm großen Respekt eingebracht“, sagt er.

Erster Schiedsrichter als Namensgeber

Nach seinem Tod 1993, zwei Jahre nach der Unabhängigkeit Aserbaidschans von der Sowjetunion, wurde dem beliebten Funktionär, der seine aktive Spielerkarriere wegen einer schweren Beinverletzung hatte beenden müssen, als erstem Schiedsrichter der Welt die Ehre zuteil, Namensgeber für ein Stadion zu sein. Die bis dahin unter Wladimir-Lenin-Stadion firmierende Arena ist bis heute Heimstätte der Fußball-Nationalmannschaft Aserbaidschans, die seit Berti Vogts’ Demission im vergangenen Jahr von Kroatiens früherem Topstar Robert Prosinecki trainiert wird.

Die Statue, von der die Helfer nichts wissen, steht natürlich noch immer vor dem Administrationsgebäude hinter dem Stadion. Dort, wo sie 2006, als die englische Nationalmannschaft in der WM-Qualifikation in Aserbaidschan antreten musste, von Geoff Hurst und dem deutschen WM-Torhüter von 1966, Hans Tilkowski, enthüllt worden war. Damals hatten sich Horden englischer Fans, gekleidet in rote Trikots mit Bachramows Namen und der 66 auf dem Rücken, vor ihr fotografieren lassen. An diesem Mittwoch beachtet niemand das überlebensgroße Standbild des Mannes, ohne den der Sport um einen seiner kuriosesten Momente ärmer wäre.