Zürich/Hamburg. Sexistisch, homophob, rassistisch und jetzt wieder Hinweise auf Mafia und Korruption: Sepp Blatters Fifa im Spiegel der Kommentare.

Ob mit den Verhaftungen hochrangiger Fifa-Funktionäre in Zürich nun eine Reform des mutmaßlich korrupten Fußball-Weltverbandes eingeleitet wird? Mit dieser Frage beschäftigen sich die Kommentare der Medien quasi weltweit. Und es geht um die Gretchenfrage im internationalen Fußball: Bleibt Fifa-Chef Joseph S. Blatter, 79, im Amt? Kann nach den Verhaftungen der Kongress zu seiner Wiederwahl überhaupt abgehalten werden?

Carsten Harms schreibt im Leitartikel des Hamburger Abendblattes. "Selbstverständlich gilt auch für einen unbeliebten, in die Jahre gekommenen und auf seinem Präsidentenstuhl klebenden Joseph S. Blatter die grundsätzliche Unschuldsvermutung, solange keine Beweise gegen ihn vorliegen. Dennoch ist es nicht ernsthaft vorstellbar, dass der 79-Jährige seit Jahrzehnten ohne eigenen Fehl und Tadel einen Verband führt, in dem offenbar Bestechung, Korruption und Geldwäsche bis hoch zu seinen Vize-Präsidenten an der Tagesordnung sind."

So differenziert äußern sich nicht alle. Hier ein Überblick über die Pressestimmen zu Sepp Blatter und dem Fifa-Skandal um gekaufte Vergaben von Fußball-Weltmeisterschaften:

Bild-Zeitung:

"Hau ab! Razzia, Festnahmen, Korruption, die Fifa liegt in Trümmern. Treten Sie endlich zurück, Herr Blatter"

Libération (Paris):

"Korruptionsaffären in sehr großem Stil häufen sich bei der Fifa, haben allerdings bis heute in Frankreich keinerlei empörte Reaktionen hervorgerufen. Dabei könnte Sepp Blatter durchaus unsere Politiker zornig werden lassen: Der Chef dieser von Korruption durchsetzten Institution ist sexistisch, homophob, leugnet Rassismus im Fußball und Sklavenarbeit in Katar. Wenn Mafia-Methoden einer so mächtigen Organisation wie der Fifa ans Tageslicht kommen, dürfen Politiker nicht schweigen, nur weil sie darauf hoffen, dass ihnen die Organisation einer Sportveranstaltung zugestanden wird.“

Neue Zürcher Zeitung:

„Auch wenn die Fifa versuchen wird, ihren Kongress am jüngsten Aufruhr vorbeizunavigieren, werden leere Stühle von den Festnahmen zeugen. Webb und Figueredo werden dem Kongress zwangsläufig fernbleiben und nicht ganz vorne Platz nehmen. Die Fifa wird sich um einen ruhigen Kongress bemühen und vermutlich den Präsidenten Joseph Blatter im Amt bestätigten. Aber ihre dunklen Geister wird sie so schnell nicht los, auch wenn die mutmaßlichen (Korruptions-)Vorgänge abermals Erdteile betreffen, die von Europa und Zürich weit entfernt sind. “

Guardian (London):

Blatter sitzt ganz oben auf diesem dampfenden Haufen von Bestechung. Er mag äußerlich ruhig wirken, aber er ist am Ende. Entweder er geht, oder die Fifa bricht zusammen. Oder es passiert beides. Die US-Behörden haben es gesagt: "Der organisierte Fußball braucht einen Neuanfang". Dieser Neustart wird nicht durch ein weiteres wertloses Versprechen einer internen Fifa-Reform möglich sein. Sponsoren und nationale Fußball-Verbände werden möglicherweise glaubhaft mit Boykott drohen müssen. Ohne grundlegende Erneuerung ist zu bezweifeln, dass der internationale Fußball und sogar die Fußball-Weltmeisterschaft überleben werden.“

El País (Madrid):

„Die Massenfestnahmen beschmutzen auch Joseph Blatter. Es ist nicht glaubhaft, dass der Präsident die tiefen Korruptionswurzeln nicht gekannt hat, die (US-Justizministerin) Loretta Lynch angesprochen hat (...) Selbst wenn er wirklich nichts gewusst hat, war und ist Blatter verantwortlich. Der logischste Schritt wäre nun der Rücktritt – auch wenn die Fifa behauptet, dass der Präsident „nicht verwickelt ist“. Damit würde er keine Schuld einräumen, sondern Verantwortlichkeit zeigen.“

De Volkskrant (Amsterdam):

„Blatters Verbleib im Amt ist tödlich für das Image der Fifa. So sieht es jedenfalls ein Teil der Welt. Blatter hat keine Botschaft für jenen Teil der Welt, der vor allem aus europäischen Ländern besteht. Auf dem Trümmerhaufen der Fußballfestung Fifa lässt er am Freitag die Präsidentenwahl durchziehen, als wäre nichts geschehen. Vermutlich gewinn er deutlich und tritt dann seine fünfte Amtszeit als Präsident an. So wird die Kluft in der Fußballwelt immer größer. Und es bleibt nur, weiter auf den Fall ins Bodenlose warten.“

Der Standard (Wien):

„Neben korrupt ist es vor allem ein Adjektiv, das im Zusammenhang mit Joseph Blatter besonders häufig fällt: mächtig. Der mächtige Präsident, der mächtige Schweizer, der mächtige Sepp. Angesichts der aktuellen Entwicklungen sollte man endlich ein "ohn" voranstellen. Der europäische Verband (Uefa) wäre gefragt, die Landesverbände wären gefragt, eine fünfte Amtszeit Blatters nicht zuzulassen. Zweifel sind angebracht.

Badische Zeitung (Freiburg):

Diese Vorwürfe dürften sogar einen abgezockten Funktionärsprofi wie Joseph Blatter belasten. Aber wird er darüber auch stolpern bei der Wahl? Davon ist nicht auszugehen. Die Beschuldigungen zielen (noch) nicht direkt auf ihn. Vielmehr spielt sich Blatter als Aufklärer auf, denn eine Untersuchung der Schweizer Bundesanwaltschaft hatte die Fifa mit einer Strafanzeige im November 2014 selbst in Gang gesetzt. Zudem ist bei der Wahl mit einer Trotzreaktion der Blatter-Befürworter zu rechnen.

Rheinische Post (Düsseldorf):

Und wenn auch nur ein Teil der Korruptionsvorwürfe an leitende Funktionäre seines Verbandes nachweisbar ist, muss der saubere Herr Blatter seinen Hut nehmen. Eine derart ehrenwerte Logik ist ihm allerdings fremd. Es ist nicht auszuschließen, dass er im nächsten Skandal seiner 17-jährigen Amtszeit an der Fifa-Spitze noch einmal ein paar Figuren auf dem Schachbrett der Macht opfert. Dieses Spiel beherrscht er nämlich.

Kölner Stadtanzeiger:

"Der Europäische Fußball-Verband ist stets am lautesten, wenn sich Kritik erhebt am Vorgehen der Fifa. Doch die Uefa er hat es erneut nicht geschafft, sich auf einen Gegen-Kandidaten zu Blatter zu einigen. Folgt man den ersten, trotzigen Stellungnahmen der Fifa, so könnte die Pointe diese sein: Blatter könnte - zur Entgeisterung seiner Kritiker - am Ende der Gewinner sein. Mal wieder. Und mit sozusagen staatlich-polizeilicher Unterstützung könnte er den dekadent entgleisten Teil seines Verbands ohne Rücksichten aufräumen und neu besetzen. Ausgerechnet, sagt man da."

tageszeitung (Berlin):

"Im Hause Fifa arbeitet niemand, der das Ruder in Richtung echter Fairness herumreißen könnte. Blatters Gegenkandidat bei der anstehenden Präsidentschaftswahl, der jordanische Prinz Ali bin al-Hussein, ist erklärter Befürworter eines WM-Turniers im Fußballland Katar. Für Wechsel steht er gewiss nicht .Das System von Geben und Nehmen, das die Fifa etabliert hat, ist durch ein paar Verhaftungen und die Sicherstellung von Akten so schnell nicht zu erschüttern. Die Staaten, die gewinnorientierten Großverbänden wie der Fifa, der Uefa oder dem IOC immer noch den roten Teppich ausrollen, tragen daran eine Mitverantwortung (...)."

Frankfurter Allgemeine Zeitung:

"Blatter trägt die politische Verantwortung für ein Desaster, das weit über den Fußball hinausreicht. Denn der Fifa-Schmuddel färbt ab. Dass München bei der Bewerbung um die Winterspiele 2022 an der eigenen Bevölkerung scheiterte, hing auch mit den Skandalen um die Wahl Qatars als Ausrichter der WM 2022 zusammen."

Berliner Zeitung:

Die Fifa ist nun bemüht, auf Selbstberuhigung zu setzen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Blatter nun erst recht in seinem Amt bestätigt wird. Die Kräfte des Verbandes zur Selbstreformierung haben sich zuletzt als äußerst begrenzt erwiesen. Es wäre naiv zu erwarten, dass nun ein Ruck durch die Mitgliederverbände und ihre saturierten Repräsentanten geht. Und doch ist es keineswegs ausgeschlossen, dass Mario Götze das letzte Tor bei einer Fußball-Weltmeisterschaft der Männer erzielt hat, wie wir sie kannten.