Der 34 Jahre alte deutsche Mittelgewichtsprofi eroberte in Stuttgart erneut einen Weltmeistertitel, diesmal den des Verbandes IBF.

Stuttgart. Alle wollten mit ihm feiern, doch im Moment des süßen Triumphs hatte Felix Sturm ein ganz besonderes Ziel. Aus dem Ring trieb es den Mittelgewichts-Boxprofi, hin zu Ehefrau Jasmin, die in der ersten Reihe gesessen hatte, wie immer höchst angespannt und kaum in der Lage, den Blick auf das Geschehen zu richten. Innig waren die Küsse, die Sturm seiner Liebsten gab, schließlich war es sein siebter Hochzeitstag, an dem er sich in den Geschichtsbüchern des deutschen Profifaustkampfes verewigte. Und auch deshalb tat er etwas, was er noch nie getan hatte: Er widmete seinen Kampf der Gattin und dem gemeinsamen Sohn Mahir: „Sie verdienen diesen Titel mehr als ich“, sagte er.

Felix Sturm hat nun also Geschichte geschrieben in der Nacht zu Sonntag in der ausverkauften Stuttgarter Porsche-Arena, nicht nur seine eigene, sondern eine, die es im deutschen Boxen bislang nicht gegeben hatte. Zum vierten Mal in seiner Karriere sicherte sich der 34-Jährige einen WM-Titel im Mittelgewicht, dieses Mal den nach Version der International Boxing Federation (IBF), indem er deren Champion Darren Barker (England) in Runde zwei vorzeitig besiegte. Doch was vor allem hängen bleiben wird, das ist die Art und Weise, wie er diesen besonderen Moment feierte. Dass er den 15 Jahre alten Danny auf seinen Schultern reiten ließ, einen Fan, der gerade erfolgreich gegen eine Bauchfellkrebs-Erkrankung gekämpft hat; dass er im Moment des Sieges vor allem an die Ehefrau dachte, den kleinen Sohn, und auch an die vor sechseinhalb Jahren verstorbene Mutter; das alles bewies, dass dieser Felix Sturm gereift ist zu einem Menschen, der sich selbst nicht mehr als Mittelpunkt der Welt wahrnimmt, sondern der alle Kraft aus der Familie schöpft. „Meine Familie und mein Team haben mich dahin gebracht, wo ich jetzt stehe“, sagte er, „das ist, was zählt.“

Einen Rekord wie den, den Sturm jetzt hält, kann man nicht planen, man kann nicht einmal uneingeschränkt stolz darauf sein, weil er ja einschließt, dass man den WM-Titel nicht nur viermal erobert, sondern auch dreimal verloren hat. Aber um dort zu sein, wo Sturm jetzt ist, hat es diese Niederlagen, von denen zumindest die gegen Javier Castillejo und Daniel Geale völlig unnötig waren, gebraucht, sie sind Teil seiner Geschichte, und deshalb verdient der Wahl-Kölner, der sich 2009 vom Hamburger Universum-Stall lossagte und sich seitdem in Eigenregie promotet, auch jeglichen Respekt. Er hat, nach einer Serie schwacher, überheblicher Auftritte, in diesem Jahr sein Leben komplett verändert, konzentriert sich nur noch auf das eigene Fortkommen, trainiert noch härter als zuvor, vor allem aber lebt er zwischen den Kämpfen wie ein Sportler. Den Hunger, den er zu lange mit Fastfood und Süßkram stillte, hat er sich nun für den Ring aufgespart. „Felix hatte schon immer große Worte, aber jetzt liefert er auch die Taten dazu“, kleidete es Trainer Fritz Sdunek, der in seinem 121. WM-Kampf als Coach den 100. Sieg feiern durfte, passend in Worte.

Es war eine magische Nacht in Stuttgart, auch wenn sie nach nur 309 Sekunden ein jähes Ende fand, weil Barker sich wegen einer Hüftverletzung nur noch so unzureichend verteidigen konnte, dass Trainer Tony Sims das Handtuch warf. Zwei Niederschläge hatte sein Schützling da bereits überstehen müssen, nach dem zweiten hatte er seiner Ecke signalisiert, nicht weitermachen zu können. Natürlich reklamierte Sturm später Schlagwirkung als Ursache für die Niederschläge, tatsächlich hatte er dem Briten mit Links-Rechts-Kombinationen zugesetzt, aber diesem fehlte vor allem die Kraft im rechten Bein, um sich in der Balance zu halten. So war es schade, dass ein Kampf einen so traurigen Ausgang nehmen musste, der in der ersten Runde das Versprechen auf eine epische Schlacht gegeben hatte.

Ein entfesselter Sturm, angetrieben von mehreren Tausend lautstarken Fans aus Bosnien, der Heimat seiner Eltern, hatte dem von rund 700 nicht weniger sangesfreudigen Briten bejubelten Barker mit seiner aggressiven Attitüde den Kampf aufgezwungen, den dieser auch annahm. „Hüftverletzung oder nicht, schon in der ersten Runde hatte ich das Gefühl, dass es eine ungemütliche Nacht werden würde. Felix sah aus wie ein Mann auf einer Mission“, sagte Barkers Promoter Eddie Hearn.

Hearn musste für seinen Boxer sprechen, weil dieser lange vor der Urteilsverkündung aus dem Ring gehumpelt war, gestützt von zwei hünenhaften Sicherheitsleuten, und zur Untersuchung ins Krankenhaus gefahren wurde. „Er konnte nicht gehen, das ist kein gutes Zeichen“, sagte Hearn, der auf Barkers umfangreiche Krankenakte verwies. „Er ist bereits an beiden Hüften operiert worden, und in der ersten Runde ist eine alte Verletzung wieder aufgebrochen“, sagte er. Zu befürchten steht nun, dass der vertraglich für Frühjahr 2014 vereinbarte Rückkampf in London nicht wie geplant ausgetragen werden kann – und vielleicht sogar niemals. „Ich kann nicht sagen, ob Darren noch einmal zurückkommt“, sagte Hearn, „er hat das schon mehrfach geschafft, aber wenn er erneut ein halbes Jahr pausieren muss, wird es schwer.“ Immerhin würde der 31-Jährige weich fallen, denn um eine erneute WM-Chance zu bekommen, hatte sich Sturm nicht nur auf den direkten Rückkampf eingelassen, sondern Barker auch rund 1,1 Millionen Euro Kampfbörse überwiesen.

Sturms Karriere stand tatsächlich auf dem Spiel, eine Niederlage hätte ihn ins Niemandsland verbannt. Auch der ausgelaufene TV-Vertrag mit Sat.1 hätte wohl kaum Bestand gehabt, nun ist eine Verlängerung nur noch eine Frage des Wie, nicht des Ob, wie Sat.1-Sportchef Alexander Rösner bestätigte. „In dieser Form ist Felix absolut attraktiv“, sagte auch Philip Cordes vom Vermarkter Ufa Sports, der sehr auf den Rückkampf in London hofft. Dieser könnte vor allem Sturms Ruf, lediglich in Deutschland erfolgreich sein zu können, nachhaltig aufpolieren.

Doch es gibt auch eine Reihe anderer interessanter Duelle. Titelvereinigungen mit den Weltmeistern der anderen drei Verbände, Peter Quillin (USA/WBO), Sergio Martinez (Argentinien/WBC) oder Gennady Golovkin (Kasachstan/WBA), sind ebenso denkbar wie Rückkämpfe gegen die Australier Daniel Geale und Sam Soliman und auch der Aufstieg ins Supermittelgewicht, um beispielsweise Arthur Abraham vom Berliner Sauerland-Team herauszufordern. Sturm wollte all diese Gedankenspiele nicht kommentieren. Er freute sich vielmehr auf ein paar ruhige Tage mit der Familie. Seine Geschichte wird er weiterschreiben, „zehn bis zwölf Kämpfe sind noch drin“, aber alles zu seiner Zeit. Felix Sturm ist jetzt wieder in der Lage, selbst zu bestimmen.

Die Hamburgerin Susi Kentikian, 26, verteidigte im Rahmenprogramm ihren WBA-WM-Titel im Fliegengewicht durch einen einstimmigen Punktsieg über die italienische Europameisterin Simona Galassi, 41. Einen Bericht lesen Sie HIER.