Das Organ des Bundestages kommt im September zu einer Sondersitzung zusammen. Forschungsarbeit belegt Experimente selbst an Minderjährigen. Bericht bisher nicht veröffentlicht.

Berlin. Nach dem neuerlichen Wirbel um die steuerfinanzierte Doping-Vergangenheit der Bundesrepublik blieben Sport und Politik überraschend gelassen. Das Bundesinnenministerium (BMI) und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) forderten die Veröffentlichung des wissenschaftlichen Abschlussberichts, der nach der Überarbeitung durch Datenschützer keine neuen brisanten Namen enthalten dürfte. Der Sportausschuss des Deutschen Bundestages wird Anfang September auf einer Sondersitzung über die Enthüllungen beraten.

Unter Berufung auf Ergebnisse der Arbeit einer Forschergruppe der Berliner Humboldt-Universität mit dem Titel „Doping in Deutschland 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ hatte die „Süddeutsche Zeitung“ über systematisches Doping in der Bundesrepublik seit Beginn der 1970er-Jahre berichtet. Laut einer Studie seien damals schon Anabolika an Minderjährige verabreicht worden. Bereits 1988 habe es einen Antrag zur Erforschung der Wirkungsweise des Blutdopingmittels Epo gegeben. Etliche Politiker hätten von Doping gewusst, es zumindest geduldet und die Sportmedizin sogar unter Druck gesetzt. Kritiker seien kaltgestellt worden. Der frühere Innenminister Hans-Dietrich Genscher und der deutsche Spitzenfunktionär Walther Tröger stritten ihre Mitwisserschaft ab.

Im Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp), das seit seiner Gründung 1970 dem BMI untersteht, sollen jahrzehntelang die Fäden für umfangreiche Tests mit zahlreichen leistungsfördernden Substanzen zusammengelaufen sein – von Anabolika, über Testosteron und Östrogen bis hin zum Blutdopingmittel Epo. Dies sei der Studie zufolge „nicht als Reaktion auf das Staatsdoping der DDR, sondern aus eigenem Antrieb“ geschehen. 516 Forschungsvorhaben wurden aufgelistet. Obwohl die wissenschaftliche Arbeit viele alte Erkenntnisse wiederholt, zeichnet sie ein treffendes Sittenbild der einstigen Seilschaften aus Politik, Sport und Wissenschaft im Westen Deutschlands.

Bereits 2011 hatten die Wissenschaftler unter Leitung von Professor Giselher Spitzer von „staatlich subventionierten Anabolika-Forschungen“ in der Bundesrepublik gesprochen. Diese seien nach 1970 an der Uni Freiburg beim umstrittenen Sportmediziner Joseph Keul „konzentriert“ worden. „Vieles, was wir lesen konnten, ist nicht neu“, meinte DOSB-Generaldirektor Michael Vesper. Der Abschlussbericht der vom DOSB 2008 initiierten und vom BISp mit rund 525.000 Euro bezuschussten Arbeit ist noch nicht veröffentlicht. Die Verantwortung für die Validität der Aussagen liege bei den Wissenschaftlern. Dies entspräche den wissenschaftlichen Grundsätzen. Die Wissenschaftler wiederum befürchten bei einer Veröffentlichung ihrer Studie Klagen und fordern Rechtsschutz von ihrem Auftraggeber – schließlich werden in dem Bericht einige noch aktive Protagonisten schwer belastet.

Leichtathletik-Präsident verlangt Veröffentlichung von Namen

Trotz aller Schutzmaßnahmen scheinen zahlreiche Drahtzieher westdeutscher Olympiaerfolge eine späte Entlarvung als Falschspieler zu befürchten. „Man darf keine Liste wie auf den Steuer-CDs erwarten oder dass Olympiahelden massenhaft des Dopings bezichtigt werden. Viele Sportler und Funktionäre sind bereits tot, da tut man sich leichter“, sagte der Pharmakologe Fritz Sörgel nach Studium der 800 Seiten, „ob man die hochbetagten Funktionäre und Sportärzte zu einer Äußerung oder gar zu Geständnissen bringen kann, bezweifle ich. Trotz aus dem Text entfernter Namen lässt sich über wissenschaftliche Literatur leicht herausfinden, um wen es sich handelt.“

Genau diese Namen wollen der Sportausschuss des Bundestages und Spitzenfunktionäre wie Clemens Prokop, Präsident des Leichtathletik-Verbandes, wissen. Im Zuge der Aufarbeitung müssten „auch im Westen die Namen veröffentlicht werden, insbesondere von Personen, die noch einen Posten im Sport bekleiden“, sagte Prokop.