Im Kalten Krieg wurde auch im Westen systematisch gedopt

Niemand hat ernsthaft geglaubt, dass im westdeutschen Leistungssport nicht gedopt wurde. Nur das Ausmaß, das jetzt eine wissenschaftliche Studie der Berliner Humboldt-Universität belegt, überrascht. Auch in der alten Bundesrepublik war Doping wie in der DDR offenbar eine Staatsangelegenheit, selbst an Minderjährigen wurde mit gesundheitsschädlichen Substanzen experimentiert. Und beim „Wunder von Bern“, dem finalen 3:2-Sieg der deutschen Fußballnationalelf 1954 über Ungarn, soll Bundestrainer Sepp Herberger mit dem Wachmacher Pervitin nachgeholfen haben. Die Ergebnisse dieser Aufklärungsarbeit, die seit zwei Jahren durchsickern, scheinen derart brisant, dass das Bundesinnenministerium eine Veröffentlichung bislang hinauszögerte.

Es herrschte Kalter Krieg, und der Osten glaubte, die Überlegenheit seines Systems mit den Triumphen seiner Athleten belegen zu können. Dass der Westen mit allen Mitteln dagegenhielt, entsprach der Logik dieses Konflikts. Moral war was für Sonntagsreden. Was von gegenteiligen Beteuerungen zu halten war und ist, haben wir gelernt. Bis zum Beweis des Gegenteils wird Doping geleugnet.

Dopingkontrollen waren damals eine Farce. Die westdeutschen Sportverbände hatten kein Interesse an systematischen Tests, positive Proben wurden zum Teil weggeschüttet. Der verstorbene Hamburger Arzt Dieter Baron, einst Anti-Doping-Beauftragter des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, erzählte 1991 dem Abendblatt, dass ein bekannter Hamburger Spitzensportler, olympischer Medaillengewinner, zu den Kontrollen stets einen Begleiter in seine Praxis mitbrachte. Wer dann Wasser gelassen habe, entziehe sich seiner Kenntnis.

Das nun gewonnene Wissen könnte dazu dienen, dass niemand mehr mit dem Finger auf den anderen zeigen muss. Im Osten wie im Westen zählten Medaillen. Wie sie zustande kamen, war lange Zeit ein Staatsgeheimnis, hüben wie drüben. Zu hoffen bleibt, dass Staat und Verbände den Anti-Doping-Kampf weiter ernst nehmen. Die in den vergangenen Jahren ergriffenen Maßnahmen und die konsequente Verfolgung dieser Delikte lassen heute zumindest daran glauben.