Der ehemalige deutsche Radstar und Tour-de-France-Sieger von 1997 hat Doping mit Eigenblut gebeichtet – Betrug jedoch bestritten.

Hamburg. Wären ihre Karrieren als Radsportler nicht so grotesk verlaufen, könnten einem bei Lance Armstrongs warmen Worten beinahe die Tränen der Rührung kommen. Via Twitter hatte der Amerikaner seinem früheren Berufskollegen Jan Ullrich offenbar etwas Balsam für dessen geschundene Seele geben wollen. Anders jedenfalls lässt sich seine Nachricht kaum erklären. „Jan Ullrich? Ein warmherziger Mann. Ein erstaunlicher Athlet. Ein großer Wettkämpfer. Ich habe es geliebt, mit dir den Ton anzugeben, mein Freund“, zwitscherte der König unter den Dopern des Radsports in die Welt hinaus, nachdem nun auch der längst gefallene Held unter den deutschen Pedaleuren erstmals Blutdoping beim spanischen Arzt Eufemiano Fuentes zugegeben hatte.

Ja, er habe Blutdoping-Behandlungen bekommen, sagte der Tour-de-France-Sieger von 1997 dem „Focus“ und verriet damit doch nur, was längst alle wussten. Doping mit Epo oder den Gebrauch von Wachstumshormonen stritt der 39-Jährige weiter ab. Auch nannte Ullrich keine Namen von Helfern oder Mitwissern, die die Manipulation mitorganisiert hatten.

Wenig gesagt, nichts verstanden: Deutschlands einziger Gewinner der Tour de France verpasste erneut die Chance, nach Jahren der verklausulierten Andeutungen und halbseidenen Entschuldigungen für vollständige Aufklärung zu sorgen. Selbst Armstrong, sein Bruder im Geiste, war bei seiner Beichte entschieden weitergegangen.

Statt endlich reinen Tisch zu machen, zeichnete Jan Ullrich erneut das Bild des Leidtragenden, der sich für den sportlichen Erfolg den damaligen Gepflogenheiten hatte anpassen müssen. Ein Schwindler sei er daher nicht. „Fast jeder nahm damals leistungssteigernde Substanzen. Ich habe nichts genommen, was die anderen nicht auch genommen haben“, rechtfertigte sich Ullrich: „Betrug fängt für mich dann an, wenn ich mir einen Vorteil verschaffe. Dem war nicht so. Ich wollte für Chancengleichheit sorgen.“

Ullrichs Sinne sind verklärt

Wie verklärt die Sinne des Wahlschweizers nach wie vor sind, zeigt seine Reaktion vor der Rückreise am Sonntag aus den USA, wo er für eine Reiseagentur auf Abenteuertouren unterwegs war. „Ich finde es schade, dass meine Worte wieder für so viel Wirbel sorgen“, sagte Ullrich der „Bild am Sonntag“. Schließlich habe er doch nur mit anderen Worten wiederholt, was er schon vor einem Jahr gesagt habe. Damals hatte er zugegeben, Kontakt zu Eufemiano Fuentes gehabt zu haben. Zuvor war er vom Internationalen Sportgerichtshof Cas rückwirkend für zwei Jahre bis zum 22. August 2013 gesperrt worden. Außerdem wurden seine Resultate seit dem 1. Mai 2005 gestrichen. Parallelen zu Armstrong sieht Ullrich so: „Beide sind wir nicht davongekommen und schuldig. Ich bin nicht besser als Armstrong, aber auch nicht schlechter. Die großen Helden von früher sind heute Menschen mit Brüchen, mit denen sie klarkommen müssen.“

Die Diskussionen um Ullrich werden so hitzig geführt, weil er es einmal mehr versäumte, mit sich selbst gewissenhaft ins Gericht zu gehen und mit seiner Vergangenheit glaubhaft aufzuräumen. „Es ist zu wenig und viel zu spät. Selbst jetzt arbeitet er nach meinem Gefühl noch mit rhetorischen Winkelzügen. Das hilft weder ihm noch dem Radsport weiter“, befand Thomas Bach, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes. Dessen Generaldirektor Michael Vesper forderte Ullrich auf, „endlich aufzuhören, scheibchenweise vorzugehen, sondern einen Schnitt zu machen. Es ist doch auch in seinem Interesse, den Schritt so zu gehen wie Armstrong“.

Werner Franke, der Heidelberger Molekularbiologe, bezeichnete Ullrichs Aussagen als „Europarekord der Lüge“. Dass Ullrich ausschließlich Eigenblutdoping betrieben habe, will er partout nicht hinnehmen. Ullrich habe „germanisches Blut, dazu gehört, geschichtliche Lügen fortzuführen, fortzuführen, weiter, weiter fortzuführen.“ Franke prophezeit: „Jetzt wird sehr zeitnah herauskommen, dass er auch mit verbotenen Substanzen gedopt hat.“

Berater sieht Ullrich in „juristischem Labyrinth“

Angeblich befindet sich Jan Ullrich in einem „juristischen Labyrinth“, wodurch ihm „die Hände gebunden“ sind, behauptet sein Berater Falk Nier. Was heißen soll: Wenn sich der gebürtige Rostocker gänzlich öffnet, muss er was auch immer für geartete Konsequenzen befürchten, da er als Profi heute noch gültige Geheimhaltungsklauseln unterschrieben hatte. Möglicherweise könnte Ullrich nun aber doch noch seine Gold- und Silbermedaille von den Olympischen Spielen in Sydney 2000 verlieren. Normalerweise gilt beim Internationalen Olympischen Komitee eine Verjährungsfrist von acht Jahren. Bei Armstrong statuierten die obersten olympischen Regelhüter ein Exempel. Sie wiesen den Amerikaner nach dessen Dopingbeichte an, seine in Sydney im Zeitfahren hinter Ullrich gewonnene Bronzemedaille zurückzugeben.

Ullrich will in Zukunft zusammen mit seinem ehemaligen Teamchef Olaf Ludwig Touren für Hobbyradfahrer anbieten. Gesundheitlich gehe es ihm nach überstandener Burn-out-Erkrankung im Jahr 2010 wieder gut. „Zum Glück ging alles glimpflich aus“, sagte Ullrich der „Sport Bild“ in der vergangenen Woche. „Wenn ich allein zu Hause gesessen hätte, weiß ich nicht, was passiert wäre. Meine Familie hat mich gerettet.“ Mit seiner Frau Sara hat er drei Söhne.