Vor dem Spiel hatte der BVB-Trainer Sorgenkind Götze noch zum Vier-Augen-Gespräch gebeten. Nach dem glanzvollen Auftritt seiner Mannschaft hat Klopp eine Sorge weniger.

Dortmund. Bevor Jürgen Klopp in der Lage war, Fragen zum Spiel zu beantworten, musste er erstmal Dampf ablassen, über seine eigene Gefühlslage reden. „Das war ein unglaublicher Abend. Das war Fußball total, das war brutal – Wahnsinn“, sagte der Trainer von Borussia Dortmund. Weiter konnte auch er, all seiner nachgewiesenen rhetorischen Talente zum Trotz, nicht formulieren.

Die folgenden Sätze, die Klopp im ersten Fernsehinterview nach dem kaum für möglich gehaltenen 4:1 (1:1)-Sieg seiner Mannschaft noch sagen wollte, fingen gut an, verloren sich so aber letztlich irgendwo im Nirwana. „Wir waren kaum aufzuhalten. Die Jungs waren heute... irgendeiner hat den Bogen gespannt und dann mussten wir nur den Pfeil loslassen“, stammelte der 45-Jährige. Der Stolz auf seine Spieler und die Dankbarkeit, dass sie in einer extrem schwierigen Situation solch eine Leistung abgerufen haben, war ihm deutlich anzumerken.

Es war eine bemerkenswerte Reaktion, die der BVB in einer außergewöhnlichen Situation gezeigt hatte und so ein Ereignis von wahrhaft historischer Dimension zumindest sehr wahrscheinlich werden ließ: Ein deutsches Champions League-Finale am 25. Mai in London.

Doch nur einen Tag vor diesem Hinspiel im Halbfinale hatte der Verein Borussia Dortmund – Funktionäre, Trainer, Spieler und Anhängerschaft – mental völlig am Boden gelegen. Die Tatsache, dass ausgerechnet vor dem schwersten Spiel die Nachricht vom bevorstehenden Abgang Mario Götzes zu den Bayern durchgesickert war, hatte eine Schockstarre ausgelöst. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke und Sportdirektor Michael Zorc hatten sich selbst einen Maulkorb bis zum Anpfiff am Mittwoch verordnet – wohl aus Angst, sie könnten aus der Emotion heraus etwas sagen, was die Konzentration der Profis auf das Spiel stören und die ohnehin aufgeheizten Gemüter der Fans noch zusätzlich in Rage bringen wird.

Es war brenzlig. Wütende Anhänger hatten einen Shitstorm über die Facebookseite von Götze fegen lassen. Für das Abschlusstraining der Borussen war sicherheitshalber Polizeischutz angefordert worden.

Klopp selbst hatte sich am Dienstag, noch vollkommen unter dem Eindruck der Ereignisse um Götze, zu einem Appell an die Anhänger genötigt gesehen. Auf der internationalen Pressekonferenz im Stadion hatte er die Fernsehteams gebeten, die Kameras deswegen noch etwas länger laufen zu lassen. „Lasst uns unsere negativen Gedanken vergessen und lasst uns diesen Mittwochabend zu einem ganz besonderen BVB-Abend machen“, hatte er gesagt.

+++ Der Star ist der Trainer +++

Ob er daran geglaubt hat, dass die bitter enttäuschten Fans ihm folgen werden? Ob er wirklich daran geglaubt hat, dass Götze, auf dessen Fähigkeiten er gegen Real Madrid schwerlich verzichten konnte, all diese Nebengeräusche tatsächlich ausblenden kann?

„Ich hatte es gehofft, aber ich war mir nicht sicher“, räumte Klopp nach dem Abpfiff ein. In einem Vier-Augen-Gespräch im Mannschaftshotel hatte er versucht, auf Götze einzuwirken, ihm die Angst vor Pfiffen zu nehmen. „Ich habe ihm gesagt, dass die Leute zwar nicht vergessen haben werden, dass er zu den Bayern wechselt“, so Klopp: „Aber ich habe ihm auch gesagt, dass sie wissen werden, dass der Verein über allem steht.“ In einer schwierigen Lage musste der Trainer ein wenig Zocken und darauf hoffen, dass seine fast schon flehende Bitte, Götze zu unterstützen, erhört werden würde.

Er hatte Glück.

Bis zum Anpfiff gab es keinen einzigen Pfiff gegen den 20jährigen Mittelfeldspieler gegeben. Und danach gab es nicht mehr den geringsten Anlass dazu.

Die Mannschaft legte so los, wie sie es in den meisten Champions League-Auftritten der laufenden Saison gemacht hatte: Respektlos wurde Real unter Druck gesetzt, die Stars der Königlichen wurden extrem früh, oft schon vor der Ballannahme, attackiert. Mesut Özil, Luka Modric, Cristiano Ronaldo und Gonzalo Higuain konnten nur selten ihre kreative Kraft entfalten, weil ihnen fast immer irgendein Dortmunder auf den Füßen stand. Bis zum Ausgleichstreffer zum 1:1 in der 43. Minute hatte die Mannschaft von José Mourinho keine einzige Torchance aus dem Spiel heraus. Anschließend spottete der Real-Coach sogar: „Ich habe meine Spieler zur Halbzeit gefragt, ob Sie den Wunsch haben 1:4 oder 1:5 zu verlieren?“

Den dürften die Madrilenen zwar nicht gehabt haben, aber dass sie aber Ende trotzdem so klar unterlegen waren, lag außer der fußballerischen Klasse der Borussen auch an der mentalen Stärke des Teams. „Da kam wieder unsere unfassbare Mentalität zum Ausdruck“, sagte Watzke und spielte damit auf den einzigen Knackpunkt der Partie an: Vor dem 1:1 unterlief Mats Hummels ein fast schon selbstmörderischer Fehler, als er mit einem viel zu kurzen Rückpass Higuain die Möglichkeit gab, den freistehende Ronaldo zu bedienen.

„Das war schon ein Schock, von dem wir uns erstmal erholen mussten“, sagte Hummels, der sehr erleichtert war, dass dies tatsächlich gelang. Nach der Pause drehte der BVB dann richtig auf. Nach vorne gepeitscht durch die Fans und befreit vom Druck, noch irgendetwas zu verlieren zu haben, erteilten sie den ehemals Galaktischen eine Lehrstunde.

Es war auch die Sternstunde des Robert Lewandowski, der an diesem Abend das Spiel seines Lebens machte: Vier Tore gegen Real Madrid dürften den Marktwert des polnischen Stürmers, der noch für eine weitere Saison beim BVB unter Vertrag steht, noch einmal deutlich gesteigert haben.

„Das war überragend“, sagte Lewandowski, als er anderthalb Stunden nach Schlusspfiff die Arena verlassen wollte: „Real Madrid hatte keine Idee, was sie machen sollten, als wir in der zweiten Halbzeit drei Tore geschossen haben.“ Er konnte sich nicht erinnern, dass er überhaupt schon einmal vier Tore in einem Spiel geschossen habe, erklärte er: „Und dann gelingt mit das in einem Halbfinale der Champions League – das war einfach nur geil!“

Dagegen konnte sich Klopp sehr wohl erinnern, dass er selbst einmal vier Tore in einem Spiel erzielt habe. „1990 für Mainz 05 gegen Rot-Weiß Erfurt“, sagte er und erheiterte damit die etwa 200 spanischen Journalisten in der Pressekonferenz nach dem Spiel, die die beiden Vereine teilweise nicht mal vom Hörensagen kannten. Allerdings sei höchstens einer seiner damaligen Treffer mit einem der vier Tore, die Lewandowski gegen Real erzielt hatte, vergleichbar.

Klopp dürfte damit kaum das 3:1 von Mittwoch gemeint haben, als der Pole in Bedrängnis einen von Marcel Schmelzer aufs Geratewohl in den Strafraum gedroschenen Ball trotz Bedrängnis exzellent verarbeiten und aufs Tor bringen konnte. Schon beim Versuch, diesen Treffer nachzustellen, würde sich Klopp möglicherweise beide Beine brechen. „Allein dieses Tor war jeden Cent wert, den die Fernsehsender für die Übertragungsrechte gezahlt haben“, flachste der Coach.

Die Tatsache, dass auch Lewandowski weiterhin ein heißes Spekulationsobjekt ist, interessierte Klopp weniger. Bereits während des Spiels kursierten Meldungen, dass sich der Pole mit den Bayern auf einen Vertrag verständigt haben soll.

Klopp nahm es cool zur Kenntnis und machte völlig unbeeindruckt davon eine unmissverständliche Ansage. „Für die ganze Welt“, sagte er: „Robert spielt in Dortmund. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass er bleiben wird.“

Die Angst, dass sich der BVB durch negative Schlagzeilen irritieren lassen könnte, hat er seit Mittwoch nicht mehr, so Klopp:.„Alles, was wir bis hierhin gemacht haben, ist viel zu wichtig, viel zu groß, als dass wir uns dadurch aus der Spur bringen lassen.“