Gut zwei Monate nach dem Ende der Olympischen Spiele sind die Hamburger Athleten wieder im ganz normalen Leben angekommen.

Zumindest etwas Sport hat Eric Johannesen an diesem Sonnabend schon gemacht. 15 Minuten Fahrradfahren - das muss erst einmal reichen. Für den 1,93-Meter-Mann ist das jedoch ein Klacks. Seine Muskeln sind eine andere Beanspruchung gewohnt, zum Beispiel ein olympisches Finale mit dem Ruder-Achter in London. "Es war das anstrengendste Rennen meiner Karriere", sagt Johannesen. Und sein erfolgreichstes.

An jenem 1. August gewann er die Goldmedaille für Deutschland. Fast zwei Monate später steht der Spitzenathlet vom RC Bergedorf vor dem Eingang des Hauptgebäudes der Universität Hamburg, wo er am 15. Oktober sein Studium beginnt. "Hier werde ich auch ein paar Vorlesungen haben", sagt Johannesen. Sein Vater war Flugzeugbauingenieur, nun möchte der Sohn Wirtschaftsingenieurwesen studieren. "Ich war schon immer von Technik fasziniert", erzählt der 24-Jährige. Seine letzte Prüfung - die zum Abitur - liegt bereits vier Jahre zurück. Lernen will erst wieder gelernt sein. "Die ersten Monate werden hart", glaubt der Olympiasieger. Trotzdem freut er sich darauf. Und auf seine Kommilitonen: "Vielleicht kann ich dann mal über etwas anderes reden als über Sport."

Seine Goldmedaille bekommt derweil einen besonderen Platz im Wohnzimmer. "Wie wir es genau machen, wissen wir noch nicht", sagt der gebürtige Oberhausener. Zusammen mit seiner Freundin Kaja Brecht, 24, wohnt er in Uhlenhorst. Im vergangenen Jahr hat Johannesen ganze 30 Tage in Hamburg verbracht. "Dabei habe ich mich meist schlecht gefühlt, wenn ich wieder so lange weg sein musste", gibt er zu. Auch das wird sich dank der Uni ändern. Das Training will Johannesen allerdings weiter durchziehen, vor und nach den Vorlesungen. Denn schließlich spukt Rio 2016 schon als Fernziel in seinem Hinterkopf herum.

Herausgeputzt, seriös und mit einem sehr dicken roten Buch unter dem Arm beginnt für Christina Schütze ein neuer Lebensabschnitt - das Referendariat. Mit dabei ist immer der "Schönfelder", die bekannteste und beliebteste Gesetzessammlung des deutschen Rechts, jenes rote Buch, an dem man auf dem Campus die Jura-Studenten schon von Weitem erkennt. Die Zeit an der Uni ist für die 28-Jährige allerdings bereits vorbei. Schütze wird in den kommenden eindreiviertel Jahren mehrere Stationen am Oberlandesgericht durchlaufen, die Arbeit der Richter und Staatsanwälte kennenlernen.

Wenn man die schlanke, zierliche Frau sieht, glaubt man kaum, dass sie zu den besten Hockeyspielerinnen Deutschlands gehört und vor wenigen Wochen bei Olympia in London ihre "höchste sportliche Niederlage" hinnehmen musste. Wie enttäuscht sie immer noch ist, merkt man sofort. Doch im nächsten Moment grinst die gebürtige Düsseldorferin schon wieder. "Man muss die Gefühlswelt trennen", sagt sie.

Jeden Tag in London habe sie genossen wie eine Goldmedaille. Ins Schwärmen gerät Schütze, wenn sie über die Ankunft mit der MS "Deutschland" in Hamburg spricht: "Das war gigantisch." Dennoch sei der Einstieg ins Alltagsleben anfangs schwergefallen. "Ich habe drei Wochen überhaupt keinen Sport gemacht", sagt Schütze. Ihre Ausrüstung habe sie auf dem Balkon ihrer Eppendorfer Wohnung abgestellt und nicht angerührt. "Dafür war ich endlich einmal an der Ostsee."

Nun herrscht beim Club von der Alster wieder Bundesligaalltag. Und Schütze muss den Spagat zwischen Ausbildung und Sport erneut wagen. Für die zukünftige Anwältin kein Problem.

Sie will es jetzt erst einmal langsam angehen lassen. Seit einigen Wochen besucht Nicole Müller eine neue Schule in Stuttgart, hat neue Klassenkameraden und neue Aufgaben. "Ich freue mich, wieder in den Schulalltag reinzukommen", sagt die gebürtige Hamburgerin, die bereits im Alter von fünf Jahren beim SV Nettelnburg/Allermöhe mit der rhythmischen Sportgymnastik begann. Damit dürfte die 17-Jährige eine recht exklusive Meinung vertreten zu Beginn des neuen Schuljahrs. Doch für Müller ist es das erste Mal seit Monaten, dass sie wieder die Schulbank drückt. Vor ein paar Wochen nämlich bestand ihr Leben meist nur aus Sport, Sport und nochmals Sport.

Für ihr großes Ziel, Olympia 2012, hatte die Turnerin zweimal pro Tag trainiert. Am 10. August war es dann so weit: Das olympische Qualifikationsturnier in der rhythmischen Sportgymnastik vor 6000 Zuschauern in der Londoner Wembley Arena stand an.

Als Zehnte verpasste die deutsche Gruppe den Einzug ins Finale. "Wir sind aber nicht enttäuscht", sagt die 17-Jährige. Neben der grandiosen Abschlussfeier habe sie auch ein wenig Sightseeing in London gemacht. "Höhepunkt war aber ganz klar die Ankunft in Hamburg", schwärmt Müller.

Obwohl sie bereits seit über einem Jahr im schwäbischen Fellbach lebt, fühlt sie sich immer noch sehr mit ihrer Heimatstadt Hamburg verbunden. "In Baden-Württemberg vermisse ich vor allem den Hafen, die Elbe und die Seen", sagt Müller. Dort gebe es nur Freibäder. Für ihre sportliche Karriere war der Umzug in den Süden jedoch unerlässlich. Ihre Mannschaftskolleginnen trainieren ebenfalls im Leistungszentrum in Fellbach-Schmiden. Zusammen mit Sara Radman wohnt Müller sogar in einer WG.

Vor Kurzem begann ihr Unterricht an einer Sport-Eliteschule. Damit geht auch das Turnen wieder los. "Zwei bis drei Stunden Training am Tag", sagt Müller. Sie lasse es eben erst einmal ruhig angehen.

Überall riecht es nach Holz, Ausstellungsstücke zeigen die individuelle Vielfalt der Möbel, ein knallrotes Klavier zieht alle Blicke auf sich. Eine Tür weiter arbeitet Sonja Scheibl in der Werkstatt der Tischlerei Adam in Bad Segeberg. Dort werkelt die 32-Jährige vor sich hin und ist kreativ. "Die Arbeit tut gut, um das Erlebte zu reflektieren", sagt die kleine Frau mit der frechen Kurzhaarfrisur.

Erlebt hat sie in diesem Sommer wahrlich viel. Als Amateurschützin qualifizierte sie sich für die Olympischen Spiele, der Traum vom Finale im Trapschießen sollte sich jedoch nicht erfüllen. "Es ist unwahrscheinlich hoch geschossen worden", resümiert Scheibl den Wettkampf. Nicht zum ersten Mal. "Die Freude überwiegt", fügt die gebürtige Itzstedterin hinzu. Dabei zu sein habe ihr viel bedeutet: "Ich habe nur ein paar Tage in London verbracht, war aber immer in Bewegung, wollte mir alles anschauen."

Doch schon vor der Abschlussfeier ist Scheibl wieder zurück nach Hause gefahren, zu ihrem Lebensgefährten Michael und ihren Eltern. Alle wohnen in Itzstedt. "Ich bin längst wieder im Alltag angekommen", sagt die Oympiateilnehmerin. Vieles sei in der Werkstatt liegen geblieben, mehr als einmal pro Woche Training sei nicht drin. Das mache aber nichts. "Schon als ich mich entschied, meine Meisterprüfung zu absolvieren, war mir klar, dass der Beruf wichtiger ist als das Trapschießen", sagt Scheibl. Ihre Urlaubstage in die Olympiareise zu investieren, habe sich dennoch gelohnt.