Großbritannien ist vom Wehmut gepackt. Die Insel trauert “ihren“ Spielen nach. Olympia-Kritiker sind längst verstummt, die Briten sind stolz.

London. Großbritannien hat den Olympia-Blues: Viele vermissen die gefeierten Spiele von London. Der konservativ und normalerweise stark auf britische Themen fokussierte „Daily Telegraph“ titelte auch am Dienstag noch einmal dreisprachig: „So long, farewell, auf wiedersehen, adieu“, nachdem am Montag die meisten Athleten, Funktionäre und Journalisten die Heimreise per Flugzeug, Schiff und Zug angetreten hatten. „Wer fühlt sich noch alles ein bisschen traurig heute Morgen“, fragte Rad-Champion Chris Hoy via Twitter.

Viele der britischen Medaillengewinner wurden am Dienstag nach ihrer Ankunft aus London in ihren Heimatorten wie Popstars gefeiert. So wurde Ruderer Pete Reed im offenen Bus durch seinen Heimatort Nailsworth im Südwesten Englands gefahren. Noch während der Schlussfeier im Olympiastadion hatte der Gold-Ruderer seiner deutschen Freundin Frauke einen Heiratsantrag gemacht.

Die britische Mannschaft feierte mit 29 Goldmedaillen in der Heimat ihre erfolgreichsten Olympischen Spiele seit mehr als 100 Jahren. 1996 in Atlanta hatten die Briten lediglich ein Mal Gold gewonnen. Angesichts des britischen Goldrauschs und des Lobes für die perfekte Organisation aus aller Welt verstummten auch Kritiker im eigenen Land. „Ich war vorher ein Olympia-Zyniker, jetzt bin ich traurig, dass es vorbei ist“, bekannte ein Leserbriefschreiber in der „Metro“.

Unzählige boten bei Auktionen hohe Summen für Olympia-Andenken. Das Gebot für das Kostüm der Mary-Poppins-Darstellerin bei der Eröffnungsfeier lag am Dienstag bei über 500 Pfund. Auch der Original-Basketball aus dem Olympia-Endspiel sollte unter den Hammer kommen, genauso wie die Badehose von Wasserspringer Tom Daley. Sogar eine Flasche mit „olympischer Luft“ sollte Geld bringen.

Die meisten Briten sind nach dem Goldrausch und einem selten dagewesenen Gefühl des Nationalstolzes in Großbritannien der Meinung, dass Olympia gut für das Land war und sie stolzer gemacht habe, britisch zu sein. Dies gaben in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes GfK NOP für die BBC 80 Prozent der Befragten an. Noch im Juli hatten 53 Prozent der befragten Briten die Olympischen Spiele in London für Geldverschwendung gehalten.

Die Regierung hatte für Infrastruktur und Sicherheit bei den Spielen mindestens 9,3 Milliarden ausgegeben. Hinzu kommen Milliardenkosten zur Sanierung des öffentlichen Nahverkehrs und der Wasserwege rund um das Stadion. Nach dem Willen der Olympiaorganisatoren soll der Olympia-Park in Stratford vor allem der lokalen Bevölkerung zu Gute kommen. Dort entstehen in den nächsten Jahren Wohnungen und Freizeitmöglichkeiten.

So soll die Schwimmhalle in eines der modernsten öffentlich zugänglichen Schwimmbäder Großbritanniens umgewandelt werden. Auch die Radrennbahn und viele andere Wettkampfstätten bleiben erhalten. Für die Anmietung des Olympiastadions gibt es mehrere Bieter. Aus den Medienzentren soll ein Technologie-Park mit 3500 neuen Arbeitsplätzen werden – eine entsprechende Vorvereinbarung ist bereits unterzeichnet. In der Handball-Halle „Copper Box“ sollen künftig Musikkonzerte stattfinden.

Unterdessen haben mehrere Athleten aus afrikanischen Ländern Olympia als Gelegenheit genutzt, sich nach Großbritannien abzusetzen. Schon während die Wettbewerbe noch liefen, haben sieben Athleten aus Kamerun ihre Delegationen verlassen. Fünf Boxer hatten sich über ihren Sprecher in britischen Zeitungen zu Wort gemeldet. Eine Fußballerin und ein Schwimmer wurden noch vermisst. Scotland Yard suche auch nach vier Mitgliedern der Delegation des Kongo, sagte ein Sprecher der Londoner Polizei.

Die rauschende Schlussfeier am Sonntagabend war auch am Dienstag noch Gegenstand reger Diskussion auf der Insel. Die Organisatoren hatten sich nach Informationen des „Guardian“ hochkarätige Absagen, unter anderem von den Rolling Stones, Kate Bush und von David Bowie eingehandelt, dessen Song „Heroes“ zur inoffiziellen Olympia-Hymne geworden war. Eine Sprecherin der Stones begründete das „No“ von Mick Jagger und Co. in der „Times“ mit den Worten: „Sie sind nicht in Tour-Stimmung.“ (dpa)