Hockey-Olympiasieger Moritz Fürste spricht im Interview über das Gold-Team, Puppenspiele, Schokobrunnen und die Fortsetzung seiner Karriere.

London. Die Akkreditierung braucht Moritz Fürste nicht. Die Goldmedaille, die vor seinem nicht vorhandenen Bauch baumelt, weist den Mann vom Uhlenhorster Hockey-Club als Passagier der MS "Deutschland" aus, die die deutschen Olympioniken von London nach Hamburg bringt. Der Fototermin mit der gesamten Mannschaft ist gerade beendet, auf Deck 9 beginnen nun die Vorbereitungen für den Abend: Der DJ checkt den Sound, hinter den noch geschlossenen Jalousien der Bar hört man bereits Gläser klirren. Fürste, 27, der sich jetzt Doppel-Olympiasieger nennen darf, sieht man sein Glück an.

Hamburger Abendblatt: Herr Fürste, was war anstrengender: das Turnier oder die Feiern danach?

Moritz Fürste: Das Turnier. Es war sogar sehr anstrengend - für den Kopf, aber auch physisch. Die Feiern haben einfach Spaß gemacht. Man lebt so in den Tag und versucht es auszukosten. Am Sonntagabend fanden wir uns im olympischen Dorf plötzlich in einer Gruppe von 3000 Athleten wieder. Es wurde gequatscht, getanzt, alles Mögliche. Und dann war die Vorfreude auf die Schiffsreise schon groß. Ein besserer Abschluss der Spiele ist für mich als Hamburger gar nicht vorstellbar.

Genießt man den Olympiasieg bewusster, wenn man ihn, wie Sie 2008, schon einmal erlebt hat?

Fürste: Viel bewusster. Man macht sich viel stärker klar, was passiert, und lässt es nicht nur passieren. Das war schon während des Turniers so. Ich war viel weniger euphorisch.

Wie ist das zu verstehen?

Fürste: Alles lief viel kontrollierter ab als 2008. Es waren zehn Spieler dabei, die die Olympischen Spiele schon gewonnen haben. Die haben es gar nicht zugelassen, dass wir uns in irgendein Gefühl hineinsteigern. Beim zweiten Mal läuft man nicht mehr durchs olympische Dorf und fotografiert alles und jeden. Nur für Ryan Giggs habe ich eine Ausnahme gemacht, der ist für mich eine Fußballlegende. Halt! Tony Parker, den Basketballer, habe ich noch beim Kaffee abgegriffen.

Ist es genauso schwer, den Olympiasieg zu schaffen, wie ihn zu wiederholen?

Fürste: Beide Turniere waren unglaublich schwer und hatten ihre eigene Geschichte. Das jetzige wurde gekrönt durch eine überragende spielerische Leistung in Halbfinale und Finale. Wir haben es geschafft, im entscheidenden Moment bei 100 Prozent zu sein.

Wie?

Fürste: Da spielen ganz viele kleine Faktoren eine Rolle: die richtige Entlastung zwischen den Spielen, die mentale Vorbereitung, auch der Verzicht. Wir sprechen immer von dem Schokobrunnen, auf den wir verzichten müssen. So einen hatten wir wirklich mal bei einem Turnier in Japan. 2008 haben wir uns drei Wochen McDonald's-Verbot auferlegt. Das hat gar nicht konkret etwas mit dem Sport zu tun. Es gibt einem nur das Gefühl, eine Sache mehr für den Erfolg zu tun.

Gehören auch die Fingerpuppen dazu, mit denen Trainer Markus Weise die Mannschaft sich aufs Finale vorbereiten ließ?

Fürste: Sie waren für uns alle eine Überraschung. Umgekehrt haben wir den Betreuerstab mit der Kreativität, die wir an den Tag gelegt haben, überrascht. Da sind in einer Stunde drei Fünfminutenvideos entstanden, die wirklich vorzeigbar und witzig sind. Das war unsere Trainingseinheit. Unterbewusst hat man sich aber mit dem Gegner und den Mitspielern beschäftigt. Das war faszinierend zu sehen und hat Riesenspaß gemacht.

Täuscht der Eindruck, oder ist diese Mannschaft wirklich so eine verschworene Einheit?

Fürste: Ich habe nun schon einige Teams erlebt. Dieses ist unglaublich geschlossen. Die meisten schwimmen voll auf einer Wellenlänge. Und die etwas anders gepolt sind, bringen ihre Individualität, ihre Stärken ein. Das ist eine ideale Mischung.

Da spricht der Wirtschaftspsychologe. Ergänzt sich das Studium mit dem, was Sie im Sport erleben?

Fürste: Ich stelle immer wieder fest, dass der Mannschaftssport soziale Kompetenzen vermittelt. Vieles, was in Unternehmen passiert, kann man auch im Sport finden. Umgekehrt versuche ich auch meine Kenntnisse aus dem Studium, zum Beispiel in Teammeetings, einzubringen. Das hilft schon.

Der Olympiasieg 2008 hat nicht den großen Hockeyboom ausgelöst. Diesmal hatten Sie kaum Konkurrenz anderer Ballsportmannschaften.

Fürste: Keiner von uns überbewertet die Erfolgschancen von Hockey. Es wird in den nächsten vier Monaten nicht 30 000 neue Hockeyspieler geben. Aber es gab schon ein gesteigertes Interesse an unseren Spielen. Fünf Millionen Zuschauer, 22 Prozent Marktanteil in der Primetime hatten wir noch nie. Diese Chance hat Hockey genutzt. Vielleicht hat das bei dem einen oder anderen Unternehmen Interesse geweckt?

Ist eine Professionalisierung notwendig, um weiter international zu bestehen?

Fürste: Wir wandeln auf einem schmalen Grat. Belgien, Holland, auch Spanien rüsten auf. In der spanischen Liga werden Gehälter gezahlt, die es in der Bundesliga nicht gibt. Die Belgier richten nächstes Jahr eine Europameisterschaft aus und werden weiter investieren. Meine Sorge ist, dass wir es uns nicht werden leisten können, über mehrere Jahre nicht erfolgreich zu sein, weil uns dann Fördergelder wegbrechen.

Sie haben im Herbst einen Kreuzbandriss erlitten. Hätten Sie sich vorstellen können, jetzt mit der Goldmedaille hier zu sitzen?

Fürste: Ich habe es immer gehofft. Den Glauben daran habe ich nie verloren, wenngleich es zeitweise schwer vorstellbar war. Ich kann meinen Athletiktrainern Rainer Sonnenburg und Norbert Sibum und meinem Arzt Carsten Lütten gar nicht genug danken. Die Trainer haben mich jeden Tag getriezt, um es möglich zu machen.

Sie verlassen den UHC und wechseln nach Spanien, ohne deutscher Meister geworden zu sein. Schmerzt das?

Fürste: Nein. Das Finale verloren zu haben hat jedes Mal wehgetan. Aber die Erfahrung hat uns auch weitergebracht.

Was versprechen Sie sich von dem Wechsel vor allem?

Fürste: Ich freue mich auf die Erfahrung: eine neue Sprache zu lernen, einmal in anderen klimatischen Verhältnissen zu leben. Das alles wird eine Herausforderung, auf die ich mich unglaublich freue.

Was kann mit der Nationalmannschaft noch kommen, wenn man zweimal Olympiasieger war?

Fürste: Ein dritter Olympiasieg natürlich. Im Ernst: So weit habe ich nicht geplant. Sicher ist, dass ich erst einmal weitermache. Die EM 2013 in Belgien und die WM 2014 in den Niederlanden sind zwei Highlights, die ich gern mitnehmen würde. Wenn ich dann, mit um die 30 Jahren, noch körperlich und beruflich dazu in der Lage sein sollte, wäre ich blöd, wenn ich den Traum von Olympischen Spielen nicht noch ein drittes Mal realisieren würde.