Der 23-jährige Verteidiger sprach mit Alexander Laux über seine WM-Chancen, seine Zukunft in Hamburg und seine Heimatstadt Karlsruhe.

Abendblatt: Herr Aogo, wie fühlt man sich so als Streichkandidat?

Dennis Aogo: Dass nicht mit mir gerechnet wird, war vor der WM-Nominierung nicht anders, denn viele wurden von meinem Namen überrascht. Ich gehe jedoch sehr positiv mit der Situation um und bin ganz locker. Das sagt zwar jeder, aber es ist wirklich eine große Ehre für mich, zum Kreis der Nationalmannschaft zu gehören und mit Spielern zusammen zu sein, die populär in Deutschland sind.

Hemmt dieses Gefühl der Ehre nicht auch ein wenig?

Dieses Gefühl bedeutet ja nicht, dass man sich auf dem Platz verstecken muss. Ich werde hier behandelt, als ob ich schon ewig dabei wäre, innerhalb der Mannschaft gibt es keine großen Unterschiede, jeder kann seine Meinung sagen, auch kritisch, aber eben konstruktiv und fair. Es wird mir wirklich außergewöhnlich leicht gemacht. Großes Lob an die Mannschaftskollegen.

Wie schätzen Sie selbst Ihre Chancen ein, zum 23-Mann-Kader zu gehören?

Der Einstand gegen Malta ist mir ganz gut gelungen. In den vergangenen Tagen habe ich versucht, diesen Eindruck zu bestätigen. Die Entscheidung liegt nicht bei mir .

Wundern Sie sich manchmal selbst noch, wie schnell es mit Ihnen aufwärts ging? Denken Sie manchmal noch an die schwierige Anfangszeit nach Ihrem Wechsel aus Freiburg zum HSV zurück?

Klar, aber man wächst auch ein wenig mit der Situation mit, setzt sich immer kleinere Ziele. Und nachdem man diese erreicht hat, formuliert man die nächsten Ziele, sodass man nicht immer wieder an die Basis zurückdenkt. Aber es gibt natürlich diese Momente, besonders wenn ich im Verein mit Kollegen rede, die kaum zum Einsatz kommen.

Was raten Sie denen denn?

Eh, bleib mal ruhig, du weißt, wie schnelllebig Fußball ist. Ich glaube, dass sie mir eher zuhören als jemandem, der das noch gar nicht mitgemacht hat. Dadurch kann man kann sich mit mir auf Grund meiner Erfahrungen auf einer anderen Ebene unterhalten.

Als Sie anfangs noch nicht einmal im Kader waren…

…acht lange Spieltage...

…was hat Ihnen damals Halt gegeben?

Im Nachhinein kann man leicht sagen: Ich habe immer versucht, den Kopf nicht hängen zu lassen. Aber es gab Zeiten, in denen es schwierig für mich war. Ich hatte mir beim HSV große Ziele gesteckt und diese so ein bisschen aus den Augen verloren. Es war ja nicht so, dass ich nahe dran und im Team war, also wenigstens auf der Bank saß. Vielmehr war ich weit weg und musste teilweise separat, abseits der Mannschaft, trainieren. Das war keine einfache Situation, aber ich bekam auch immer Signale, dass die Gründe nicht leistungsbedingt, sondern der Tatsache geschuldet waren, dass ich aus der Zweiten Liga kam und zwei starke Spieler vor mir standen. Thimothee Atouba hatte beim HSV jahrelang gute Leistungen gebracht. Dazu kam mit Marcell Jansen ein deutscher Nationalspieler. Aber ich merkte, dass ich im Training mithalten kann, was mir Martin Jol auch bestätigte. Er forderte mich auf, geduldig zu sein.

Dann hat sich Atouba verletzt…

…und fast zeitgleich auch Jansen. So kam meine Chance.

Was haben Sie seit 2008 dazugelernt?

Man selber merkt das nicht so. Leute von außen, die mich schon länger kennen, meinen, dass ich viel athletischer geworden bin.

Haben Sie an Muskelmasse zugelegt?

Nicht unbedingt, aber ich wirke auf sie fitter. Ich kann mehr Wege gehen, bin dynamischer in meinen Aktionen. Ich selbst erkenne das nicht so.

Wie häufig sind Sie in der alten Heimat?

Meinen Sie jetzt Freiburg?

Nein, Karlsruhe.

Gefühlsmäßig ist das tatsächlich meine Heimat, meine ganze Familie lebt dort noch, auch wenn ich mich schon ein wenig entfremdet habe, weil ich schon so viele Jahre nicht mehr dort gelebt habe. Wenn meine Geschwister von Straßennamen sprechen, kann ich die schon nicht mehr so richtig zuordnen. Obwohl Hamburg sehr schön ist, habe ich, Stand heute, noch vor, nach meiner Karriere wieder in die Gegend von Karlsruhe zu ziehen.

Was zieht Sie dorthin?

Schwer zu beschreiben, das ist Heimat. Wenn ich dort bin, habe ich ein Gefühl, zuhause zu sein. Aber vielleicht entwickelt sich ja noch etwas anderes, schließlich bin ich erst das zweite Jahr in Hamburg. Meine Freundin kommt auch aus dem Süden, aus dem Raum Lörrach, und auch sie zieht es zu ihren Ursprüngen zurück.

Für Sie hat der Begriff Heimat auch bei der Wahl der Farbe des Nationaltrikots eine Rolle gespielt. Haben Sie irgendwann gewackelt?

Als ich das mit Nigeria gehört habe, musste ich tatsächlich ein paar Tage darüber nachdenken. Wenn man sich mit Fußballern unterhält, die schon einmal an einer WM teilgenommen haben, hört man, dass dies das Größte und mit nichts zu vergleichen sei. Ich glaube, als Fußballer muss es das Ziel sein, das Bestmögliche aus seiner Karriere rauszuholen. Dafür haben wir etwa 15 Jahre Zeit, um irgendwas Greifbares nach der Karriere zu haben. Dazu gehören meiner Meinung nach Titel, aber auch Teilnahmen an großen Turnieren. Wenn ich eine Sicherheit habe und ein Verband wie Nigeria mir sagt: Dennis, hör’ zu, du bist dabei, dann ist das völlig legitim, darüber nachzudenken. So war das bei mir auch. Trotzdem habe ich immer irgendwie gezögert und mir gesagt: Dennis, wenn du da bist, ist es eine völlig andere Kultur, die Leute werden dich auch nicht als Afrikaner anerkennen. Natürlich wird das alles anders, weil viele in Europa aufgewachsene Afrikaner für ihr Land spielen, aber man wird eben nie ein Einheimischer sein.

Was den Spaß und die Freude durchaus beeinträchtigen könnte.

Genau. Dazu kommt, dass in vielen Ländern und Verbänden nicht alles so gut organisiert und strukturiert wie in Deutschland ist. Aber entschieden habe ich nur emotional. Ich war nur einmal für 14 Tage in Nigeria, da war klar, wohin ich tendierte.

Warum waren Sie nicht häufiger im Land Ihres Vaters?

Vor 2006 war es finanziell einfach nicht möglich, weil wir eine siebenköpfige Familie sind mit fünf Kindern. Mein Vater hätte nicht mit einem Kind nach Afrika fliegen und die anderen in Karlsruhe lassen können. Das geht nicht. Somit habe ich es mir mit meinem eigenen Geld ermöglicht.

Zusammen mit dem Vater?

Er war dabei, ja.

Welche Rolle spielte Ihr Vater in Ihrer Karriere?

Er hat mir den Sport praktisch in die Wiege gelegt hat, mit mir immer mit dem Ball gespielt, weil er früher selbst fanatischer Fußballer war und in der Dritten Liga in Nigeria gespielt hat. Er war überall dabei, bei allen Turnieren und hat Stress innerhalb der Familie in Kauf genommen

Weil Sie bevorzugt wurden…

Richtig. Weil er immer mit mir unterwegs war und die anderen vier ein wenig vernachlässigt wurden. Aber im Endeffekt hat sich alles gelohnt, und das macht ihn umso stolzer.

Wie ist Ihr Kontakt zur Familie in diesen Tagen?

Abgesehen davon, dass ich meinem Vater am Telefon gesagt habe, dass wir gut angekommen sind, bin ich ziemlich abgeschnitten von der Außenwelt. Mein Handy lag in der Ecke, ich habe die Zeit genutzt, mich auf das Sportliche zu fokussieren. Wir haben intensiv trainiert. Die restliche Zeit habe ich mit meiner Freundin verbracht.

Was machen Ihre Geschwister, haben sie auch etwas mit Sport zu tun?

Nein, absolut gar nichts.

Was machen sie denn?

Ich muss dazu sagen, ich bin in Oberreut aufgewachsen, einem Bezirk, wo es nicht so ganz einfach war. Mit einer hohen Arbeitslosenquote, mit der sozial schwächste Standort in Karlsruhe. Trotzdem haben alle Arbeit und versuchen, einen guten Job zu machen. Davor habe ich großen Respekt.

Bekommen Sie das in der Familie gut geregelt, wenn einer in der Sippe so gutes Geld verdient?

Es gibt schon mal Reibereien in der Familie. Geld kann immer ein Streitfaktor sein, der Stress bereitet. Ich versuche aber schon zu helfen, wo es nur geht.

Wie machen Sie das? Schließlich werden Sie die Familie ja nicht erniedrigen wollen.

Es ist nicht einfach. Es kommt noch dazu, dass ich der Jüngste bin, was für meine älteren Geschwister manchmal ein bisschen schwierig ist. Aber man kann ihnen in gewissen Situationen auch das Gefühl geben: Hey, ich helfe dir, aber nur in einem gewisse Maße. Das ist schwer, weil ich ja in der Position bin, helfen zu können. Aber es ist nicht immer hilfreich, nur zu geben. Man muss wissen, wann der richtige Zeitpunkt ist. Grundsätzlich bin ich froh, in der Situation zu sein, helfen zu können – und das werde ich auch in Zukunft tun.

Man sagt über Sie, Sie würden sehr professionell arbeiten. Hatten Sie diesen Ehrgeiz schon immer?

Nein, absolut nicht, das hat sich erst in Freiburg im Internat entwickelt, als ich im Umfeld viel mit Fußball beschäftigt war. Vorher war ich eigentlich überhaupt nicht der Motivierte, sondern eher der etwas Chaotische, der Faule, der immer zu dick war, zu wenig gelaufen ist und deshalb von den Trainern immer eins auf die Mütze bekommen hat. Das hat sich wirklich erst in der B- und A-Jugend verbessert.

Wann hat es Klick gemacht? Gab es einen Impuls?

Das weiß ich nicht bewusst. Aber es gab einen Trainer, der mir in den Hintern getreten hat, der mit viel Aufwand versucht hat, mich in die richtige Bahn zu lenken.

Sie sind in einer Großfamilie aufgewachsen, im Profifußball dominieren die „Ich-AGs“ jeder verfolgt seine eigenen Interessen. Ist das eine Sache, mit der man klarkommen muss in den ersten Jahren?

Es war auf jeden Fall eine Umstellung. Ich kam aus Freiburg, einem Verein, in dem alles familiär war, nach Hamburg. Viele Spieler unternahmen auch privat was miteinander. Es gab viele Gleichaltrige, mit denen man auch im Internat aufgewachsen und unter denen der Zusammenhalt groß war. Und dann kommt man eben zu einem großen Verein, wo es anders ist, da muss man sich schon ein bisschen dran gewöhnen und versuchen, sich sein eigenes, kleines Umfeld aufzubauen, in dem man sich wohl fühlt.

Wie können Sie abschalten vom Fußball?

Das fällt mir schwer, ich mache mir grundsätzlich viele Gedanken über Fußball. An einem Spiel, in dem es nicht gut läuft, habe ich noch lange zu knabbern. Wenn es jemandem gelingt, mir beim Abschalten zu helfen, ist es meine Freundin. Aber es ist nicht leicht.

Keine Chance zur Zerstreuung?

Es gibt viele Dinge, die ich gerne tue, aber es ist schwierig, diese Sportaktivitäten noch nebenbei zu machen. Tennis spiele ich gerne. Aber bei dem Niveau und den Belastungen muss man schauen, dass man regeneriert, wenn man nicht auf dem Trainingsplatz steht. Billard spiele ich ab und zu.

Machen Sie etwas für den Kopf?

Nein, das muss ich. Ich weiß noch nicht, in welche Richtung, aber eine Beschäftigung werde ich mir suchen, damit man außerhalb des Fußballs etwas hat, was Spaß macht. Ich habe vor, mich regelmäßig bei bestimmten Organisationen zu engagieren, weil es mir Spaß macht, Leuten zu helfen. Ohne Geld. Sich einfach für Menschen zu engagieren, macht mir Spaß. In der Rolle könnte ich aufgehen. Das werde ich in nächster Zeit angehen.

Hängt das damit zusammen, dass Sie in einem schwierigen Umfeld aufgewachsen sind?

Nicht bewusst, aber es ist gut möglich, dass ich mich ein Stück verantwortlich fühle, etwas zurückzugeben. Weil ich der Meinung bin, dass wir unheimliches Glück haben, mit einem Superjob, einem super Umfeld viel Geld zu verdienen. Man sollte den Leuten, die diese Möglichkeit nicht haben, ein Stück zurückgeben.

Häufig wird im Profifußball über mangelnde Identifikation gesprochen. Wie lange braucht es, um sich mit einem Klub zu identifizieren?

Das ist nicht zeit-, sondern typabhängig. Man kann jetzt nicht pauschal sagen: Nach zwei Jahren küsse ich die Raute. Es geht eher darum: Wie interessiert man sich für den Verein, wie informiert man sich über das Drumherum. Es gibt ja auch Spieler, die gehen nach einem Spiel nach Hause und alles weitere interessiert sie nicht. Wenn man aber ein gewisses Interesse für die Geschichte und Philosophie des Vereins hat, dann identifiziert man sich auch damit, und in dem Moment kann man das auch repräsentieren.

Und wofür steht der HSV für Sie?

Für eine große Fußballgeschichte und außergewöhnliche Fans. Was ich bis jetzt erlebt habe, ist mit das Beste, was ich bisher gesehen habe. So fanatisch und begeistert, so was habe ich selten gesehen, auch auswärts. Das beeindruckt mich schon.

Das Interesse des AC Mailand ist bekannt. Bleiben Sie beim HSV?

Ich werde mich erst nach dem Ende der Saison mit meinem Berater Gordon Stipic zusammensetzen und zusammenfassend analysieren, was gut und was schlecht war. Fakt ist, dass ich mich sehr wohl fühle in Hamburg, trotz des nicht so positiven Saisonausklangs. Der HSV ist ein besonderer Verein, und ich würde mich freuen, wenn ich ein Teil einer Gruppe sein dürfte, die in Hamburg etwas Spezielles erreicht. Vielleicht wird es eine lange Geschichte mit mir und dem HSV.

Letzte Frage: Was machen Sie, wenn Sie nicht bei der WM dabei sind?

Dann fahre ich mit meiner Freundin in den Urlaub, auch wenn wir die Termine koordinieren müssen, weil sie Bassistin in einer Band ist. Und ganz sicher werde ich meine Familie besuchen und dort gemeinsam einige Spiele sehen.