Das Sportgespräch

Die amerikanische Schwimm-Legende Mark Spitz über Olympische Spiele in der HafenCity, Doping, das IOC und seinen Schnauzbart. ABENDBLATT: Mister Spitz, Sie haben elf olympische Medaillen gewonnen und 35 Weltrekorde aufgestellt. Warum waren Sie vor 30 Jahren als Schwimmer einzigartig? SPITZ: Ich habe trainiert. Sehr viel und sehr hart trainiert, mit den besten Trainern, die es gab. Mein Training bestand die meiste Zeit aus Schwimmen. Das war sehr langweilig. Aber andere Trainingsmethoden kannten wir damals nicht. Wir hatten noch keine Ahnung vom gezielten Krafttraining. Das haben wir später aus der DDR übernommen. Mein Vorteil gegenüber den anderen Athleten war, dass ich sehr beweglich war und sehr viel Kraft im Oberkörper hatte. Außerdem habe ich in einem Stadion trainiert, in dem die Bahn 55 Yards lang war. Das sind rund 30 Zentimeter mehr als auf 50-Meter-Bahnen. Aus diesem Grund kam es mir bei internationalen Wettkämpfen so vor, dass ich schneller schwamm als sonst; ein psychologischer Vorteil, weil ich mich dadurch noch stärker fühlte. ABENDBLATT: Sie trugen zu einer Zeit Schnauzbart, als sich die ganze Schwimm-Welt rasierte, um noch schneller zu werden. Wie konnten Sie die Gesetze der Physik überlisten? SPITZ: Dazu kann ich Ihnen eine amüsante Geschichte erzählen: Jedes Team hatte 1972 in München spezielle Trainingszeiten, wir aber keine um sechs Uhr abends zum Zeitpunkt der Endläufe. Ich wollte mich an die Lichtverhältnisse gewöhnen und fragte deshalb bei der russischen Mannschaft an, ob ich ein paar Bahnen ziehen könnte. Zu meiner Überraschung gestatteten sie mir das, und als ich im Wasser war, wusste ich, warum. An beiden Beckenenden waren Fenster, von den sie meinen Schwimmstil fotografieren wollten. Also machte ich immer kurz vor der Wende merkwürdige Armbewegungen. Sie sprachen mich hinterher höchst erstaunt darauf an, und ich erklärte ihnen das mit Besonderheiten meines Körpers. Und was mit meinem Bart sei, wollten sie dann wissen. Ich erklärte, dass dieser das anströmende Wasser teilen würde, und ich deshalb eine höhere Kopflage im Wasser hätte. Zur Bestätigung dieser Theorie gewann ich anschließend auch noch sieben Mal Gold. Ein Jahr später trugen alle Russen Schnauzbart - und die DDR-Mädchen auch. ABENDBLATT: Womit wir beim Reizthema Doping wären. Sie greifen das Internationale Olympische Komitee (IOC) immer wieder an, weil es nicht konsequent genug dagegen vorginge. SPITZ: Es wäre heute relativ leicht möglich, mit DNA-Tests jede Art von Beimischungen im Blut festzustellen. Stattdessen lässt das IOC die Blut- und Urinproben der Athleten nur auf 35 bis 50 Mittel untersuchen, obwohl es mindestens die dreifache Menge an verbotenen Substanzen auf dem Schwarz-Markt gibt. Natürlich sind dann bei den Test die meisten Sportler sauber, weil die meisten wissen, was sie nehmen dürfen und was nicht. ABENDBLATT: Das IOC argumentierte jahrelang, fehlendes Geld und national unterschiedliche Gesetzgebungen würden eine noch konsequentere Bekämpfung des Dopings verhindern. SPITZ: Wie naiv sind Sie? Das IOC, Fernsehen und Sponsoren wollen sich ihre teure Show nicht kaputtmachen lassen. Es wurden wiederholt bei Olympischen Spielen ertappte Dopingsünder nicht bestraft. 2000 in Sydney sind zehn US-Athleten positiv getestet worden - bis heute ist nichts geschehen, weil die Ermittlungen nicht abgeschlossen seien und es zu keinen Vorverurteilungen kommen dürfte. 1988 in Seoul gab es nach dem Kanadier Ben Johnson einen ähnlich prominenten Dopingfall bei einer US-Sprinterin. Der wurde vertuscht, um die Spiele nicht vollständig zu diskreditieren. ABENDBLATT: Wer war es? SPITZ: Ich werde Ihnen den Namen nicht sagen. Man soll die Toten ruhen lassen. ABENDBLATT: Glauben Sie, die neu geschaffene Internationale Anti-Doping-Agentur (WADA) könnte Bewegung in die Szene bringen? SPITZ: Beim IOC gab es bisher drei Grundsätze: der erste hieß Geld, der zweite mehr Geld und der dritte am meisten Geld. Ein weiteres Beispiel: Als 1998 vor der WM in Perth eine chinesische Schwimmerin vom australischen Zoll mit einer Riesenmenge Wachstumshormone im Gepäck erwischt wurde, hätte nach den Regularien das chinesische Team für vier Jahre gesperrt werden müssen. Auf Druck amerikanischer TV-Netzwerke, die um ihre Einschaltquoten für die Spiele 2000 bei zu langweiligen Schwimm-Wettbewerben fürchteten, ist der damalige IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch extra nach Australien geflogen, um den drohenden Schaden abzuwenden. In der Tat konnten die Chinesen dann in Sydney teilnehmen. ABENDBLATT: Sehen Sie ähnliche Tendenzen bei Samaranchs Nachfolger, dem belgischen Arzt Jacques Rogge? SPITZ: Nein! Mit ihm verbinde ich große Hoffnungen, und er hat auch schon gezeigt, dass er für einen Kurswechsel steht. ABENDBLATT: Was erwarten Sie von Rogge? SPITZ: Er ist ein ehemaliger Olympiateilnehmer, ein Segler, der deshalb weiß, was bei Olympia zu allererst zählen sollte: die Athleten. Er scheint bereit, Fehlentwicklungen zu korrigieren. Nehmen sie den Punktrichterskandal bei den olympischen Eislaufwettbewerben in Salt Lake City 2002. Rogge hat innerhalb von zwei Tagen nachhaltige Änderungen bewirkt, in dem er den Ausschluss der Sportart von Olympia androhte. Mehr ehemalige Spitzensportler in den wichtigsten Gremien würden der olympischen Bewegung sicherlich helfen. Natürlich werden Geld, Vermarktung und TV-Rechte immer eine bedeutende Rolle spielen, die Sportler sollten in diese Bedeutungsreihe jedoch wieder aufgenommen werden. Rogge ist der Mann, der das schaffen kann. ABENDBLATT: Welche Gefahren sehen Sie auf die Olympischen Spiele noch zukommen? SPITZ: Fernsehnetzwerke, die schon heute für Olympia Einschaltquoten-trächtige "Dream Teams" zusammenstellen, oder Ausrüster wie Nike könnten ihre eigenen Weltspiele veranstalten, indem sie für einen exklusiven Kreis von Sportarten und Athleten astronomische Preisgelder aussetzen. Schon heute nutzt Nike das Dach Olympias, ohne dem IOC einen Cent zu zahlen. Die haben eben die besten Wettkämpfer unter Vertrag und schalten TV-Werbespots während der Olympia-Übertragungen. Das Ganze kostet sie rund 40 Millionen Dollar. Die zehn offiziellen Hauptsponsoren des IOC müssen aber 60 Millionen Dollar aufbringen, ohne dass ihr Logo bei Olympia zu sehen ist, weil vor Ort Werbefreiheit herrscht. ABENDBLATT: Wie könnte die von Ihnen skizzierte Entwicklung verhindert werden? SPITZ: Mein Vorschlag wäre, jeden olympischen Wettbewerb mit einer Million Dollar Preisgeld zu dotieren. Aber als ich diese Idee Juan Antonio Samaranch erzählte, winkte der nur kurz ab. ABENDBLATT: Zunächst gibt es andere Probleme zu lösen. Die Spiele 2004 finden in Athen statt. SPITZ: Und das wird das absolute Chaos! Viele der geplanten neuen Wettkampfstätten werden nicht fertig. Deshalb müssen die Organisatoren auf alte Wettkampfstätten zurückgreifen. Es werden bestimmt keine guten Bedingungen für die Athleten sein. Außerdem ist die Stadt ein Sicherheitsrisiko. ABENDBLATT: Inwiefern? SPITZ: Athen zählt zu den wenigen Hauptstädten der Welt, in die der US-Geheimdienst den Präsidenten nicht reisen lässt, weil er dort nicht ausreichend geschützt werden kann. Die USA werden ihre Athleten in Athen mit eigenem Sicherheitspersonal bewachen. Es klingt komisch, aber dieses Chaos wird ein Vorteil für Deutschland. ABENDBLATT: Warum? SPITZ: Weil das IOC bei der Vergabe der Spiele im Sommer 2005 nicht noch mal den Fehler machen wird, die Spiele in ein Land zu vergeben, das diese nicht gut ausrichten kann. Und die Deutschen haben nun mal den Ruf, hervorragende Organisatoren zu sein. Und von den fünf deutschen Kandidaten ist die Hamburger Bewerbung in meinen Augen die international aussichtsreichste. ABENDBLATT: Was ist das Besondere am Hamburger Konzept? SPITZ: Jede Stadt ist in der Lage, ein Olympiastadion zu bauen. Aber das Hamburger Modell mit dem Umbau der HafenCity ist einmalig. Hier sind die Spielstätten so nah am olympischen Dorf, dass man sie zu Fuß erreichen kann. Das ist vor allem für die Athleten sehr komfortabel. Das erinnert mich an die Spiele von München. Dort war es einzigartig. Das gabs danach nicht wieder. ABENDBLATT: Sportlich gesehen haben Sie bestimmt nur gute Erinnerungen an die Spiele 1972. SPITZ: Die Spiele waren perfekt organisiert. Das olympische Dorf lag sehr zentral, alles war wunderbar zu Fuß zu erreichen. Das hat sich positiv auf meine Leistung ausgewirkt. ABENDBLATT: Sie kommen gerade aus München, wo Sie sich für den NDR das Olympiagelände noch einmal angeschaut haben. SPITZ: Was mich neben der einzigartigen Architektur fasziniert, ist die Tatsache, dass die Sportstätten noch immer genutzt werden. Im Olympiastadion spielen zwei Fußball-Bundesligavereine, in der Olympiahalle finden Konzerte statt, und Freizeitschwimmer können unser Wettkampfbecken heute jeden Tag benutzen. ABENDBLATT: Die Organisation der Spiele von München ist ein gutes Vorbild für Hamburg? SPITZ: Ohne Zweifel. Deshalb wünsche ich den heutigen Sportlern, dass auch sie in den Genuss von Spielen kommen, die in einer deutschen Stadt stattfinden. ABENDBLATT: Sie waren ein Berater Stockholms, als sich die Stadt um die Ausrichtung der Spiele 2004 bewarb. Könnten Sie sich vorstellen, Hamburgs Bewerbung zu unterstützen? SPITZ: Das wäre bestimmt sehr interessant für mich. Bisher habe ich darüber aber noch nicht mit der Hamburger Bewerbungsgesellschaft gesprochen. ABENDBLATT: Könnten Sie sich vorstellen, sogar Präsident des IOC zu werden? SPITZ: Ohne Zweifel. Als Sportler war ich durch meine Erfolge immer ein Botschafter der olympischen Idee. Heute könnte ich dies auf Grund meiner Erfahrungen sein. Ich müsste nur gefragt werden. Der IOC-Präsident hat zu einem großen Teil repräsentative Funktionen. An einem Tag trifft er die Königin von England, an einem anderen Tag schüttelt er dem US-Präsidenten die Hand. Das habe ich alles schon erlebt und brauche dies nicht mehr. Ich könnte mich direkt den Sachthemen widmen. Aber derzeit bin ich nicht genug beteiligt. Alles, was ich derzeit tun kann, ist, meine Meinung zu äußern. ABENDBLATT: Nach Ihrer Karriere als Schwimmer haben Sie Millionen verdient und sind nun Familienvater. Haben Sie noch Träume? SPITZ: Natürlich. Allerdings denke ich dabei weniger an mich, sondern viel mehr an meine eigenen Kinder. Ich habe zwei Söhne. Ich wünsche mir, dass sie ihre eigenen Träume verwirklichen können. Außerdem würde ich gerne stärker in die olympische Bewegung eingebunden sein. Interview: Till Jecke, Rainer Grünberg