Manfred von Richthofen, Präsident des Deutschen Sportbundes, über die deutschen Chancen, die dritte Sportstunde und Fritz Walter.

ABENDBLATT: Herr Präsident, wissen Sie schon, welchem Bewerber Sie bei der Wahl des deutschen Kandidaten für die Olympischen Sommerspiele 2012 am 12. April in München Ihre Stimme geben? MANFRED VON RICHTHOFEN: Davon dürfen Sie ausgehen. Aber wer es ist, werde ich nicht vorher öffentlich ausposaunen. ABENDBLATT: Hat die Olympiabewerbung dem deutschen Sport geholfen, oder sind für kurzfristige PR-Effekte Millionen verpulvert worden? VON RICHTHOFEN: Die Bewerbungskampagne hat dem deutschen Sport sehr gut getan. Und beim Deutschen Sportbund sehen wir uns in wichtigen sportpolitischen Positionen gestärkt. ABENDBLATT: Welche sind das? VON RICHTHOFEN: In den fünf betreffenden Bundesländern soll die dritte Pflichtsportstunde wiederbelebt werden. Dabei haben sich die Kultusminister persönlich sehr eingebracht. Dann sind wir mit der Installierung von Eliteschulen vorangekommen, da herrscht jetzt eine größere Aufgeschlossenheit. Zum Dritten sind in allen Ländern die Haushaltspositionen für die Nachwuchsförderung verstärkt worden. Wir hoffen, dass davon auch eine Signalwirkung an die anderen Länder ausgeht. ABENDBLATT: Wie beurteilen Sie die Kampagnen der Städte? VON RICHTHOFEN: Überrascht hat mich die sehr gründliche Vorarbeit der Kandidaten. Bei den Bewerbern für die Segelwettbewerbe hat es da ein größeres Gefälle gegeben. Positiv ist auch das enge Zusammenwirken der Städte mit den Landesregierungen. Auf diese Weise entstanden sehr fundierte Bewerbungen mit großer Aussagekraft. ABENDBLATT: Wie beurteilen Sie die Aktivitäten der Hansestadt? VON RICHTHOFEN: Hamburg hat einen deutlichen Schritt nach vorn gemacht. Es gab vor der Bewerbung deutliche Defizite im Leistungssport generell und hinsichtlich des Schulsports im Besonderen. Hier hat ein generelles Umdenken eingesetzt. Es gibt gemeinsame Anstrengungen aller gesellschaftlichen Kreise für das große Ziel Olympia, das ist äußerst positiv. Ich hoffe, dass das auch so bleibt, sollte Hamburg nicht den Zuschlag bekommen. ABENDBLATT: Wie haben Sie die Rolle des Hamburger Sportbundes erlebt? VON RICHTHOFEN: Ich sage es mal so: Der HSB hat sich eingebracht. Punkt. ABENDBLATT: Hamburger Großveranstaltungen wie der Marathon, die HEW-Cyclassics oder der Weltcup-Triathlon haben auf beeindruckende Weise Spitzen- und Breitensport verknüpft. Ist diese Verbindung zukunftsweisend? VON RICHTHOFEN: Sie wird die entscheidende Frage in der Sportpolitik der Bundesrepublik überhaupt sein. Hamburg hat hier aber keineswegs eine besondere Führungsrolle. ABENDBLATT: Seit drei Wochen liegt der Evaluierungsbericht vor. Wie haben Sie ihn aufgenommen? VON RICHTHOFEN: Er hat mich teilweise sehr überrascht. Wenn ich hätte werten müssen, wäre ich mit Sicherheit teilweise zu anderen Ergebnissen gekommen. ABENDBLATT: Welche Bedeutung messen Sie dem Bericht im Zuge der Abstimmung bei? VON RICHTHOFEN: Er ist ausschließlich eine Entscheidungshilfe, nicht mehr. Den Wahlberechtigten sind wichtige Fakten an die Hand gegeben worden, nach denen sie ein fundiertes Urteil fällen können. ABENDBLATT: Kritiker befürchten, dass die Wahl von einem Machtkartell um DSB-Vizepräsident Ulrich Feldhoff, der ja auch maßgeblichen Anteil am Machtwechsel an der NOK-Spitze hatte, beeinflusst werden könnte. Teilen Sie diese Sorge? VON RICHTHOFEN: Ich kenne Herrn Feldhoff zu gut, um mir so etwas vorstellen zu können. Natürlich ist er ein begeisterter Bürger von Nordrhein-Westfalen, aber einen gewissen Lokalpatriotismus darf man keinem übel nehmen. Dies in irgendeine Verbindung zur Wahl von Herrn Steinbach zu bringen kann nur jemand tun, der die Strukturen im deutschen Sport nicht richtig kennt. Es gab eine allgemeine Aufbruchstimmung zur Erneuerung im NOK. Im Übrigen war auch ich für diesen Wechsel, ebenso wie IOC-Mitglied Dr. Thomas Bach. Das alles hat aber überhaupt nichts mit der Olympiabewerbung zu tun. ABENDBLATT: Welche Aspekte werden bei der Abstimmung im Vordergrund stehen: regionale, sportpolitische, verbandspolitische oder internationale? VON RICHTHOFEN: Ich hoffe jene, die uns international weiterhelfen. Wichtig ist, dass es eine breite Zustimmung in der Bevölkerung gibt. Hier hat zum Beispiel Frankfurt Probleme. Ein anderes wichtiges Kriterium sind Spiele der kurzen Wege und ein ausgefeiltes Verkehrskonzept. Das hat IOC-Präsident Jacques Rogge mehrfach betont. Eine sehr wichtige Rolle wird auch eine vernünftige Nachnutzbarkeit der Anlagen spielen. Keiner will Potemkinsche Dörfer, die später verfallen und verrotten. Und wichtig sind nicht zuletzt auch die Arbeitsmöglichkeiten der Medien. ABENDBLATT: Das klingt alles sehr vernünftig. Doch sind Sie überzeugt, dass die Abstimmenden dies alles bei ihrem Votum bedenken werden? VON RICHTHOFEN: Ich bin ja kein Hellseher und kann auch keine Gehirnwäsche veranstalten. Dass es in Hamburg und Leipzig Befürchtungen gibt, regionale Überlegungen könnten bei der Wahl allzu sehr in den Vordergrund gerückt werden, kann ich verstehen. Aus diesen Ländern kommen schließlich relativ wenig Stimmberechtigte. Auch ich teile diese Sorge, habe aber in allen möglichen Reden ausdrücklich vor dieser begrenzten Sichtweise gewarnt. Wir müssen die Stadt wählen, die international die größte Chance hat. ABENDBLATT: Nach Lesart des NOK-Präsidenten Klaus Steinbach soll es am 12. April keine Verlierer, sondern einen großen und vier kleine Gewinner geben. Glauben Sie, dass die unterlegenen Kandidaten wirklich hinter dem Sieger zu versammeln sein werden? VON RICHTHOFEN: Es wird nur einen Gewinner und vier Unterlegene geben, wenngleich auch sie von der Bewerbung insgesamt profitieren werden. Ich hoffe, dass sich auch sie mit ihren besten Kräften hinter die nationale Bewerbung stellen werden. Nur so sind wir international konkurrenzfähig. ABENDBLATT: Welche Chancen räumen Sie dem deutschen Bewerber im internationalen Wettbewerb ein? VON RICHTHOFEN: Wir haben eine herausragende Chance, weil den Deutschen zugetraut wird, dass sie solch ein Großereignis perfekt organisieren können. Hier könnte Deutschland im Grunde auch von den vielen logistischen Problemen Athens profitieren. Inzwischen bereut fast jedes zweite IOC-Mitglied das Votum für den Olympiaort 2004. Zum Zweiten gilt Deutschland als sehr sportfreundliches Land. Ein Drittel aller Bundesbürger ist in Vereinen organisiert, zählt man die vielen Freizeitsportler noch hinzu, kommt man sogar auf einen Wert von 50 Prozent. Zudem gelten die Deutschen als überaus gastfreundlich und charmant. Das haben sie in München 1972, trotz des grauenvollen Attentats auf die israelische Delegation, schon einmal bewiesen, zuletzt auch bei den fröhlichen Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Stuttgart. Und auch hinsichtlich des Sicherheitsaspektes wird uns ein hohes Maß an Kompetenz zugebilligt. ABENDBLATT: Passt so eine Olympiabewerbung in die Zeiten der Wirtschaftskrise? VON RICHTHOFEN: Gerade. Umgekehrt muss man es sehen, das sagen auch führende Wirtschaftsexperten wie der Hamburger Unternehmer Michael Otto. Olympia ist auch eine große Chance, wieder auf die Bundesrepublik und ihren Markt aufmerksam zu machen. Und dabei können die Spiele mehr bewirken als die Expo, von der sich immer mehr Länder zurückziehen. ABENDBLATT: Wie steht es um die gesellschaftspolitische Akzeptanz der Olympiabewerbung? Wer soll den Franz Beckenbauer für 2012 geben? VON RICHTHOFEN: Der Kaiser ist natürlich einmalig, auch aus der Sicht der Medien. Ich bin aber sicher, dass wir maßgebliche Persönlichkeiten finden, die die Bewerbung international transportieren. Das muss ja nicht zwangsläufig eine Person des Sports sein. Denkbar sind auch Vetreter aus der Wirtschaft, der Politik oder der Kultur, die internationales Ansehen genießen. ABENDBLATT: Es gab Überlegungen, im Zuge der Gesundheitsreform Sportunfälle separat versichern zu lassen. Haben Sie auch hier Ihren Einfluss geltend gemacht? VON RICHTHOFEN: Wir hatten genau zu diesem Thema vor einigen Tagen ein Gespräch mit dem Bundeskanzler und der Bundesgesundheitsministerin. Seit der letzten Regierungserklärung des Kanzlers ist die separate Versicherung vom Tisch. Herum geistert nun immer noch die Sonderversicherung für Extremsportarten, aber auch dieses Problem wird in Kürze vom Tisch sein, nicht zuletzt weil die Definition von Extremsportarten extrem problematisch ist. ABENDBLATT: Welches sind die wichtigsten Problemfelder des DSB in den kommenden Jahren? VON RICHTHOFEN: Wichtigstes Thema ist eine umfassende Gesundheitskampagne. Gesundheit durch Bewegung, dieser elementare Zusammenhang muss den Menschen vermittelt werden. Die Devise muss lauten: weniger Pillen und Arztbesuche, dafür mehr Sport. Ein anderes wichtiges Problemfeld ist die weitere Stärkung des Ehrenamtes. Der Sport lebt von gut motivierten Betreuungskräften, damit wird sich demnächst auch ein neuer Bundestagsunterausschuss beschäftigen. Unabdingbar ist zudem eine weitere Stärkung der Vereine, auf denen der Spitzensport basiert, sowie ein Ausbau der Eliteschulen in enger Verbindung mit den Olympiastützpunkten. ABENDBLATT: Wie steht es um die Pläne für eine größere Fernsehpräsenz von Randsportarten? VON RICHTHOFEN: Das bleibt ein wichtiges Thema, weil die Unterstützung der Wirtschaft in starkem Maße abhängig ist von der Präsenz im Fernsehen. Mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten verhandeln wir deshalb weiter über einen Sportkanal. Ob er kommt, wird auch entscheidend von der geplanten Gebührenerhöhung abhängen. Inzwischen haben sich aber angeblich nicht so medienwirksame Sportarten ihren Platz im Programm längst gesichert. Ich kann mich noch an Diskussionen mit Intendanten erinnern, die mir sagten, ich solle ihnen mit diesem Scheiß-Wintersportgeknalle aufhören. Inzwischen ist Biathlon ein Renner. ABENDBLATT: Kommen Sie selbst gelegentlich zu Leibesübungen? VON RICHTHOFEN: Wenn ich meinen Bandscheibenvorfall auskuriert habe, werde ich versuchen, wieder häufiger Mountainbike zu fahren, weil mir das am besten bekommt. Zweimal pro Woche so um die 20 km wäre wünschenswert, klappt aber nicht immer. ABENDBLATT: Welchen Sport sehen Sie im Fernsehen am liebsten? VON RICHTHOFEN: Ich bin ein großer Fan der Fußball-Bundesliga. Ich würde gern häufiger auch Hockey sehen, weil ich das früher selbst gespielt habe, aber den Gefallen tun mir die Öffentlich-Rechtlichen leider nicht. Außerdem faszinieren mich die Leichtathletik und Kunstturnen, nur vermisse ich dort immer öfter deutsche Teilnehmer. ABENDBLATT: Haben Sie einen persönlichen Sporthelden? VON RICHTHOFEN: Gottfried von Cramm. Nicht nur, weil er neben Boris Becker der erfolgreichste deutsche Tennisspieler war. Auch deshalb, weil er als perfekter Gentleman zugleich ein Sinnbild für Fairness und Sauberkeit im Sport war. Und im Fußball bleibt für mich Fritz Walter der überragende Botschafter unseres Landes. Als genialer Spieler wie als Mensch. Interview: Lutz Wagner