Leichtathlet Usain Bolt und Schwimmer Michael Phelps sind die Hauptattraktionen der 30. Olympischen Spiele. Zwei, die Geschichte schreiben wollen.

London. Die Liste seiner Verfehlungen ist lang. Er rauchte Marihuana, verlor zwei seiner Sponsoren. Er wurde in einen Autounfall verwickelt, hatte zuvor getrunken, besaß keinen Führerschein und musste vor Gericht. In der Olympiade zwischen Peking 2008 und London 2012 fiel der US-Amerikaner Michael Fred Phelps weniger mit sportlichen Leistungen auf, vielmehr mit den kleinen Pannen des menschlichen Daseins, die dem bisher erfolgreichsten Olympioniken aller Zeiten im Alltag widerfuhren. Jetzt kehrt der 27-Jährige in sein Element zurück. Seinen 14 Goldmedaillen, acht davon gewann er vor vier Jahren in Peking, sieben davon mit einem neuen Weltrekord, möchte er fünf hinzufügen. Der Schwimmer Phelps, inzwischen 27 Jahre alt, wird auch in London einer der Stars der Sommerspiele der XXX. Olympiade.

Der "Außerirdische" ("US Today") gab sich vor dem Auftakt der Wettbewerbe am Sonnabend im Aquatics Centre gewohnt bodenständig. "Wenn London vorbei ist, werde ich hoffentlich sagen können, dass ich in meiner Karriere alles erreicht habe, was ich wollte", sagte Phelps. "Mal ganz abgesehen von all den Medaillen und Rekorden - wenn ich nachher erzählen kann, dass ich glücklich bin, ist das alles, was zählt." In London könnte er nach dem Sportler mit den meisten Olympiasiegen auch zu dem mit den meisten Olympiamedaillen aufsteigen. Drei fehlen ihm, um die Bestmarke der sowjetischen Kunstturnerin Larissa Latynina (18/9-5-4) zu überbieten. Er sollte es schaffen. "Ich weiß, dass ich wieder Geschichte schreiben kann", sagt Phelps.

Historisches will auch Usain Bolt, 25, laufen. In Peking rannte der schnellste Mann der Welt drei Fabel-Weltrekorde über 100 und 200 Meter sowie mit der 4x100-Meter-Staffel Jamaikas. Gelingt ihm auch in London dieser Coup, wäre er der erste Olympionike, der eine derartige Ausnahmeleistung wiederholt hätte. Doch Bolt ist nicht mehr der Alleinherrscher auf den Sprintdistanzen. Sein Landsmann Yohan Blake, 22, entriss ihm 2011 im südkoreanischen Daegu nicht nur den Weltmeistertitel - Bolt verursachte im 100-Meter-Rennen einen Fehlstart, der zu seiner Disqualifikation führte -, er besiegte ihn auch kürzlich bei den Jamaican Olympic Trials, der Olympiaausscheidung des Karibikstaates.

"Ich bin wieder hundertprozentig fit", ließ Bolt jetzt aus seinem Trainingscamp in Birmingham verlauten, die Probleme in Beinen und Rücken seien behoben. Mehrmals hatte er sich in den vergangenen Monaten bei Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, dem Mannschaftsarzt des FC Bayern und der deutschen Fußballnationalmannschaft, in München behandeln lassen. Was Bolts Selbstauskunft über seinen Gesundheitszustand wert ist, wird sich in acht Tagen zeigen, wenn im Olympiastadion die Vorläufe über 100 Meter beginnen.

Bolt und Phelps sind die größten Attraktionen der Sommerspiele, doch die Galerie der Topstars, die in den nächsten 16 Tagen in London antritt, ist länger als jemals zuvor. Da sind die Leichtathletik-Weltrekordler Jelena Issinbajewa (Russland/Stabhochsprung), Kenenisa Bekele (Äthiopien/5000 und 10 000 Meter) und Paula Radcliffe (Großbritannien/Marathon), die NBA-Profis LeBron James, Kobe Bryant, Kevin Durant und Tyson Chandler im Basketball-Dreamteam der USA, Wimbledonsieger Roger Federer aus der Schweiz oder Bradley Wiggins, der neue Stolz der Krone, der erste Tour-de-France-Sieger aus dem Vereinigten Königreich. Er startet im Zeitfahren.

Und nicht zu vergessen sind die deutschen Goldkandidaten wie der zuletzt in 34 Rennen in Folge siegreiche Deutschland-Achter und der seit zwei Jahren unbesiegte zweimalige Diskusweltmeister Robert Harting aus Berlin - während Britta Steffen, 2008 Olympiasiegerin über 50 und 100 Meter Freistil, aufgrund härtester Konkurrenz ihre Titelverteidigung schon abgeschrieben zu haben scheint und nur noch den Gewinn von einer bis zwei Medaillen als ihr persönliches Ziel ausgibt. Die 21 Jahre alte Niederländerin Ranomi Kromowidjojo gilt als Weltjahresbeste jetzt als Favoritin auf Steffens Strecken.

45 Weltrekorde wurden insgesamt in Peking aufgestellt, 25 davon in den 32 Disziplinen des Schwimmens. Vor vier Jahren entschied oft noch der richtige Dresscode mit über die Medaillenvergabe im olympischen 50-Meter-Becken, nach dem Anzugsverbot des Weltverbands Fina dürften nun vor allem wieder Muskelkraft und Technik die Hauptrolle beim Anschlag spielen.

In der Medaillenwertung wollen die USA (2008: 36-38-36) die Spitze von China (51-21-28) zurückerobern. Die Deutschen (16-10-15) möchten wenigstens Rang fünf von 2008 bestätigen - hinter den Russen (23-21-29) und Briten (19-13-15). Hochrechnungen auf Basis der Ergebnisse der vergangenen Welt- und Europameisterschaften lassen sogar auf 50 Medaillen hoffen.

Das größte Potenzial des deutschen Teams liegt im Rudern und der Leichtathletik. Die Ruderer blieben in Peking erstmals seit 52 Jahren ohne Olympiasieg, die Leichtathleten holten 2008 nur eine Bronzemedaille durch Speerwerferin Christina Obergföll. Sie ist auch in London dabei. Im Vergleich zu Peking, als 440 deutsche Sportler antraten, sei das Team zwar kleiner (392), "aber schlagkräftiger", glaubt Michael Vesper, der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbunds. "Wir sind in vielen Sportarten besser aufgestellt und guten Mutes, dass es fröhliche und erfolgreiche Spiele werden."