Der Eishockey-Nationaltorwart hat das Flugzeugunglück seines Ex-Teams Lokomotive Jaroslawl noch immer nicht komplett verarbeitet.

Hamburg. Es gibt diese Momente, in denen Dmitrij Kotschnew das Gefühl hat, dass die Zeit sich zurückdrehen ließe. "Manchmal glaube ich, dass der eine oder andere von den Toten wieder auftaucht und alles so ist wie früher. Aber leider sind das nur kurze Augenblicke. In diesen spüre ich dann, dass ich das Geschehen doch noch nicht ganz verarbeitet habe", sagt er.

Gut drei Monate ist es her, dass die Eishockeymannschaft des russischen Erstligaklubs Lokomotive Jaroslawl mit ihrem Charterflugzeug abstürzte. Kotschnew, der im Sommer von ebenjenem Klub zum Ligakonkurrenten Atlant Mytischtschi gewechselt war, verlor 15 ehemalige Mitspieler, darunter seinen Nationalmannschaftskollegen Robert Dietrich, und zehn ihm bekannte Mitglieder des Betreuerstabs. Seitdem versucht der 30 Jahre alte Torhüter, der in der Saison 2000/01 für die Hamburg Crocodiles spielte, die Rückkehr in den Alltag zu schaffen.

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Der Deutschrusse hat sich sehr darüber gefreut, dass man sich in Jaroslawl dagegen entschied, ein Team aufzustellen, das bereits in dieser Spielzeit in der Kontinental Hockey League (KHL) antreten könnte. "Ich fand es sehr respektlos, dass überhaupt darüber nachgedacht wurde. Seit vorgestern spielt der Klub mit einen Nachwuchsteam in der Zweiten Liga, im nächsten Jahr kehrt er in die KHL zurück", sagt er. Die anderen 23 KHL-Klubs zeigen sich solidarisch und werden Jaroslawl dafür je einen Spieler unter 22 Jahren zur Verfügung stellen.

Bis auf den gewachsenen Zusammenhalt habe die Katastrophe jedoch keinerlei Umwälzungen nach sich gezogen. "Ich war anfangs erstaunt, wie schnell Sieg oder Niederlage wieder wichtiger waren als das Schicksal der Opfer. Aber auch ich musste nach einigen Wochen feststellen, dass der Schicksalsschlag mein Leben nicht grundsätzlich verändert hat", sagt Kotschnew. Als einzige Konsequenz aus dem Absturz wurden alle Maschinen der Baureihe AK-42 aus dem Verkehr gezogen. Kotschnew hält das für Aktionismus. "Dieser Flugzeugtyp galt immer als zuverlässig, und in den gut drei Jahren, die ich jetzt in Russland bin, hatte ich nie Probleme beim Fliegen", sagt er.

Zudem sei die Unglücksursache noch immer nicht restlos geklärt. Während offiziell von einem Pilotenfehler die Rede ist, erfuhr Kotschnew jüngst auf einem Flug mit seinem neuen Team von Sibirien nach Moskau, den er während der Startphase im Cockpit erleben durfte, dass die Piloten genötigt worden sein sollen, wegen Überlastung des Flughafens übereilt abzuheben. "Letztlich bringen all diese Gerüchte die Toten nicht zurück", sagt Kotschnew. Das Vertrauen in die Luftfahrt sei innerhalb seines Teams aber nicht nachhaltig geschädigt. "Die ersten Flüge nach dem Unglück waren hart, aber mittlerweile ist Normalität eingekehrt", sagt er.

Dass Kotschnew dennoch verstärkt über einen Abschied aus der KHL nachdenkt, liegt an seiner sportlichen Situation. Als Ersatzmann des russischen Nationalkeepers Konstantin Barulin erhält er beim Tabellenvierten der Westdivision zu wenig Eiszeit, absolvierte nur acht der 30 Partien. "Ich bin mit meinen Leistungen ganz zufrieden, aber ich will dauerhaft spielen", sagt er. In der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) könnte er dies, müsste jedoch erhebliche Gehaltsabstriche hinnehmen. Das lässt ihn noch zögern. "Natürlich muss bei einem Wechsel alles passen, auch das Geld", sagt er. Wenn er sich jedoch für die Rückkehr entscheidet, wären die Freezers eine ernste Option. "In Hamburg lebt meine Familie, die Stadt soll mein Lebensmittelpunkt werden", sagt er. Die Frage ist nur: wann?