Der neue Bundestrainer Heine Jensen will die deutschen Handballerinnen bei der Weltmeisterschaft in Brasilien aus dem Tal der Tränen führen.

Leipzig. Heine Jensen weiß schon, was sie sagen werden, wenn es bei der Weltmeisterschaft schiefgeht: dass er eben doch zu jung sei für dieses Amt. Und wirklich: Ist es nicht ein bisschen merkwürdig, dass ein Handballbundestrainer dem gleichen Jahrgang entstammt wie seine älteste Spielerin, die Buxtehuderin Stefanie Melbeck? Jensen, 34, hat sich diese Frage selbst nie gestellt. Beim Deutschen Handball-Bund sind sie ja auch nicht auf ihn gekommen, weil sie jemanden mit Erfahrung gesucht haben. Einen Neuanfang brauchte es nach der missratenen EM vor einem Jahr. Einen wie Heine Jensen: dynamisch, dänisch, jung.

Der Neuanfang sitzt an diesem November-Nachmittag lässig in einem Leipziger Café und erklärt mit leiser, aber fester Stimme, dass der Neuanfang in Wahrheit viele Namen hat: "Die anderen Vereinstrainer, die ganze Bundesliga haben mich sehr unterstützt." Nein, das Alter dieses Handball-Flüsterers wird hinterher wohl doch kein Thema sein. Und das Scheitern sollte es vorher nicht sein, findet der frühere Trainer des HC Leipzig: "Wir gehen diese WM mit Mut und mit Lust an."

Eine Platzierung unter den besten acht Nationen muss bei dem Turnier in Brasilien, das an diesem Wochenende beginnt, wohl herauskommen, um die Chance auf die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2012 in London zu wahren. "Ich glaube fest daran, dass wir das schaffen können. Wir wollen alles dafür tun", sagt Jensen. Die Vorrundengruppe sei zwar "richtig schwer". Aber genau das müsse ja der Anspruch einer deutschen Mannschaft sein: sich mit den Besten der Welt zu messen. Deshalb habe er auch in der Vorbereitung nicht die leichten Aufbaugegner gewählt, sondern den Leistungsstand mit den Mitfavoriten Norwegen, Schweden, Dänemark und Spanien abgeglichen. Der Test wurde insgesamt mit "gut" bestanden, wenngleich das Angriffsspiel noch Schwächen offenbarte.

Bei der WM steht auch Olympia auf dem Spiel

Es gebe ohnehin keinen Gegner, den man nicht ernst nehmen müsse, sagt Jensen. Das sei eine Lehre der EM 2010, als die Mannschaft kläglich in der Vorrunde ausschied. Jensen hat das Turnier aufgearbeitet. Oder vielmehr, er hat diese Arbeit seine Spielerinnen selbst erledigen lassen, in Kleingruppen, ohne Anleitung. "Ich wollte, dass die Mädels damit fertig werden. Dass sie kritisch sind, ohne persönlich zu werden." Vielleicht mache das den skandinavischen Stil aus, der ihn von seinem gescheiterten Vorgänger Rainer Osmann unterscheidet. "Von allen Trainern, die ich je erleben durfte, ist Heine der beste Teamplayer", sagt Leipzigs Manager Kay-Sven Hähner, "er ist für jede Idee offen und dankbar."

In diesem Zusammenhang ist auch zu verstehen, warum Heine Jensen die Buxtehuderin Isabell Klein trotz ihrer vergleichsweise geringen Erfahrung zur Kapitänin befördert hat. Jensen sagt: "Sie hat die größte soziale Kompetenz." Melbeck und Nadine Krause (Leverkusen) holte er ins Team zurück, weil sie erfahren sind und gleichermaßen Abwehr und Angriff spielen können. Gern hätte er auch Grit Jurack, die Rekordnationalspielerin, mit nach Brasilien genommen: "Aber sie hat als einzige Spielerin ein Kind, das muss man respektieren, wenn sie andere Prioritäten setzt." Wenn die Personalnot groß sei, dürfe er sie aber anrufen, das habe Jurack ihm versichert.

Jensen versucht seine Spielerinnen in erster Linie als Persönlichkeiten zu sehen. "Die meisten üben nebenbei einen Beruf aus oder studieren, schon deshalb muss man Respekt vor ihnen haben." Heine Jensen selbst hat einmal beim Sozialamt in Aalborg gelernt. Mit dem Trainerjob wollte er eigentlich nur den Familienurlaub finanzieren. Inzwischen ist er im neunten Jahr beruflich nur noch mit Handball beschäftigt: zunächst als Rechtsaußen bei Stord IL in der norwegischen Meisterschaft, später als Spielertrainer. Bis er gemerkt habe, dass er als Aktiver an seine Grenzen gestoßen sei. Und dass ihm die Trainerarbeit eigentlich noch mehr Spaß bringe.

Dass er es so jung ins höchste Traineramt geschafft hat, sei auch dem Zufall zu verdanken. Sein Landsmann Morten Arvidsson holte ihn 2007 als Assistenten zum HC Leipzig und installierte ihn als Chefcoach beim Kooperationspartner Halle-Neustadt in der Zweiten Bundesliga. Jensens norwegische Lebensgefährtin Mette Ommundsen kam als Rechtsaußen gleich mit. Als Arvidsson 2008 den Klub verließ, rückte Jensen zum Cheftrainer auf. Er wurde auf Anhieb zweimal Meister.

Seine neue Mission ist ungleich schwieriger. Die Nationalmannschaft ist seit dem Gewinn der WM-Bronzemedaille vor vier Jahren im Sinkflug. Und der Nachwuchs macht wenig Hoffnung. Bei den Europameisterschaften der Juniorinnen belegte Deutschland in diesem Jahr die Plätze elf (U19) und zehn (U17). Jensen sagt: "Wir müssen die jungen Spielerinnen besser vorbereiten auf das, was auf sie zukommt." Das vor allem sieht er als seine langfristige Aufgabe an. Kurzfristig ging es darum, aus einer Ansammlung von Einzelkönnerinnen wieder ein Team zu bilden, um sich im Play-off gegen Ungarn noch für diese WM zu qualifizieren. Schon jetzt stecke "ein ganz anderer Geist in der Mannschaft" als noch vor einem Jahr, hat Hähner beobachtet.

Als ihm im März das Amt des Bundestrainers angetragen wurde, will Jensen bei aller Ehre auch eine Art Verpflichtung verspürt haben: "In Deutschland habe ich meine große Chance als Trainer bekommen. Dafür würde ich gern etwas zurückgeben", sagt er. Seinen Wohnsitz hat er in Leipzig belassen, schon weil Ommundsen noch immer für den HC spielt. Hier hätten sich die beiden einen Freundeskreis aufgebaut, in dem sich nicht immer alles um Handball drehe. Und in dem sein Alter keine Rolle spielt.