Handball-Bundestrainer Martin Heuberger im Sportgespräch über Fehler in der Talententwicklung, Siegeswillen und Gefahren für die Bundesliga.

Hamburg. Martin Heuberger, 47, ist Frühaufsteher. Auf den morgendlichen Dauerlauf muss der neue Handball-Bundestrainer allerdings verzichten. Die Hüfte schmerzt. "Bald ist eine künstliche fällig", meint Heuberger. Das Schicksal der Kreisläufer. Amtsvorgänger Heiner Brand, 59, hatte sich vor drei Jahren dieser Operation unterzogen. "Ich will Heiner nicht kopieren, ich habe eigene Vorstellungen über die Arbeit mit der Nationalmannschaft", sagt Heuberger, und mit einem Lächeln fügt er hinzu: "Nur das mit der Hüfte werde ich ihm wohl nachmachen."

Hamburger Abendblatt : Herr Heuberger, abgesehen von der neuen Hüfte - gibt es etwas, was Sie gern von Ihrem Vorgänger Heiner Brand hätten?

Martin Heuberger: Damit wäre mir schon sehr geholfen (lacht). Aber im Ernst: Was mich immer beeindruckt hat, ist, dass Heiner ein Spiel sehr gut lesen kann. Mir ist es aber wichtig, meinen eigenen Weg zu gehen.

Mit der U 21 haben Sie im Juli den WM-Titel in Griechenland geholt. Kann die A-Nationalmannschaft etwas von der jungen Truppe lernen?

Heuberger: Handballerisch sicherlich nicht. Was mich bei den Junioren allerdings beeindruckt hat, war ihre Mentalität. Der unbedingte Siegeswille der Spieler, die Bereitschaft, die persönlichen Interessen hinten anzustellen, waren bewundernswert. Solch eine Mannschaft will ich auch in der A-Nationalmannschaft finden.

Wie lange wird das dauern?

Heuberger: Mein Ziel ist es, dass wir in drei oder vier Jahren eine Mannschaft haben, die wieder ins Titelrennen eingreift. Ich werde mir Spieler suchen, die diesen Weg mitgehen wollen. Nur zur Nationalmannschaft zu kommen, um dort Spaß zu haben - das reicht nicht.

Johannes Bitter vom HSV Hamburg hat sich eine Pause von der Nationalmannschaft genommen, um mehr Zeit für seine Familie zu haben. Verstehen Sie das?

Heuberger: Ich kann schon nachvollziehen, dass einige Spieler angesichts der Belastungen in der Bundesliga, der Champions League und im Pokal irgendwann auf die Barrikaden gehen. Andererseits ist Handball ein Leistungssport. Die Gehälter der Spieler entsprechen teilweise denen von Geschäftsführern. Fragen Sie mal einen Firmenboss, ob er bereits um 17 Uhr zu Hause sein kann. Fakt ist: Wenn man sich für den Leistungssport entscheidet, muss man sich auch darauf einstellen, häufig unterwegs zu sein.

So wie die A-Nationalmannschaft. Bei der diesjährigen WM in Schweden und der EM 2010 in Österreich hagelte es allerdings Kritik. Ist das Team international nur noch Mittelmaß?

Heuberger: Nein, keinesfalls. Was uns in den vergangenen zwei Jahren gefehlt hat, war die Konstanz. Entscheidend für die Zukunft wird es sein, dass unsere Spieler verletzungsfrei bleiben und in ihren Klubs tragende Rollen bekleiden.

Haben die Junioren schon jetzt das Zeug dazu, im A-Kader zu bestehen?

Heuberger: Das Potenzial ist vorhanden. Allerdings ist der Sprung für die deutschen Nachwuchsspieler in den Erwachsenenbereich sehr schwierig.

Warum das?

Heuberger: Die Weiterführung der Ausbildung junger Talente in den Vereinen ist hierzulande längst nicht so ausgereift wie in ausländischen Klubs. Dort hat die individuelle Förderung einen sehr hohen Stellenwert. Bei uns wird dagegen häufig nur auf den Mannschaftserfolg geschaut. Das ist ein riesiges Problem im deutschen Handball. Und das müssen wir ändern.

Die Weiterentwicklung junger Spieler entspricht aber meist nicht dem Konzept der Topklubs.

Heuberger: Sicherlich ist es der bequemere Weg, sich fertige ausländische Spieler zu holen, mit denen man nur noch Taktiktraining machen muss. Was mich aber besonders ärgert, sind Mannschaften, deren Kader mit einem Dutzend durchschnittlich starker Ausländer besetzt sind, die unseren Talenten die Plätze wegnehmen. Im Schnitt haben wir zu viele Mittelklasse-Ausländer in den Vereinen.

Das erinnert an die Situation in der Fußball-Bundesliga in den 90er-Jahren.

Heuberger: Der DFB stand 2002 genau vor demselben Problem wie wir. Die Verantwortlichen haben dann allerdings begonnen, die Nachwuchsarbeit aktiv anzugehen - und heute können die Vereine aus einem breiten Pool junger Stars schöpfen. Jogi Löw ist zu beneiden. Der weiß ja gar nicht mehr, welchen 21-Jährigen er bei den Länderspielen aufstellen soll. Aber ich sehe unsere Bundesliga auch auf diesem Weg.

Erst einmal steht allerdings die Europameisterschaft 2012 in Serbien an. Ihr Team hat dort die Chance, sich ein Hintertürchen für die Olympischen Spiele in London aufzuhalten.

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Heuberger: Wir müssen einen der zwei Plätze belegen, die zur Olympia-Qualifikationsrunde berechtigen. Entscheidend ist, dass die bereits qualifizierten Teams am Ende vor uns liegen und nicht diejenigen, die sich ebenfalls noch für Olympia qualifizieren wollen. Nur so haben wir überhaupt eine Chance auf das Qualifikationsturnier. Und auch da müssen wir einen der ersten beiden Plätze belegen.

Das klingt nicht gerade optimistisch ...

Heuberger: Ich bin nicht so blauäugig zu sagen, dass die Olympia-Qualifikation Pflicht ist. Ich sage nur: Wir können es schaffen, wenn alles optimal läuft.

Als Test dient der Supercup Anfang November. Welche Spieler des HSV Hamburg werden Sie einladen?

Heuberger: Auf jeden Fall Pascal Hens. Torsten Jansen, Stefan Schröder und Johannes Bitter setzen hingegen andere Prioritäten. Davon abgesehen werde ich Matthias Flohr weiter beobachten.

Glauben Sie, dass der HSV seinen Meistertitel noch verteidigen kann?

Heuberger: Möglich ist es. Ich denke allerdings, dass der THW Kiel wieder ernsthaft ins Titelrennen eingreifen wird. Und auch die Rhein-Neckar Löwen, die Füchse Berlin und Flensburg haben große Ambitionen. In der Spitze herrscht ein engeres Konkurrenzdenken als je zuvor.

Im unteren Tabellenviertel bangen die Vereine derweil um ihre Etats.

Heuberger: Die Diskrepanz hinsichtlich der finanziellen Mittel der Vereine ist extrem. Ich glaube aber, dass wir etwa in der Gehälterfrage auch an einer Grenze angelangt sind. Ohne Mäzene wäre es für einige Klubs sicherlich schwierig, das Niveau des Kaders zu halten. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Ein Verein muss auf soliden Grundfesten gebaut sein. Andernfalls könnte der Traum von der Bundesliga als stärkster Liga der Welt sehr schnell platzen.