Nach dem Absturz des Eishockey-Teams von Lokomotive Jaroslawl trauert der Ex-Hamburger Dmitrij Kotschnew um seine Kollegen.

Hamburg. Am vergangenen Mittwoch kam das gesamte Eishockeyteam von Lokomotive Jaroslawl beim Absturz einer Chartermaschine ums Leben. Der deutsche Nationaltorhüter Dmitrij Kotschnew, 30, war im Sommer aus Jaroslawl zum KHL-Konkurrenten Atlant Mytischtschi gewechselt. 15 ehemalige Mitspieler, sein Nationalmannschaftskollege Robert Dietrich und zehn Mitglieder des Betreuerstabs, die Kotschnew kannte, starben in der Unglücksmaschine. Nach einer selbst auferlegten Schweigefrist schildert der Keeper, der in der Saison 2000/01 für die Hamburg Crocodiles spielte, im Abendblatt seine Gefühlswelt.

Hamburger Abendblatt: Herr Kotschnew, wie haben Sie von dem schrecklichen Unfall Ihres ehemaligen Vereins erfahren?

Dmitrij Kotschnew: Auf dem Eis. Ich spielte mit meinem neuen Klub Atlant das Eröffnungsspiel der KHL-Saison in Ufa, als im ersten Drittel KHL-Präsident Alexander Medwedew die Nachricht überbrachte. Das Spiel wurde sofort unterbrochen, wir sind in die Kabine gegangen und haben versucht, unsere Gedanken zu sammeln. Etwas später kam der KHL-Präsident und fragte, ob wir weiterspielen wollten, aber das war unmöglich. Jeder unserer Spieler hatte Bekannte oder Freunde in Jaroslawl. Es war heftig zu sehen, wie gestandene Männer versuchten, ihre Emotionen zu kontrollieren, aber einige zitterten am ganzen Körper. Also wurde das Spiel abgebrochen.

Für Sie als ehemaliger Jaroslawl-Spieler muss die Nachricht ein extremer Schock gewesen sein. Wie haben Sie die ersten Stunden danach verbracht?

Kotschnew: Wir hatten dank unserer Kontakte sehr schnell die Gewissheit, dass der gesamte Kader an Bord war. Wir haben zunächst einige Zeit in der Kabine beisammengesessen und versucht, gemeinsam den Schock zu verkraften. Anschließend sind wir in ein Restaurant gefahren, wo wir in einem abgesperrten Raum stundenlang zusammensaßen. Irgendwann hat sich die Runde aufgelöst. Ich bin mit einigen Jungs noch sitzen geblieben und habe geredet. An Schlaf war in dieser Nacht nicht zu denken.

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Haben Sie nach dem Unglück Kontakt mit Hinterbliebenen gehabt, die Sie aus Ihrer Zeit bei Lok kennen?

Kotschnew: Ich kannte ehrlich gesagt nicht viele Angehörige meiner Mitspieler. Aber wir waren mit dem gesamten Team, insgesamt 85 Leuten, am Sonnabend bei der Trauerfeier in Jaroslawl. Da habe ich gesehen, dass die Hinterbliebenen derzeit andere Sorgen haben, als mit allen möglichen Leuten zu reden, die kondolieren wollen. Der Abschied war unfassbar bewegend und sehr emotional. Von allen KHL-Teams waren mindestens Delegationen dabei, einige kamen komplett. Auch Ministerpräsident Wladimir Putin war da. Wir Spieler waren die Einzigen, die in der Arena, wo die Trauerfeier stattfand, auf der Tribüne sitzen durften. Die Fans wurden nach und nach durchgeschleust. Es waren 50 000 Menschen dort, und trotz heftigen Regens standen Tausende vor der Arena, die nicht mehr hereingelassen wurden.

Wie oft haben Sie in den vergangenen Tagen darüber nachgedacht, was für ein Glück Sie hatten, im Sommer den Verein verlassen zu haben?

Kotschnew: Ich wurde das sehr oft gefragt, und immer dann habe ich darüber nachgedacht. Von allein ist mir der Gedanke allerdings nie gekommen. Für mich war vorrangig, dass ich 25 Freunde verloren hatte und noch weitere Menschen gestorben waren. Dass ich nicht in der Maschine saß, war genauso ein Zufall wie der Fakt, dass ich ein Jahr in Jaroslawl gespielt habe.

In Russland ist es aufgrund der großen Entfernungen normal, zu den Auswärtsspielen zu fliegen. Mit welchem Gefühl besteigen Sie, der normalerweise keine Flugangst hat, nach dem Unglück jetzt die Chartermaschine Ihres Klubs?

Kotschnew: Wir waren zum Glück gezwungen, recht schnell wieder zu fliegen. Nach dem Spielabbruch in Ufa war nicht klar, wie der Spielbetrieb weitergehen würde. Wir hätten am Freitag bei Nefti Khimik antreten sollen. Nach dem Unglück hat das Team beschlossen, den bereitstehenden Flieger nicht zu nutzen, sondern lieber fünf Stunden im Bus anzureisen. Aber als wir dort ankamen, war klar, dass die Liga pausieren würde. Für den Rückweg nach Mytischtschi hätten wir im Bus einen Tag gebraucht, also war klar, dass wir fliegen. Der Flug war natürlich für alle sehr schwierig, und auch ich hatte ein sehr mulmiges Gefühl. Es gibt aber einen Mitspieler, der hat so starke Flugangst, dass er jedes Mal kreidebleich und nassgeschwitzt in seinem Sessel sitzt. Für den war es richtig hart.

Über die Flugsicherheit in Russland wurde nach dem Absturz wieder einmal heftigst debattiert. Wie ist Ihr Eindruck?

Kotschnew: Ich bin kein Flugzeugexperte und werde mich aus technischen Debatten raushalten. Fakt ist, dass ich mit derselben Maschine, mit der das Team abgestürzt ist, in der vergangenen Saison ständig geflogen bin. Probleme hatten wir nie. Der Flugzeugtyp AK-42 galt bislang als sicher und verlässlich, und vor dem Unglück hatte ich auch kein schlechtes Gefühl beim Fliegen.

Die Liga hat am Montag mit dem abgebrochenen Spiel Ihres Teams in Ufa den Betrieb wieder aufgenommen. Ist es richtig, so früh zum Alltag zurückzukehren?

Kotschnew: Es war wichtig, dass wir uns in Ruhe von den Verstorbenen verabschieden konnten. Ob der Zeitpunkt des Saisonstarts richtig ist, will ich nicht beurteilen. Für mich persönlich fühlte sich die Pause zu kurz an, aber das hätte ich vielleicht auch nach zwei Wochen gesagt. Wahrscheinlich ist es eher hilfreich, dass wir wieder in den Alltag gezwungen werden.

Finden Sie es richtig, dass Jaroslawl in dieser Saison nicht am Spielbetrieb teilnimmt, oder hätte man auf die Schnelle ein neues Team aufbauen sollen?

Kotschnew: Ich war geschockt und fand es taktlos, als ich hörte, dass es diese Pläne gab. Ich denke, dass in Jaroslawl erst einmal für eine längere Zeit Spielergebnisse nicht wichtig sein dürfen. Der Verein und seine Fans brauchen Zeit, das Geschehene zu verarbeiten.

Wie lange wird die Rückkehr in den Alltag dort dauern?

Kotschnew: Das Unglück wird noch lange das Gesprächsthema Nummer eins sein, nicht nur in Jaroslawl, sondern in der ganzen KHL. Es ist schön zu sehen, dass sich die gesamte Liga solidarisch zeigt. Es gibt Überlegungen, dass jedes Team freiwillig ein paar Spieler anbietet, aus denen sich Jaroslawl jeweils einen auswählen darf, um zur nächsten Saison wieder eine Mannschaft stellen zu können. In all der Trauer ist es tröstlich, dass es Millionen Menschen auf der ganzen Welt gibt, die die Trauer teilen und versuchen zu helfen. Das ist das Positive, was ich aus den schrecklichen letzten Tagen ziehen kann.