Das 75:84 gegen EM-Gastgeber Litauen war wohl der letzte Auftritt von Dirk Nowitzki im Nationaltrikot. Der ebenfalls scheidende Bundestrainer glaubt zwar an eine Rückkehr, doch im deutschen Basketball bricht eine neue Zeitrechnung an.

Vilnius. Gerade einmal sechs Stunden dauerte es, da war die neue Zeitrechnung im deutschen Basketball angebrochen. 360 Minuten zuvor war der Traum von Olympia durch die bittere 75:84-Pleite gegen EM-Gastgeber Litauen geplatzt. Im tristen Morgengrauen der litauischen Hauptstadt wollten Superstar Dirk Nowitzki und Bundestrainer Dirk Bauermann so schnell wie möglich weg, DBB-Präsident Ingo Weiss warnte - wohlwissend - noch in Vilnius vor einem Schnellschuss bei den offenen Personalfragen. Ohne den NBA-Champion und ohne Bauermann muss der Verbandsboss die große Zäsur vorantreiben - die beiden Protagonisten der vergangenen Jahre stiegen um fünf Uhr morgens in den Flieger Richtung Deutschland und beendeten Nowitzkis wohl letzte Länderspiel-Dienstreise nach 141 Einsätzen gemeinsam.

Nowitzki übernahm Verantwortung für das EM-Aus: „Ich war einfach nicht in der Verfassung, um hier ein großes internationales Turnier zu spielen und zu dominieren, so wie ich es in der Vergangenheit immer gemacht habe“, bilanzierte Deutschlands Vorzeige-Korbjäger nach der entscheidenden 75:84-Pleite gegen Gastgeber Litauen frustriert. Dabei war er es doch, der das jungedeutsche Team überhaupt erst in die Nähe eines möglichen Viertelfinales und somit einer Qualifkation für die Olympischen Spiele im kommenden Jahr geführt hatte. Sein wahrscheinlicher Abschied ging im Hexenkessel von Vilnius fast unter. 25 Sekunden vor Spielende verließ der 33-Jährige mit hängendem Kopf das Feld, legte sich ein Handtuch über die Schulter und sank erschöpft auf die Ersatzbank.

Eine Million Basketballfans verfolgten Nowitzkis Abgangs live vor dem Fernseher. Der Spartensender Sport1 verbuchte am Sonntagabend bei der 75:84-Niederlage des DBB-Teams gegen EM-Gastgeber Litauen die bislang beste Reichweite bei der Europameisterschaft. Der Marktanteil lag nach eigenen Angaben bei 3,0 Prozent. Auch nach dem Scheitern der deutschen Auswahl wird der Sender in dieser Woche weitere EM-Spiele inklusive des Finales am Sonntag (21.00 Uhr) live übertragen.

+++ Das Wunder von Vilnius blieb aus +++

+++ DBB-Präsident kämpft um Nowitzki +++

In den kommenden Jahren werden andere Spieler die Verantwortung übernehmen müssen, die der Würzburger Nowitzki bei dieser EM nach seiner Mini-Pause einfach nicht tragen konnte. Nowitzki holte alles aus sich heraus, doch dieses Mal reichte es nicht. Weiss sinnierte bereits über die Zeit nach Nowitzki, die vielleicht „auch mit Nowitzki sein kann“, sollte sich Deutschlands bester Basketballer wider Erwarten dazu entschließen, doch noch einmal das Trikot mit dem deutschen Adler zu tragen.

„Wir haben viele Rohdiamanten und wir haben Zeit, etwas aus ihnen zu machen“, versprach der Spitzenfunktionär. Gespräche mit einem möglichen Bauermann-Nachfolger laufen, den Namen will der Deutsche Basketball Verband (DBB) erst in einigen Monaten verkünden.

Nowitzki hatte sich gegen die Empfehlung von vielen entschieden, in Litauen zu spielen, obwohl er nach mehr als 100 NBA-Spielen und drei Wochen Dauer-Party im Anschluss an den NBA-Titel gar nicht in Topform sein konnte. In Abetracht der Umstände wies Bauermann die selbstkritischen Aussagen seines Superstars,in aller Deutlichkeit zurück. „Das ist doch absurd. Dass es sich Dirk überhaupt angetan hat, sich hier zwei Wochen lang verprügeln zu lassen, das ist doch sensationell“, sagte der Bundestrainer. Er wusste, dass seine international größtenteils unerfahrene Mannschaft ohne den NBA-Superstar womöglich gar Probleme bekommen hätte, überhaupt die schwere Zwischenrunde zu erreichen.

Für Bauermann war die Partie in Vilnius ebenfalls der letzte Auftritt. „Auch für mich ist das eine Zäsur“, sagte der 53-Jährige und bekam dabei feuchte Augen. In einer emotionalen Ansprache beim nächtlichen Bankett verabschiedete er sich von seiner Truppe und den zahlreichen Verbandsmitarbeitern. „Mir ist um den deutschen Basketball absolut nicht bange“, sagte Bauermann. „Wir haben durchaus etwas zu bieten“, sagte Weiss, denn auch ohne Nowitzki und US-Center Chris Kaman, der die nächsten Jahre wohl ebenfalls nicht zur Verfügung stehen wird, hat das Nationalteam Perspektive.

Weil die Auslosung bei dieser EM groteske Züge hatte und mit Frankreich, Spanien, Litauen, Serbien, Türkei und Deutschland gleich sechs Topnationen in der gleichen Zwischenrunden-Gruppe spielten, gibt es hinter den Kulissen zaghafte Versuche, für das olympische Qualifikationsturnier im Juli 2012 noch einige Wildcards zu verteilen. Wahrscheinlicher aber ist, dass Deutschland diesmal bei Olympia nicht dabei ist und sich auf den Neuaufbau konzentrieren kann. Die Zukunft beginnt jetzt.

Vor allem Robin Benzing machte in Litauen einen großen Schritt in Richtung internationale Spitze. Nowitzki sieht für die Zeit nach ihm daher keineswegs schwarz. „Das sind gute Jungs, die, wenn sie weiter hart arbeiten, noch eine positive Entwicklung vor sich haben.“

Als nächstes Ziel steht im kommenden Sommer die Qualifikation für die EM 2013 in Slowenien an. 2014 folgt die WM in Spanien, und auch Olympia hat die Nach-Nowitzki-Generation nicht ganz abgehakt. „In vier Jahren gibt es hoffentlich eine neue Chance“, sagte Spielmacher Heiko Schaffartzik, ein weiterer wichtiger Mann für die Zukunft.

Und wer weiß, vielleicht taucht irgendwann auch Nowitzki noch einmal im Nationaltrikot auf. „Mein Gefühl ist, dass er den Adler noch mal auf der Brust tragen wird“, sagte Bauermann. Nowitzki selbst trat zumindest nicht zurück, auch wenn sein Dank an Verband und Fans schon ein bisschen nach Abschied klang. Gleichwohl versprach er, sich weiter für den deutschen Basketball zu engagieren. „Ich bin ja jeden Sommer in Deutschland, da wird sich schon etwas finden.“