Für den ÖFB-Teamchef könnte es das letzte Spiel sein. Türkei-Trainer Hiddink will wieder positive Schlagzeilen für den türkischen Fußball.

Wien. Seit Wochen wackelt der sprichwörtliche Stuhl von Österreichs Nationalcoach Dietmar Constantini. Sieben der letzten acht Spiele endeten mit einer Niederlage. Mit dem 6:2-Sieg am vergangenen Freitag hat die deutsche Nationalmannschaft von Joachim Löw dessen Situation nicht unbedingt verbessert. Doch obwohl die Österreicher eine alles andere als gelungene EM-Qualifikation spielen, ist ein erfolgreicher Abschluss - sprich Platz 2 hinter Deutschland - noch nicht völlig ausgeschlossen. Vorraussetzung dafür ist jedoch erstmal ein Sieg heute Abend gegen die Türkei.

Längst als Taktikverweigerer (Originalzitat: "Taktik ist überbewertet") verschrien, genießt Constantini, der ehemalige Co-Trainer von Ernst Happel, kein besonders hohes Ansehen mehr. Besonders die Medien, aber auch Trainer-Kollegen greifen diese - vorsichtig ausgedrückt - gewagte Aussage immer wieder auf. So meinte beispielsweise Paul Gludovatz, Trainer des österreichischen Cupsiegers SV Ried: "Da verstehe ich Constantini nicht. Taktik ist doch die einzige Komponente, die ich als Teamchef wirklich beeinflussen kann."

Wenigstens mit zu hohen Erwartungen an seine Mannschaft muss sich Constantini nicht mehr auseinandersetzen. Ein österreichischer Nachrichtensprecher wünschte in den 20:00 Uhr-Nachrichten des österreichischen Rundfunks vor dem Spiel gegen Deutschland "allen Masochisten und hoffnungslosen Optimisten" viel Spaß. Zumindest erstere dürften diesen gehabt haben.

Als "allerallerallerallerallerletzte Chance", bezeichnet die Tageszeitung "Der Standard" das Spiel gegen die Türkei - dies gilt für das Team und für Constantini. Interessantes Detail: Wegen Durchblutungsstörungen in der Wirbelsäule wird Co-Trainer Manfred Zsak heute von Willi Ruttensteiner vertreten - seines Zeichens Sportirektor des österreichischen Fußballbundes und mutmaßliche Interimslösung bei einer Entlassung Constantinis.

Sechs Punkte Rückstand hat das Team auf die zweitplatzierten Türken. Die Hoffnungen, nicht zum sechsten Mal in Folge die sportliche Qualifikation für ein großes Turnier zu verpassen, hängen sich an einem komplizierten Rechenkonstrukt auf. Kapitän Christian Fuchs versprach auf der Pressekonferenz, "dass wir alle an einem Strang ziehen und bis zum Umfallen rennen werden". Das alleine wird gegen die Türkei nicht reichen - gerannt sind sie auch gegen Deutschland. Und zwar um fünf Kilometer mehr als das deutsche Team, laut Fuchs jedoch "wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen".

Doch auch der türkische Fußball erlebt nach dem Manipulationsskandal in der Liga und dem mühsamen 2:1 Sieg (anm.: Siegtreffer in der 97. min) gegen Kasachstan nicht gerade eine Blütezeit. Laut Nationaltrainer Guus Hiddink soll das Nationalteam nun die Chance nützen, um wieder positive Schlagzeilen für den türkischen Fußball zu schreiben "Wir können keine Siege garantieren, aber wir können garantieren, dass wir mit Leidenschaft spielen, und die Spieler mehr als 100 Prozent für Siege geben – noch mehr als vorher ", erklärte der Niederländer. HSV-Spieler Gökhan Töre wird wohl vorerst auf der Bank platz nehmen.

Seine Chance nützen will auch Constantini. Denn zumindest scheint er sich seiner Situation bewusst zu sein: „Es ist immer dasselbe: Wenn ein Trainer nichts gewinnt, wird er entlassen.“ Einen Rücktritt schloss er jedoch aus. „Einfach zu gehen, wäre auch ein falscher Impuls. Das würde ja bedeuten, dass dem österreichischen Fußball auf dem Weg zur Spitzenklasse nur ein einziger Mann im Wege stünde. Ich würde damit eine Illusion nähren“, sagte er dem kicker. Er habe einen Vertrag bis zum 31. Dezember, den werde er erfüllen. Sofern man ihn lässt.

ÖFB-Präsident Leo Windtner schloss nach dem 2:6-Debakel gegen die DFB-Elf ein vorzeitiges Ende der Zusammenarbeit zwar aus, doch ob diese Garantie auch bei einer Niederlage gegen die Türkei noch Bestand haben wird, ist mehr als fraglich.

Schließlich war auch aus Teilen der Mannschaft zuletzt zumindest leise Kritik an Constantinis Arbeit zu vernehmen. „Manchmal werden System, Taktik und Analyse übertrieben, manchmal aber auch untertrieben. Es gibt Fußballer, denen man genau definierte Aufgaben stellen muss. Wer gegen Deutschland mitspielen will, kommt unter die Räder“, sagte Mittelfeldspieler Paul Scharner, der gegen die Türkei nach einer Gelb-Sperre ins Team zurückkehren soll. Der England-Legionär (West Bromwich Albion) soll vor allem die zuletzt mehr als wacklige Defensive stabilisieren.

Im ÖFB-Team, in das der ehemalige Duisburger Stefan Maierhofer nachnominiert wurde, vertraut man zudem vor allem auf die Heimstärke. „Sie werden uns sicher ernst nehmen. Sie wissen, dass wir daheim gegen Deutschland gut gespielt haben, und so leicht haben sie sich beim 2:0 in Istanbul gegen uns auch nicht getan“, sagte Mittelfeldspieler Ekrem Dag, der beim türkischen Erstligisten Besiktas Istanbul unter Vertrag steht. Auch die durch den Manipulationsskandal bedingte fehlende Spielpraxis vieler Türken sei ein Vorteil. „Die meisten Spieler haben nur Testspiele in den Beinen.“

Reicht auch das nicht zum Erfolg, steht der österreichische Fußball wohl abermals vor der Neustrukturierung. Constantini ist überzeugt, seinen potenziellen Nachfolgern ein gut bestelltes Feld zu hinterlassen. „Ich werde ein Team übergeben, das Entwicklungspotenzial und Zukunft hat. Viele Spieler sind jung, man muss ihnen Zeit geben. Ich hoffe, die bekommen sie“, sagte er.

(sid/abendblatt.de)