Teil eins der Abendblatt-Serie zum Klitschko-Kampf: Harry Valérien über die Duelle zwischen Max Schmeling und Joe Louis.

Hamburg. ls zwölf Jahre alter Bub sollte man nachts um drei Uhr in der Regel im Bett liegen und schlafen. Dass ich dies, wie viele Hunderttausend andere Deutsche, in der Nacht vom 19. auf den 20.Juni 1936 nicht tat, sondern stattdessen mit meinem Vater vor unserem Blaupunkt-Radio saß, hatte einen guten Grund. Max Schmeling kämpfte im Yankee-Stadion in New York! Für heranwachsende Jungs in meinem Alter gab es zu jener Zeit drei Sportidole: Paavo Nurmi, den finnischen Wunderläufer. Ernst Henne, den schnellsten Motorradfahrer der Welt. Und eben Schmeling, den Schwergewichts-Boxer aus Hamburg, der es schon Jahre zuvor gegen Jack Sharkey oder Young Stribling in den USA zu Weltmeisterehren gebracht hatte. Zu allen drei schaute ich auf, zu Schmeling aber besonders.

Der Kampf mit Joe Louis fand wenige Wochen vor Beginn der Olympischen Sommerspiele in Berlin statt, und das ganze Land erhoffte sich bei einem Sieg Schmelings einen Schub für seine Sportler. Gerechnet wurde damit jedoch nicht unbedingt, denn der US-Amerikaner, erst 22 Jahre alt und damit acht Jahre jünger als sein deutscher Kontrahent, galt als frischer, unverbrauchter Profi. Wegen eines schweren Unwetters war der Kampf um 24 Stunden verschoben worden, und niemand ahnte, dass Schmeling unter Schock in den Ring gehen musste. Der US-Manager Tom Rock war vor dem Kampf in seine Kabine gekommen, um ihm einen Ratschlag zu geben, als er plötzlich mit Herzversagen zusammenbrach und in der Umkleide verstarb. Schmeling hat mir dies viele Jahre später im Rahmen meiner Sendereihe „Hallo Max“ erzählt.

Doch wie gesagt, niemand wusste davon, und so lauschten wir hoffnungsvoll der Reportage von Arno Hellmis, der mit seiner zeitgemäßen Art immer ein Erlebnis war. Leider war die Freude getrübt von der schlechten Empfangsqualität, so dass wir manchmal nur erahnen konnten, was vor sich ging. Was man nicht mitbekam, und was ich deshalb erst vor kurzem entdeckte, als ich mir die bewegten Bilder des Kampfes anschaute, war, dass Louis bereits in der zweiten Runde nach einem Haken Schmelings am Boden war. Nach zehn Runden war deutlich, dass Louis nach Punkten nicht mehr gewinnen konnte, obwohl alle wichtigen Personen – Ringrichter, Punktrichter, die Kommission – US-Amerikaner waren. Und nach 2:29 Minuten der zwölften Runde endete der Kampf mit dem bösen Untergang von Joe Louis durch K.o.!

Dieser Sieg war für Schmeling der weltweite Durchbruch, er hat alles andere übertroffen und ihn mit besonderem Glanz behaftet. Dieses Ereignis ist Geschichte geworden. Für Schmeling begann in Deutschland die völlige Vereinnahmung durch die Nazis. Die NSDAP benutzte ihn für ihre Propaganda. Schmeling hat mir mal gestanden, dass er in jener Zeit einige Angebote aus den USA erhielt, die US-Staatsbürgerschaft anzunehmen, um Nazi-Deutschland verlassen zu können, doch er hat sie seiner Mutter und seiner Ehefrau zuliebe abgelehnt. Bei einem Treffen mit Adolf Hitler hat er diesem klar gemacht, dass sein jüdischer Manager Joe Jacobs an seiner Seite bleiben müsse, ansonsten werde er seine Karriere beenden. Hitler war darüber ungehalten, doch er schritt nicht ein.

So kam es, Schmeling hatte in der Zwischenzeit drei Kämpfe gewonnen, fast genau zwei Jahre später, am 22.Juni 1938, erneut im Yankee-Stadion zur Revanche gegen Louis. Wieder standen mein Vater und ich mitten in der Nacht auf und lauschten am Radio, aber lang sollte die Reportage nicht dauern. Schmeling unterlag bereits nach 2:04 Minuten der ersten Runde durch K.o.! Für uns alle war das eine herbe Enttäuschung, die den historischen Sieg leider relativierte. Am schlimmsten aber war die Niederlage für die NSDAP und ihre Propagandamaschine.

Max Schmeling hat später eingestanden, Fehler gemacht zu haben, er sei in Louis’ Schläge hineingelaufen, anstatt ihnen auszuweichen. Er sei nach dem Niederschlag zu früh aufgestanden, anstatt sich einige Sekunden Erholung zu gönnen. Er hat keine billigen Ausreden gesucht, sondern die Schuld auf sich genommen. 14 Tage lag er im Krankenhaus, ehe er nach Deutschland zurückkehrte. Sein Trainer Max Machon hat mir in einer „Hallo Max“-Sendung gesagt, Louis sei vor dem Kampf zu Schmeling gekommen und habe ihn gebeten, nicht wieder so hart zu schlagen wie im ersten Kampf, er wolle nicht noch einmal so schwer k.o. gehen. Doch Machon selbst hat auf Schmeling nichts gegeben, er spürte, dass sein Mann unsicher war. Deshalb warf er auch, obwohl dies in den USA damals nicht den Regeln entsprach, das Handtuch und gab den Kampf damit auf.

Für mich als damals 14-Jährigen war die Niederlage natürlich eine riesige Enttäuschung. Meiner Bewunderung für Schmeling hat sie keinen Abbruch getan. Nach dem zweiten Louis-Kampf kehrte Schmeling ein Jahr später zurück und besiegte in einem Europameisterschaftskampf Adolf Heuser in Stuttgart durch K.o. in Runde eins. Erst weit nach Ende des Zweiten Weltkriegs wagte er am 28.September 1947, seinem 42.Geburtstag, ein Comeback, und ich konnte als Jungreporter erstmals live dabei sein. Im Frankfurter Waldstadion war Werner Vollmer sein Gegner, und obwohl Schmeling in Runde sieben vorzeitig siegte, war ich bass erstaunt, wie langsam er in den Ring gekommen war. Mein Eindruck war, dass dieses Comeback nicht nötig gewesen wäre. Doch was immer Max Schmeling auch tat: Die Erinnerung an den Sieg gegen Joe Louis wird zeitlebens dafür sorgen, dass er seinen Platz in der Bestenliste des deutschen Sports behalten kann.