Dirk Nowitzki hat die Dallas Mavericks zum NBA-Titel geführt, jetzt ist er eine Sportlegende wie Boris Becker oder Franz Beckenbauer.

Die Stille des Geistes sei lauter als der Lärm der Motoren, hat der deutsche Pianist Wilhelm Kempff (1895-1991) einst seinem Tagebuch anvertraut. Es ist dann wohl diese Geräuschlosigkeit, die Dirk Nowitzki, 32, in der Nacht zum Pfingstmontag abseits des Trubels und Konfettiregens in der American Airlines Arena in Miami sucht, um seine Gedanken und Gefühle zu ordnen. Er habe allein sein wollen, berichtet er später, und dass er in der Kabine, in die er mit Spielschluss flüchtet, "ein bisschen geheult" habe, als die anderen draußen ausgelassen feiern und sich gegenseitig mit Champagner bespritzen. Es sei einfach "unbelievable", unfassbar, fügt er hinzu und starrt zu Boden, damit ihm niemand in die Augen sehen kann. Erst seine Kollegen haben ihn überreden können, wieder aufs Parkett zurückzukehren. "Ich hatte ja keine Wahl", sagt er - und lacht laut.

Es ist diese schöne Geschichte vom Kindheitstraum, der wahr wird, die in diesen Tagen regelmäßig bemüht wird, um das Phänomen des "German Wunderkind" zu erklären. Es ist die Story von einem, der mit 18 Jahren aus seiner Geburtsstadt Würzburg und der Basketball-Diaspora Deutschland aufbricht, um in der stärksten Liga der Welt eine einzigartige Karriere hinzulegen - die ihn zu einem der bestverdienenden und anerkanntesten Sportlern dieses Planeten aufsteigen lässt. Jetzt ist Dirk Nowitzki mit den Dallas Mavericks, den Rebellen, ganz oben angekommen in der nordamerikanischen Basketball-Profiliga NBA. Mit 4:2-Siegen gewinnt Dallas die Finalserie gegen die favorisierten Miami Heat. 105:95 endet in Florida das sechste und letzte Duell für die Texaner, in dem einem erst im letzten Spielviertel überzeugenden Nowitzki noch einmal 21 Punkte gelingen. Insgesamt 26 006 hat er in 13 Jahren in nun 1117 Begegnungen in der NBA erzielt, 23,28 Punkte im Durchschnitt. Mit dieser Ausbeute gehört er zu den 20 erfolgreichsten Korbjägern seit den Anfängen der Liga im Jahr 1946. Das allein zeigt die Dimension seines Wirkens.

Der Triumph gegen Miami ist nach 31 Jahren der erste NBA-Titel für seinen Klub, Nowitzki darf zudem die Trophäe für den besten Spieler der Endrunde in die Höhe stemmen. "Jetzt ist sein sportlicher Lebenslauf komplett", jubelt die Tageszeitung "US Today", und ESPN, der US-Sportsender, zelebriert "Big D's Big Win". Mark Cuban, 52, der alerte wie streitbare Klubbesitzer, Internet-Milliardär und Freund Nowitzkis, lässt dann auch keinen Zweifel, wie sehnsüchtig er auf diesen Tag gewartet hat. Er schreit ein lang gezogenes wie schrilles "Yeeeeaaaahh" in die Mikrofone der TV-Stationen und verspricht, die traditionelle Meisterparade in Dallas selbst bezahlen zu wollen: "Es wäre nicht richtig, dass wie in anderen Orten die Stadt dafür aufkommen muss. Also: Lasst uns einfach Spaß haben!"

Dirk Nowitzki, der zu feiern versteht, der über sich selbst herzhaft lachen kann, wird ihn haben - wenn der Stress der vergangenen Wochen abgefallen ist. In seinen tellergroßen Händen liegt jahrelang das Schicksal der Mavericks, erst in den letzten Finalspielen gegen Miami verteilt sich die Last der Verantwortung auf vielen Schultern. "Das Team hat mich zum Titel getragen", sagt Nowitzki dankbar. Was bei den meisten Sportlern floskelhaft klingt, ist bei ihm Ausdruck tiefster Überzeugung. Niemand lebt die Rolle des Teamplayers glaubhafter als er; andere für sein Fortkommen oder die Mehrung seines Ruhms zu benutzen käme ihm nicht in den Sinn. Nowitzki weiß um seine Rolle des Superstars, er nimmt sie indes nur an, wenn es gilt, seine Mitspieler in Dallas oder in der deutschen Nationalmannschaft zu schützen. Niederlagen schreibt er sich zu, Erfolge der Mannschaft. Er gibt Autogramme, bis auch der letzte wartende Fan zufrieden ist, vor allem wenn es Kinder oder Jugendliche sind. Es sind diese Bodenhaftung, seine Bescheidenheit, die ihn überall zum Sympathieträger machen. Keiner missgönnt ihm den Erfolg, die Liste der Gratulanten, der ehrlichen, ist lang. "Er hat es verdient, mehr als jeder andere", sagt Basketball-Bundestrainer Dirk Bauermann, 53. "Seine Größe besteht darin, in den entscheidenden Momenten zu treffen, obwohl jeder Gegner weiß, dass in den kritischen Situationen Dirk die erste Option für den Korbwurf ist. Diese Fähigkeiten haben nur die ganz, ganz Großen."

Wie viel Nowitzki der Titelgewinn in der NBA immer bedeutet hat, besonders nach dem verlorenen Finale 2006 gegen ebendiese Miami Heat (2:4-Niederlage nach 2:0-Führung), mag daran zu erkennen sein, dass er vor einem Jahr bei seiner Vertragsverlängerung in Dallas auf vier Millionen Dollar Jahresgehalt, 2,8 Millionen Euro, verzichtet, damit der Klub bessere Mitspieler verpflichten und gute halten kann. Dazu muss man wissen, dass in den amerikanischen Profiligen - bis auf Baseball - Gehaltsobergrenzen existieren. Was der eine mehr verdient, muss beim anderen gespart werden. Mit einem Salär von 80 Millionen Dollar für vier Jahre, 55,6 Millionen Euro, sollte Nowitzki dennoch nicht in Armut verfallen.

Geld, Reichtum oder Statussymbole haben für ihn jedoch nie eine zentrale Rolle gespielt. Er wohnt auf rund 900 Quadratmetern in einer für NBA-Verhältnisse geradezu bescheidenen Villa, sein Fuhrpark besteht aus zwei Autos, eines für sich, eines für die Familie aus Würzburg; nicht aus sechs oder sieben wie bei vielen seiner ebenso betuchten Kollegen. Nowitzki hätte anderswo mehr verdienen können, er bleibt in Dallas, weil er mit dieser Mannschaft, mit diesem Klub, mit diesem Besitzer Erfolg haben will. Dankbarkeit ist eines der Leitmotive seines Lebens, und wenn er sieht, dass jemand Hilfe braucht, muss ihn niemand um diese bitten. Seinen Entdecker, Mentor und persönlichen Trainer Holger Geschwindner, 65, befreit er aus steuerlichen Verstrickungen, einem Bäcker aus seiner fränkischen Heimat steht er zur Seite, als dieser in finanzielle Nöte gerät. Der Stiftung Deutsche Sporthilfe zahlt Nowitzki im Jahr 2002 alle Fördergelder zurück, die ihm in seiner Jugend gewährt wurden. Mit seiner eigenen Stiftung unterstützt er Nachwuchssportler.

Das eigentliche Vorbild Nowitzkis liegt aber in seinem Fleiß, seiner Suche nach Perfektion. Wenn andere ihren Urlaub genießen, stellt sich Nowitzki mit Geschwindner im oberfränkischen Rattelsdorf bis zu fünf Stunden am Tag in die örtliche Sporthalle, feilt an seiner Technik, seinen Würfen und seiner Beweglichkeit. "Zufriedenheit ist der größte Feind eines Leistungssportlers", hat Nowitzki einmal in einem Interview mit dem Abendblatt gesagt. Ihn hegen immer wieder Selbstzweifel. Die haben "wiederum den Vorteil, dass ich mich ständig überprüfe, mein Spiel regelmäßig hinterfrage und mich stets bemühe, besser zu werden. Dass ich in der Offense und in der Defense noch Entwicklungspotenzial habe, bleibt ein Ansporn für mich, weiter hart zu trainieren und gezielt an mir zu arbeiten." Der Lohn für derart großen Aufwand hat sich längst eingestellt. Im ersten Play-off-Spiel gegen die Oklahoma City Thunder zum Beispiel verwandelt Nowitzki alle 24 Freiwürfe. Das ist ein neuer NBA-Rekord für die Play-offs.

Auch sein privates Glück scheint Nowitzki gefunden zu haben. Jessica Olsson, eine schwedische Kunstmanagerin, die in Dallas in der Galerie des Popstars George Michael arbeitet, hat ihm den Glauben an die Liebe wiedergeschenkt. Vor zwei Jahren verlässt ihn seine Menschenkenntnis, als er sich mit der Hochstaplerin Crystal Taylor verlobt. Die sitzt inzwischen im Gefängnis wegen Betrugs und Urkundenfälschung. "Jessica ist das Beste, was mir in den vergangenen zwölf Monaten passiert ist", sagt Nowitzki. "Ich habe mir immer eine Familie gewünscht. Und viele kleine Dirks."