Wie der Weltmeister und Olympiasieger Martin Schmitt sein vorzeitiges Ausscheiden bei der Vierschanzentournee verkraftet.

Garmisch-Partenkirchen. Sie alle haben einen Plan. Schafkopf spielen, lesen, Serien schauen und ein "bissl was für den Körper tun" - das hatte sich Skispringer Severin Freund für den Ruhetag gestern mit Zimmerkollege Richard Freitag vorgenommen. Freitag möchte am Mittwoch in Innsbruck sportlich "wieder zurückkommen". Und Bundestrainer Werner Schuster will dem strauchelnden Hoffnungsträger einreden, dass er in Österreich fantastisch springen kann. Nur Martin Schmitt hat erst einmal keinen Plan für die nächsten Tage. "Über so etwas denkt man vorher nicht nach", sagte der 33 Jahre alte Skispringer.

Denn die Sache sieht so aus: Nach einer guten Qualifikation beim Auftakt der Vierschanzentournee ließ der Aufwind bei Schmitt abrupt nach. Er fiel ungebremst wieder nach unten und sitzt dort so tief fest wie wohl noch nie. Nachdem er in Oberstdorf und beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen den zweiten Durchgang verpasst hatte, musterte Bundestrainer Werner Schuster ihn für die Tourneestationen am Mittwoch in Innsbruck und Freitag in Bischofshofen aus. Nur die besten sechs Deutschen kommen mit, und der einstige Vorspringer hüpft hinterher. Vorerst hat Schmitt damit keinen Weltcupplatz mehr.

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"Ich bin nicht traurig, mich ärgert es viel mehr", sagte er. Schmitts Gemütszustand aus seinem Gesicht abzulesen, ist ein schwieriges Unterfangen. Einer wie er, der den Skisprungsport mit Sven Hannawald in schwindelerregende Höhen führte, der 28 Weltcupsiege holte, Weltmeister war und mit dem Team Olympiasieger wurde, der müsste doch verzweifeln. "Wenn ich Martin manchmal so rumkrebsen sehe, tut das schon weh", sagt sein ehemaliger Weggefährte Hannawald. Schmitt aber ist unermüdlich bei der Sache, springt und springt und springt. Und er lacht - nicht nur, wenn ihm wie in Oberstdorf etwas gelingt. Dort stand er nach der Qualifikation entspannt an der Bande, plauderte, lachte und fühlte sich ganz offensichtlich wohl. Gerade hatte er einen guten Sprung gezeigt, der ihm neuen Mut machte. Ob er jetzt in einen Lauf komme? "Ja, das wollen wir hoffen", sagte er, lachte und zog von dannen.

Schmitt schlich aber auch nach den folgenden weniger guten Leistungen keineswegs durch Oberstdorf oder Garmisch-Partenkirchen, als sei er nur ein Schatten des Erfolgsspringers, der er vor mehr als zehn Jahren war. Immer freundlich grüßend, stets auskunftsfreudig - auch wenn er zum gefühlten tausendsten Mal zu erklären versuchte, wo es hakt. "Es fehlt noch die Stabilität", sagt er dann. Und ja, da waren seine Knieprobleme in der Vorbereitung, die ihn immer wieder zurückwarfen und vieles zunichte machten. Auch heute zwickt es noch hier und da. "Aber ich will nicht jammern", sagt er dann und lacht. Ein Schutzpanzer vielleicht, Zweckoptimismus oder wirklich innere Ausgeglichenheit. Aber wie auch immer, eines kann ihm niemand vorwerfen: So ausdauernd er von den Schanzen dieser Welt springt, so geduldig stellt er sich Tag für Tag der Situation, wird nicht müde, sich immer wieder zu rechtfertigen und immer wieder zu hoffen. Denn von einem Karriereende will er selbst jetzt nichts wissen. "Es gibt ja auch noch ein nächstes Jahr, wenn sie die Tournee nicht abschaffen. Ich sehe das ganz entspannt", sagte Schmitt - dieses Mal ohne zu lachen, eher trotzig.

Die große Frage bleibt, warum sich so ein großer Sportler das noch antut. In den Skisprungstadien in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen jubelten sie dem einstigen Helden immer noch innbrünstig zu wie keinem anderen, nur für ihn schwappte zum Auftakt eine La-Ola-Welle durch die Ränge. Doch mittlerweile polarisiert er auch. Nicht jeder will dabei zusehen, wie ein Idol in den Abgrund springt. Österreichs früherer Skisprungstar Andreas Goldberger sagte der "Bild"-Zeitung: "Irgendwann muss Schluss sein. Mich hat das nur angekotzt, wenn so junge Springer kommen und einem davonhüpfen."

Schmitt jedoch sieht die Welt anders. "Ich habe immer noch Spaß am Springen", versichert er. "Und warum sollten wir jemandem abraten, etwas zu tun, was ihm Spaß bringt", fragt der frühere Tourneesieger Dieter Thoma. "Ich finde ihn bemerkenswert. Martin hat einen unheimlichen Glauben an sich selbst und hält daran fest - das finde ich toll", sagt er. Und in der Tat kommt Schmitt zwar immer mehr seine Unbekümmertheit abhanden, aber er ist sich seiner Sache sicher. "Ich weiß, dass ich an sehr guten Tagen unter den besten zehn sein kann." Angesichts seiner Leistung klingt das realitätsfern. Aber auch Bundestrainer Werner Schuster sagt: "Martin hat mittlerweile ein Paket, dass vielleicht doch noch mal fliegen könnte. Aber so schnell wie es aufblitzt, fällt es auch wieder zusammen."

Fraglich ist, wann Schmitt noch einmal die Gelegenheit bekommt, bei einem Weltcup zu springen. Zurzeit jedenfalls sind die Plätze besetzt. Der zweitklassige Continentalcup ist auch keine Lösung, den benötigt der Verband als Ausbildungsplatz für jungen Springer. "Wir werden sehen, ob wir wieder einen Platz für ihn freimachen können", sagte Schuster. "Aber er muss definitiv besser springen. Ich hoffe, er krempelt noch mal die Ärmel hoch."

Martin Schmitt wird das wohl tun und versuchen, noch einmal vorne hineinzuspringen. Und es gibt wohl kaum jemanden, der ihm das nicht gönnen würde. "Für mich verliert er deswegen nicht an Würde", sagt der viermalige Tourneesieger Jens Weißflog. "Aber die Gesellschaft tickt anders."