0,3 Punkte fehlten dem Vierten Severin Freund in Oberstdorf zum Sprung auf das Podest. Auch Stephan Hocke und Richard Freitag unter Top Ten.

Oberstdorf. Im grellen Scheinwerferlicht der Schattenbergschanze bahnte sich ein Drama an. Weltmeister Gregor Schlierenzauer, einer der großen Favoriten der Vierschanzentournee, hatte unter lautstarken Anfeuerungsrufen zu seinem ersten Sprung beim Auftakt in Oberstdorf angesetzt. Dann war nur noch Stille. Der Österreicher hatte lediglich einen Hopser hingelegt, war ausgeschieden, noch bevor es richtig begonnen hatte, und schüttelte nun fassungslos den Kopf. Die Tournee der Skispringer und er waren noch nie dicke Freunde. Es sollte nicht sein.

Doch diese Geschichte hat ein Happy End - jedenfalls vorläufig. Denn so schön winterlich und atmosphärisch der andauernde Schneefall am Freitagabend auch war, so unangenehm wirkte er sich gepaart mit wechselhaftem Wind für die Springer aus. Ein fairer Wettkampf war nicht möglich. Die Jury tat das einzig Richtige und brach mitten im ersten Durchgang ab. Zurück auf Start, eine neue Chance. Schlierenzauer nutzte sie mit zwei sehr gelungen Sprüngen. "Die Gerechtigkeit hat gesiegt", sagte der 21-Jährige - und gewann danach.

Es war ein Fest der Überflieger aus Österreich mit einem Deutschen, der in Lauerstellung liegt. Denn hinter Schlierenzauer sicherte sich sein Landsmann Andreas Kofler Platz zwei. Titelverteidiger Thomas Morgenstern wurde Dritter. Dicht dahinter jedoch landete Severin Freund auf einem hervorragenden vierten Platz, nur 0,3 Punkte fehlten zu Rang drei. "Das war ein rundum guter Tag. Es passt und macht Spaß", sagte der 23-jährige Bayer. Bundestrainer Werner Schuster lobte: "Severin war wirklich super. Das Sahnehäubchen wäre gewesen, die drei Zehntel auf Morgenstern reinzuholen."

Der Österreicher in Diensten des Deutschen Skiverbandes (DSV) konnte noch mit zwei anderen Ergebnissen zufrieden sein: Stephan Hocke sprang überraschend auf Platz acht und Richard Freitag beendete das Springen als Zehnter. "Das war ein wirklich guter Auftakt. Drei unter den Top Ten ist schon am oberen Rand", lobte der Bundestrainer. Auch wenn der erst 20 Jahre alte Freitag als Vierter des Weltcups und beladen mit großen Hoffnungen der Deutschen angereist war - eine Enttäuschung ist sein Resultat nicht.

Denn neben Schlierenzauer war auch Freitag einer der Leidtragenden der wechselhaften und schwierigen Bedingungen gewesen. Auch ihm war zuerst nur ein kleiner Hüpfer geglückt. Auch er hatte sich nicht für den zweiten Durchgang qualifiziert, beeilte sich danach, um so schnell wie möglich vom Auslauf der Schanze wegzukommen. Wer wollte es ihm verdenken, war der Traum Tournee doch mit einem Albtraum gestartet. Doch dann, ein kurzes Lächeln. "Ich darf noch mal", verkündet er und machte es danach besser. "Ich bin mit einem blauen Auge davongekommen. Es fehlt aber noch die Harmonie im Sprung", sagte er kritisch.

Bei Martin Schmitt (33) hingegen fehlt noch etwas mehr. Dass er bereits dreimal in Oberstdorf gewonnen hatte, war am Freitagabend anhand seiner Leistung nicht einmal zu erahnen. Für das Publikum jedoch ist der frühere Seriensieger immer noch ein Großer: Einzig für ihn formierte sich im Stadion eine La-Ola-Welle. Helfen konnte aber auch sie nicht. Schmitt bekam ebenfalls durch den Neustart eine zweite Chance - dann aber wie zuvor schon den Abschiedsapplaus der Zuschauer. Der zweite Durchgang fand ohne ihn statt.

Bevor es aber Ende des zweiten Durchgangs zu dem Dreifachsieg der Österreicher kam, gab es bange Minuten: Der Norweger Tom Hilde sprang auf weite 131 Meter, verlor nach der Landung die Kontrolle und konnte einen schweren Sturz nicht mehr verhindern. Durch das Publikum ging ein Aufschrei. Der junge Norweger blieb im Schnee liegen, Sanitäter eilten herbei und transportierten ihn ab - Entwarnung gab Hilde in diesem Moment selbst: Er winkte den Zuschauern aus seiner Trage zu. Zur Untersuchung wurde er ins Krankenhaus gebracht.

Danach übertrafen sich die besten Springer gegenseitig - und Severin Freund spielte oben mit. Doch es folgte eine weitere Schrecksekunde: Andreas Kofler, vor zwei Jahren Tourneesieger, zeigte im Landeanflug unfreiwillig eine artistische Einlage und verhinderte nur so einen Sturz. Für Schlierenzauer stand damit der Sieg fest - doch er will mehr. "Es ist kein Staatsgeheimnis, dass ich die Tournee gewinnen will." Bisher hatten das Verletzungen, Windpech und zu viel Ehrgeiz verhindert.

Den Springern bleibt keine Zeit zum Durchatmen, denn der Zeitplan ist eng: Nach dem Training und der Qualifikation am Sonnabend in Garmisch-Partenkirchen steht Sonntag um 14 Uhr das Neujahrsspringen an. Bundestrainer Schuster jedenfalls geht nach dem Springen in Oberstdorf optimistisch in die zweite Station der Vierschanzentournee und sagt: "Wir wollen irgendwann bei dieser Tournee aufs Podest. In Oberstdorf haben wir dran gekratzt. Vielleicht können wir das in Garmisch nachholen." Severin Freund hat nach seinem gelungenen Auftakt zudem noch beste Aussichten auf eine sehr gute Platzierung im Gesamtklassement.