Vor dem Duell zwischen dem HSV und dem TBV Lemgo steht Michael Kraus im Mittelpunkt. Er wird in Hamburg als Neuzugang gehandelt.

Hamburg. Anfang der Woche war Michael Kraus wieder in Göppingen und sah seinen früheren Kollegen von Frisch Auf bei der Arbeit zu. Sein Arbeitgeber, der TBV Lemgo, hatte ihm wie allen Spielern zwei Tage frei gegeben, und wie so oft hat der Kapitän der Handballnationalmannschaft die Zeit für einen Besuch an jener Stätte genutzt, in der er einst zu einem Spielmacher der Weltklasse heranreifte. Es dürfte weniger das Heimweh als die Sehnsucht nach besseren Zeiten sein, die Kraus immer wieder in seine Geburtsstadt treibt. Denn in Lemgo läuft es nicht in dieser Saison. Oder besser: Es läuft drunter und drüber.

Am vergangenen Sonntag hat der TBV den deutschen Meister THW Kiel mit 32:30 niedergekämpft, Kraus überragte mit sieben Toren. Fünf Tage zuvor ging das Ostwestfalenderby in Lübbecke mit 24:29 verloren - ohne Kraus, dem ein Muskelfaserriss zu schaffen macht. "Diese letzte Woche ist sinnbildlich für die ganze Saison", sagt Geschäftsführer Volker Zerbe. Überzeugenden Auftritten wie gegen Kiel - schon im Hinspiel trotzte man dem THW einen Punkt ab - stehen peinliche Niederlagen gegen die Rhein-Neckar Löwen (22:38) und Aufsteiger Hannover-Burgdorf (25:26) gegenüber. Im Pokal scheiterte man gar beim Zweitligisten VfL Bad Schwartau. Und deshalb reist der TBV eben nur als Tabellensechster zum morgigen Bundesligaspiel bei Spitzenreiter HSV Hamburg (20.15 Uhr, Color-Line-Arena/DSF).

Man darf gespannt sein, welches ihrer zwei Gesichter die launische Diva aus dem Lipperland auflegt. Zerbe kann sich einen zweiten Favoritensturz vorstellen. "Aber dafür braucht es eine professionelle Einstellung. Alle müssen wissen, dass man nur in einem vernünftigen Miteinander etwas erreichen kann." Das habe man der Mannschaft in vielen Gesprächen klarzumachen versucht.

Die Frage ist, wie glaubwürdig solche Worte noch sind, nachdem man einen Tag vor Saisonbeginn den Trainer feuert. Markus Baur wurde die verpasste Champions-League-Qualifikation zum Verhängnis. Als sich der sportliche Leiter Daniel Stephan weigerte, die Nachfolge anzutreten, musste auch er gehen.

Ob er den Schritt im Nachhinein bedaure, sagt Zerbe nicht: "Man hat seine Gründe gehabt." Zerbe gehört wie Baur und Stephan der goldenen Generation des deutschen Handballs an. Gemeinsam haben sie Lemgo 2003 zur Meisterschaft geworfen. Damals wie heute hieß der Trainer Volker Mudrow. Fynn Holpert, der ihn als Geschäftsführer einst entließ, hat ihn nun zurückgeholt. Inzwischen ist Holpert Geschäftsführer der Heristo Sport GmbH, doch die Strippen im Verein laufen beim ihm zusammen.

Sechseinhalb Millionen Euro soll der Klubetat dank des Engagements des Nahrungsmittelherstellers betragen. Damit liegt der TBV in der Liste der kapitalkräftigsten Bundesligisten auf Rang vier hinter den Marktführern Kiel, Hamburg und Mannheim. "Aber den finanziellen Wahnsinn der anderen machen wir nicht mit", sagt Zerbe.

Man hat ja zuletzt auch nicht unbedingt gute Erfahrungen gemacht mit teuren Stars wie Kraus oder Holger Glandorf, die in dieser Saison weit unter ihrem Niveau geblieben sind. "Wir werden den Kader so aufstellen, dass er noch erfolgreicher wird", verspricht Zerbe

Kraus (26) wird dann wohl nicht mehr dazugehören, obgleich er seinen Vertrag erst im August bis 2012 verlängert hat. Wenig später hatte er allerdings wissen lassen, dass sein Verbleib vom Erreichen der Champions League abhänge, was ihm eine Abmahnung des Arbeitgebers eintrug. Seither ist das Verhältnis zerrüttet. Zerbe sagt: "Ich gehe davon aus, dass er seine Vorstellungen umsetzen wird." Ein Wechsel zum HSV noch im Sommer ist wahrscheinlich.

Zumindest eine Sorge wären sie dann in Lemgo los. Erst im Februar wurde Kraus aus disziplinarischen Gründen für ein Spiel suspendiert. Angeblich hatte er sich verspätet für sein Fehlen beim Training entschuldigt. Augenzeugen wollen ihn zuvor beim Faschingfeiern in Göppingen gesehen haben.