Fehlende Kraft, mangelnde Konzentration, Leichtsinn oder Verunsicherung - die Analyse fällt schwer.

Hamburg. Martin Schwalb war angefressen. Er sollte erklären, was er partout nicht erklären wollte. "Schwamm drüber!", sagte der Trainer der HSV-Handballer schließlich und beendete damit eine Diskussion, die er in dieser entscheidenden Phase der Bundesligasaison nicht führen will. Es geht um den physischen und psychischen Zustand seiner Mannschaft, um die Gründe, warum der HSV gegen den TBV Lemgo in den letzten zehn Minuten einen 29:20-Vorsprung verwarf und sich am Ende nur als höchst glücklicher Gewinner von 13 171 Zuschauern in der zum dritten Mal in dieser Saison ausverkauften Color-Line-Arena feiern lassen durfte.

Lemgos Trainer hatte sogar eine andere Sicht des finalen Geschehens: "Wir sind in der letzten Minute verpfiffen worden, weil die Schiedsrichter vor dem 31:31 ein grobes Foul Igor Voris an Florian Kehrmann nicht mit der fälligen Zweiminutenstrafe geahndet haben", meinte Volker Mudrow. Der offizielle Spielbeobachter Thorsten Zacharias verteidigte die Unparteiischen aber: "Sie sind ihrer Linie auch in dieser Szene treu geblieben."

Davon konnte beim HSV keine Rede sein, und deshalb konnte Jens Bechtloff 19 Sekunden vor Schluss ausgleichen. Der Siegtreffer von Krzysztof Lijewski zum 32:31 (17:10) weitere acht Sekunden später, als sich der Pole nach einer "schnellen Mitte", dem sofortigen Wiederanwurf, durch die Lemgoer Hälfte tankte und aus sechs Metern den Ball ins Netz hämmerte, hatte hartnäckige Nachfragen zwar zurückgestellt. Die vorangegangenen Ereignisse hatten im Team jedoch einen kollektiven Schock hinterlassen. "Derart blöd stellt sich keine Mannschaft der Welt an", schimpfte Nationalspieler Pascal Hens. Und Krzysztof Lijewski forderte: "Wir müssen uns jetzt zusammensetzen und überlegen, warum wir dieses Spiel nach der 50. Minute derart leichtfertig aus der Hand gegeben haben. Wir sind alle restlos sauer. So etwas darf uns nicht wieder passieren, sonst können wir uns die Meisterschaft abschminken. Wir müssen froh sein, dass Jogi Bitter den letzten Wurf von Rolf Hermann noch gehalten hat."

Fehlende Kraft, mangelnde Konzentration, Leichtsinn oder Verunsicherung - auch HSV-Sportchef Christian Fitzek mochte nicht in eine tiefer gehende Analyse einsteigen. "Der moderne Handball ist eben so", sagte der ehemalige Nationalspieler, "dank der schnellen Mitte können Spiele in wenigen Minuten kippen. Da entsteht plötzlich eine Eigendynamik, die kaum noch zu stoppen ist. Der einen Mannschaft gelingt alles, der anderen nichts. Bei Lemgo war am Schluss jeder Wurf ein Treffer, wir haben dagegen im Angriff auf einmal schlechte Entscheidungen getroffen." Drei Anspiele an den Kreis führten zu Ballverlusten und umgehend zu Gegentreffern. Und dann kam auch noch Pech dazu. Hans Lindberg scheiterte 63 Sekunden vor dem Ende beim Stand von 31:29 mit einem Siebenmeter, 25 Sekunden vor Schluss (31:30) warf Hens den Ball an den Innenpfosten.

"50, 55 Minuten lang haben wir uns wie ein Titelkandidat präsentiert", sagte Schwalb, "vor allem diese Erkenntnis sollten wir aus dieser Begegnung mitnehmen." Denn die nächste schwere steht schon morgen in Flensburg (20.15 Uhr, DSF live) an. "Da fahren wir nicht als Favorit hin", meinte Matthias Flohr.

Tore, Hamburg: Lackovic 6, Lindberg 6 (3 Siebenmeter), Duvnjak 5, M. Lijewski 5, Flohr 3, Vori 3, K. Lijewski 2, Hens 2; Lemgo: Bechtloff 8, Kraus 6 (4), Hermann 6, Ilyés 4, Strobel 4, Kehrmann 2, Glandorf 1. Schiedsrichter: Schaller/Wutzler (Leipzig/Frankenberg). Zuschauer: 13 171 (ausverkauft). Zeitstrafen: 3; 3. Siebenmeter: 4 (3 verwandelt); 4 (4).