Der dritte Stock des angrenzenden Gymnasiums bietet beste Sicht auf das Spielfeld - noch, denn die neue Tribüne nimmt Konturen an.

Hamburg. Der Kran und die in den Himmel ragenden Betonpfeiler versperren ein wenig die Sicht. Ansonsten ist der Blick auf das Spielfeld wunderbar. Fußball-Zweitligist FC St. Pauli hat die wohl skurrilste Tribüne der Republik. Es ist der dritte Stock des angrenzenden Wirtschaftsgymnasiums. Seit im Oktober 2009 die altehrwürdige Haupttribüne des Millerntor-Stadions abgerissen wurde, ist der wegen seiner außergewöhnlichen Fan-Szene bekannte Kiez-Club um eine Verrücktheit reicher: Das zuvor von der Tribüne verdeckte Gymnasium bietet kostenlose Fensterplätze bei Zweitliga-Spielen.

„Nicht auf die Stühle stellen, knien ja“, regelt Lehrerin Susanne Bach das Geschehen. Ihre fünfte Klasse der Rudolf-Rost-Gesamtschule, eine Nachbarschule, ist heute zu Besuch gekommen. Nun grölen sich die Kids die Seele aus dem Leib, Totenkopfflaggen wehen aus den Fenstern: Die Braun-Weißen empfangen Arminia Bielefeld.

„Wir fühlen uns wie VIPs“, scherzt Schulleiter Ulrich Natusch, der das Ganze organisiert. „Leider ist es heute wohl das letzte Mal.“ Die neue Tribüne im Westen nimmt Konturen an. Dort, wo heute noch Baumaterial im Matsch liegt, soll im Sommer das neue Stadionteilstück stehen. Pfiffig haben die Lehrer und Schüler des Gymnasiums, das auch noch eine Berufsschule beherbergt, „die drei strategisch günstigsten Räume in Höhe Mittellinie“ fantauglich gemacht. Im Kunstraum gibt es Saft, Bier und Kuchen. Wer keinen der begehrten Fensterplätze erwischt hat, steht in Reihe zwei auf einem Stuhl.

„Bei Freitagsspielen wurde hier schon mal richtig abgefeiert“, berichtet Schüler Torben Möller, der seit Oktober zu jedem Heimspiel hier ist. „Sonntags ist es ruhiger, Montag müssen wir ja wieder zur Schule“, sagt er grinsend. Dann erzielt Arminia das 1:0. „Buhhh“, tönt es aus zahlreichen Kehlen. „Der war unhaltbar“, analysiert der achtjährige Tjark.

„Einige sind eingefleischte Fans, andere kommen wegen des Spaßes. Wir sind Teil des Events“, betont Natusch den lockeren Charakter der Zusammenkunft von Jung und Alt. Auch ein Rollstuhlfahrer ist anwesend. Plötzlich herrscht helle Aufruhr. Genau gegenüber, in der Ecke der Gegengerade, erscheint groß auf dem Stadionmonitor die Fensterfront des Gymnasiums. „Da bin ich“, kreischt ein Steppke.

„Wir sind Nachbarn, die sich gut verstehen“, lobt Natusch das Verhältnis zwischen Schule und Verein. Der Kiezclub versucht, wo es geht, Rücksicht wegen des Baulärms zu nehmen. Natusch lächelt, wohlwissend, das diese tolle Story bald ein Ende haben wird. Im Sommer droht zudem die Schule im Schatten der neuen, pompösen Tribüne zu versinken. Dennoch macht ein aus dem Fenster wehendes Transparent die ganze Verbundenheit deutlich: „Das Wirtschaftsgymnasium St. Pauli grüßt Spieler und Fans! Ahoi!“