Der 44-jährige Pauli-Fan Richie Grossmann treibt die Fans im “Kuchenblock“ an - allerdings nur noch einmal gegen Energie Cottbus.

Hamburg. Manchmal ist es Richie Grossmann dann doch zu still auf der Haupttribüne. Gerade wenn er spürt, dass seine Mannschaft, sein Ein und Alles, sein FC St. Pauli, die Unterstützung des ganzen Stadions braucht, steht er auf, dreht sich um 180 Grad, breitet die Arme aus und brüllt aus tiefer Kehle den hinteren Reihen der Haupttribüne einen Schlachtruf entgegen. "Zu Anfang waren die Leute ein bisschen überrascht, und vielleicht stört es ja auch den einen oder anderen, aber ich dachte, ich muss mal was machen", sagt Grossmann. Er ist der Animateur, der Capo der Haupttribüne. Die sitzende Gesellschaft macht jedes Mal mit, steht auf und schmettert lang gezogene "Saaankt Pauliiii"-Rufe auf den Platz.

Am Sonntag beim Heimspiel gegen Energie Cottbus (13.30 Uhr/Sky und im Liveticker auf abendblatt.de) wird der 44-Jährige zum vorerst letzten Mal den Vorsänger geben. Danach wird die Haupttribüne abgerissen und in neuem Gewand wieder aufgebaut - nach 48 Jahren. Ganz so lang ist Richie noch nicht dabei, er hat nächste Saison sein persönliches 30-jähriges St.-Pauli-Jubiläum. Seitdem hat er erst drei Spiele seines Klubs verpasst. Grossmann kam das erste Mal mit 14 Jahren ins Stadion. Zu einer Zeit, in der das Millerntor bei Heimspielen fast verwaist war, als auf der Haupttribüne nur einige Hartgesottene die Spiele verfolgten und die Einnahmen aus dem Verkauf des selbst gemachten Kuchens der Präsidentengattin angeblich die Einnahmen des Kartenverkaufs überstiegen. Bei der Einweihung der Lichtanlage 1989 war Grossmann natürlich im Stadion und sah den ersten Sieg des FC St. Pauli unter Flutlicht (2:0 gegen Leverkusen). Zwei Jahre später musste sich die Haupttribüne mit einer neuartigen Veranstaltungsform anfreunden. Das Stadtteilfest "Viva St. Pauli" wurde im Stadion gefeiert und die Haupttribüne mit zwei Bühnen verkleidet, auf denen die Goldenen Zitronen, Extrabreit und die Toten Hosen eine ganz andere Lautstärke erreichten als die sonst auf der von den Stehplatz-Fans zum "Kuchenblock" umgetauften Fans auf der Haupttribüne.

"Das tut schon weh", sagt Grossmann, wenn er an den bevorstehenden Abriss denkt. Seit neun Jahren sitzt er immer auf dem gleichen Platz in der ersten Reihe, um ihn herum eine Gruppe von rund vierzig Leuten, für die der Stadionbesuch zum Wochenende gehört wie der Totenkopf zu St. Pauli. "Ich hänge an der Tribüne und denke, dass durch den Neubau ein großes Stück Flair verloren geht." Den Rest der Saison wird Grossmann vermutlich auf der Nordtribüne sitzen müssen. Auch da kennt er sich aus. Mit seinem Vater, der ihn mit 14 Jahren das erste Mal mit ans Millerntor genommen hat, saß und stand Grossmann schon auf allen Tribünen rund um den Platz. "Aber hier bin ich am nächsten dran", sagt Grossmann, über seinen angestammten Lieblingsplatz. "Hier kann ich die Spieler riechen und spüren." Das sei es auch, was den Verein auszeichne, das Familiäre, die Nähe.

Im Schnitt fährt Grossmann einmal im Monat zu Auswärtsspielen. Er träumt von einem Auswärtsspiel in einem europäischen Wettbewerb. "Und wenn es im UI-Cup nach Kasachstan geht, ich wäre dabei", sagt er. Die emotionalsten Momente erlebte er jedoch am Millerntor. Dazu zählt er nicht etwa die legendären Pokalsiege oder Aufstiegsfeiern. "Die emotionalsten Momente", sagt Grossmann, "waren die Abschiedsspiele von Holger Stanislawski, von André Trulsen oder auch Klaus Thomforde." An die vielen Niederlagen hat er sich gewöhnt, und auch wenn er nach einer Pleite "mehr als schlecht gelaunt ist", wird er auch auf der neuen Tribüne in der ersten Reihe sitzen und den Animateur geben. Am liebsten als Fan eines Bundesligaklubs. "Ich habe große Hoffnung, dass wir aufsteigen", sagt er. "Wäre doch toll, im Jubiläumsjahr eine Spaßsaison in der Bundesliga zu spielen." Mit der Unterstützung von Richie Grossmann, dem Capo der alten und der neuen Haupttribüne.

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