Der neue Mann mit Macht beim VfL Wolfsburg nimmt im Interview Stellung zu den Zielen seines Teams und zu HSV-Stürmer Ruud van Nistelrooy.

Abendblatt: Herr Hoeneß, in den vergangenen 13 Tagen haben Sie das gesamte Programm eines Bundesliga-Managers im Zeitraffer erlebt. War es das, was Sie vermisst haben?

Dieter Hoeneß: Nein, es hat zwar wieder gekribbelt, als ich in Wolfsburg zugesagt hatte, aber den Auftakt hätte ich mir sicher schöner vorgestellt. Einen vorzeitigen Trainerwechsel verkünden zu müssen, das habe ich keineswegs vermisst. Denn das heißt doch immer, dass es sportlich nicht geklappt hat und man nicht mehr an eine gemeinsame Zukunft glaubt. Und auch auf der persönlichen Ebene ist ein solches Ereignis nicht schön, auch wenn es so professionell abläuft wie mit Armin Veh.

Abendblatt: Gab es für Sie die Alternative, das Leben anderweitig zu genießen?

Hoeneß: Ich weiß schon, mit meinem Leben außerhalb des Fußballs etwas anzufangen. Aber mir war auch immer klar, dass ich wieder bei einem Verein arbeiten wollte. Ich brauchte nach der Zeit bei Hertha aber ein halbes Jahr Pause. Zum einen um Abstand zu gewinnen. Denn nach 13 Jahren, die man emotional stark mit einem Klub verbunden war, kann man nicht im fliegenden Galopp das Pferd wechseln. Zum anderen wollte ich auch ein paar Dinge machen, zu denen ich vorher kaum gekommen bin. Dabei meine ich nicht nur Urlaube, sondern auch ganz Alltägliches.

Abendblatt: Hätte es Ihre Arbeit nicht erleichtert, wenn Sie schon einen Monat früher in Wolfsburg Ihre Arbeit begonnen hätten?

Hoeneß: Das ist alles hypothetisch. Mitte Dezember habe ich mit den Verantwortlichen des Vereins konkret verhandelt, mich dann schnell entschieden – und natürlich auch sofort die Arbeit aufgenommen. Vorher wäre es also gar nicht gegangen – auch weil ich die sechs Monate Abstand brauchte.

Abendblatt: In Hamburg heißt es, Sie wären beim HSV ein Kandidat für den Posten des Sportchefs gewesen. Gab es Kontakte?

Hoeneß: Nachdem ich nicht mehr für die Hertha tätig war, gab es den einen oder anderen Kontakt zu verschiedenen Vereinen aus dem In- und Ausland. Aber welche es gewesen sind, dazu möchte ich nichts sagen. Das macht man nicht.

Abendblatt: Ist der VfL Wolfsburg das Eldorado für einen Fußball-Manager?

Hoeneß: Weil wir mit Volkswagen einen starken Partner im Rücken haben? Nein, auch hier muss im Rahmen der Möglichkeiten gewirtschaftet werden. Aber es ist sicher schön, einen solchen fußballbegeisterten und auch sportlich ehrgeizigen Weltkonzern an seiner Seite zu wissen.

Abendblatt: Steht VW weiter zu dem Ziel, dem VfL zu einer europäischen Spitzenmannschaft zu machen, die mittelfristig die Champions League gewinnen kann? Welcher Zeitrahmen ist dafür gesteckt?

Hoeneß: Dieses Ziel kenne ich jetzt nicht. Aber natürlich sind wir beim VfL Wolfsburg ambitioniert. Wir wollen uns im oberen Drittel der Bundesliga etablieren, also auf den Plätzen eins bis sechs. Das bedeutet im optimalen Fall die Meisterschaft. Das bedeutet aber auch, dass man als Sechster den Europapokal mal verpassen kann. Eine möglichst regelmäßige Teilnahme am Europapokal streben wir jedoch an. Und dabei darf man nicht vergessen, dass dieses Ziel acht, neun weitere Vereine haben. Die Bundesliga ist ein harter Wettbewerb, der härteste in Europa.

Abendblatt: War es im Nachhinein ein Fehler, Armin Veh die Verantwortung für gleich drei Geschäftsfelder zu übergeben? Braucht ein Verein, der deutscher Meister ist, nicht andere Strukturen angesichts der vielfältigen Herausforderungen, die sich aus einem Titelgewinn ergeben.

Hoeneß: Natürlich birgt eine überraschende Meisterschaft, wie sie der VfL im letzten Jahr geholt hat, ihre Gefahren. Die meisten Spieler müssen erst lernen, mit all den Begleiterscheinungen umzugehen. Das ist anderen Vereinen vor Wolfsburg ähnlich gegangen. Nur der FC Bayern hat doch über Jahre den Umgang mit dem Erfolg lernen können. Und sicher ist es so, dass wir uns neben dem sportlichen Vorankommen auch über die Strukturen des Vereins Gedanken machen müssen. Felix Magath hat hier Erstaunliches geleistet. Doch nach zwei Jahren war er mitsamt seinem Stab wieder weg. Bei einem Verein geht es aber auch um Nachhaltigkeit, um Unabhängigkeit von einzelnen Personen.

Abendblatt: Haben Sie diese Saison schon abgehakt?

Hoeneß: Nach 19 Spieltagen kann man keine Saison abhaken. Aber wir brauchen jetzt nicht über Saisonziele fabulieren. Wir müssen stabil werden, die Mannschaft muss Boden unter den Füßen gewinnen. In den nächsten vier Spielen warten mit Hamburg, Bayern, Leverkusen und Schalke die Top-4 der Liga. Aber diese Spiele bieten auch eine Chance.

Abendblatt: Ist es sinnvoll, jetzt für Verstärkungen eventuell nicht marktgerechte Preise ausgeben zu müssen?

Hoeneß: Ein ganz klares Nein! Verstärkungen in der Winterpause zu finden ist in der Tat schwierig. Daher haben wir uns auch nicht auf unsinnige Sachen eingelassen. Spieler, die zu uns kommen, werden perspektivisch verpflichtet.

Abendblatt: Wird es in dieser Saison noch einen weiteren neuen Trainer beim VfL geben?

Hoeneß: Wir haben mit Lorenz-Günther Köstner jetzt einen erfahrenen Mann auf der Trainerbank sitzen, der in der jetzigen Situation, in der die Mannschaft nach den vielen Misserfolgen stark verunsichert ist, für die nötige Ruhe sorgen soll. Je erfolgreicher er arbeitet, umso mehr Zeit haben wir bei der Klärung der Frage, wer neuer Cheftrainer des VfL Wolfsburg werden soll. Dies kann auch bis zum Saisonende dauern.

Abendblatt: Wäre ein Spieler wie van Nistelrooy auch jemand für den VfL Wolfsburg gewesen?

Hoeneß: Ruud van Nistelrooy ist ein Weltklassespieler, der sicher dem HSV sofort helfen kann. Natürlich ist er von seiner Klasse für nahezu jeden Klub eine Verstärkung. Nur brauchten wir uns nicht nach Stürmern umsehen, weil wir auf dieser Position aktuell keinen Bedarf haben. Da sind wir mit Edin Dzeko, Grafite und Obafemi Martins gut aufgestellt.

Abendblatt: Sie haben ein Faible für Brasilianer. Werden Sie sich auch in Wolfsburg verstärkt um diese Spieler bemühen?

Hoeneß: Ich habe kein Faible für Brasilianer, sondern eines für gute Spieler. Um die habe ich mich unter Beachtung der Rahmenbedingungen in der Vergangenheit verstärkt bemüht – und das habe ich auch in Wolfsburg vor.

Interview: Rainer Grünberg