Der morgige Bundesliga-Gegner des HSV steht vor einer Runderneuerung. Der geschasste Trainer Armin Veh sollte Vorgänger Felix Magath kopieren und sich von ihm abgrenzen. Das konnte nicht gelingen.

Hamburg/Wolfsburg. Für die heutige Besichtigung der Hasseröder Brauerei, schreibt der VfL Wolfsburg auf seiner Homepage, seien kurzfristig zwei Plätze frei geworden. Interessenten sollten sich doch bitte auf der Geschäftsstelle melden. Dort herrscht seit Tagen ohnehin erhöhte Betriebsamkeit. Nachdem Cheftrainer Armin Veh beurlaubt worden war und sein Assistent Alfons Higl ihm freiwillig folgte, werden in der Zentrale des deutschen Fußballmeisters nicht nur Besucher des Biersponsors gesucht.

Eine erste Personalie sollte sich erledigt haben. Der brasilianische Innenverteidiger Réver von Grêmio Porto Alegre will in Wolfsburg einen Fünfjahresvertrag unterschreiben. Beim HSV wird der 25-Jährige morgen Abend nicht auflaufen. Réver leidet unter einem Handbruch. Dagegen scheint das Buhlen um Schalkes Außenverteidiger Rafinha für den Augenblick ausgesetzt. Schon zehn Millionen Euro Ablöse seinen für den Brasilianer zu viel, entschied Wolfsburgs neuer Manager Dieter Hoeneß. Schalke hatte 14 Millionen gefordert. Im Gegensatz zum übrigen Geschäftsleben steigen im Fußball die Preise im Winterschlussverkauf. Der endet an diesem Sonntag. Es darf weiter gepokert werden.

Gerade acht Monate nach dem überraschenden Titelgewinn steht der VfL Wolfsburg vor einer Runderneuerung. Der Meister, inzwischen nur noch bedingt abwehrbereit, muss vor allem in der Deckung grundüberholt werden. Dem geschassten Veh soll ein Coach mit internationalem Renommee folgen, Lorenz-Günther Köstner, der bisher sportlich Verantwortliche des zweiten Teams, gilt als Interimslösung. In Hamburg wird er auf der Bank sitzen. Bei der Trainersuche, sagt Hoeneß, stehe er nicht unter Zeitdruck. Strategische Entscheidungen seien gefragt. Die fehlten zuletzt.

Am 22. August, vor dem dritten Spieltag, schauten die Wolfsburger das bislang letzte Mal von Platz eins auf die Bundesliga herab. Die 2:4-Heimniederlage gegen den HSV, die erste in der VW-Arena nach 16 Siegen in Folge, leitete den Absturz ein. Nach dem 2:3 am vergangenen Sonntag gegen den 1. FC Köln wird der Klub nach 19 Spieltagen auf Rang zehn notiert. Den tiefen Fall verzieh der VW-Konzern Veh nicht. Die Autobauer sind hundertprozentige Gesellschafter der VfL Wolfsburg-Fußball GmbH. Sie würden gern auch ihren Verein zur Weltmarke wandeln.

Wenn in Wolfsburg nach den Gründen des derzeitigen Misserfolgs geforscht wird, fällt sofort der Name Felix Magath. Der heutige Schalker Coach hatte den lange Zeit gegen den Abstieg kämpfenden Klub innerhalb von zwei Jahren zum ersten Titel in der Vereinsgeschichte geführt. Als Magath im vergangenen Mai mit der Schale in den Händen abtrat, beerbte ihn Veh als Geschäftsführer, Manager und Trainer. Das war rückblickend der entscheidende Fehler im System. Magaths Machtfülle hatte in einer Aufbauphase Sinn, ein Meister braucht breiter angelegte Strukturen. Die finanziellen Begehrlichkeiten der Spieler wachsen mit den Interessen anderer Vereine an ihnen, die sportlichen Belastungen (Champions League) nehmen zu wie die Termine bei Sponsoren und Medien. Das sind Herkulesaufgaben. Bis auf Bayern München - und mit größeren Abstrichen Werder Bremen - ist noch jeder Bundesligaklub an der Herausforderung gescheitert, sich auf Dauer an der Spitze zu etablieren.

Auch in dem verständlichen Bestreben, sich von Magath abzugrenzen, mutete Veh sich und der Mannschaft zu viel zu. Magath hatte sich die Spieler für sein taktisches System zusammenkaufen können. Mit diesem Personal mittelfristig einen anderen Fußball, mehr kurze denn lange Pässe, spielen zu wollen stellte sich schnell als zu ehrgeiziges Projekt heraus. Die Verunsicherung fraß sich in die Psyche des Teams. Veh reagierte mit häufigen Umstellungen, setzte sogar Magaths Abwehrchef Andrea Barzagli auf die Bank. Stabilität erntete er nicht, nur die Verunsicherung wuchs. Schon unter Magath galt die Wolfsburger Abwehr als anfällig, sie zu dieser Saison zielgerichtet zu verstärken unterließ Veh. Magath hatte sich von Innenverteidiger Alexander Madlung trennen wollen, Veh verlängerte mit ihm. Jetzt muss Hoeneß das Versäumte nachholen.

Unterschätzt hat Veh die psychische Beanspruchung des Teams. Magath führte ein straffes Regiment, Veh dagegen zog die Zügel nicht ganz so fest an. Diesen Spielraum, mag er auch noch so klein gewesen sein, nutzte die Mannschaft zum Durchschnaufen. Das ist menschlich verständlich, es könnten aber genau diese paar Prozent weniger Leistungsbereitschaft sein, die den Meister zum Mittelmaß machten.