Der Hamburger Weltrekordler Steffen Deibler begrüßt die Entscheidung. Jetzt komme es wieder auf den Menschen und nicht auf das Material an.

Hamburg. Das waren noch Zeiten. Fast kein Tag in den vergangenen zwei Jahren verging, an dem nicht ein neuer Weltrekord im Schwimmen vermeldet wurde, rund 320 seit 2008. Nun hat der Weltverband Fina die inflationäre Rekordflut gebremst. Zurück zur Natur heißt das neue Motto, das die Materialschlacht der Hersteller stoppen soll: Raus aus von Kopf bis Fuß verschweißten Hightech-Kleidern, rein in Badehose und Badeanzug, schulterfrei versteht sich. Mann und Frau zeigen wieder Haut, "und das ist gut so", findet der Hamburger Weltrekordler Steffen Deibler. "Die Leistung des Sportlers wird wieder im Mittelpunkt stehen."

Für das Abendblatt hat Deibler seine neue Arbeitskleidung schon einmal angezogen. Die mit Wasser abweisenden Materialen beschichtete Hose reicht nur noch vom Becken bis zu den Knien und entspricht den Vorschriften, die seit dem 1. Januar weltweit gelten. 120 Modelle dieser Art hat die Fina für Männer und Frauen bisher zugelassen. Deiblers Badehose "Jammer" des australischen Ausrüsters Speedo kostet im Internethandel derzeit 19,43 Euro. Die alten Ganzkörperanzüge waren nicht unter 300 Euro zu haben. Bis zu einer halben Stunde dauerte es, um in sie hineinzuschlüpfen.

Auch Deibler hatte von der Textil-Revolution im Becken profitiert. Im vergangenen Herbst schwamm er in einem Ganzkörperanzug auf der 25-Meter-Kurzbahn zwei Weltrekorde über 50 Meter Schmetterling. 21,80 Sekunden lautet seine Bestmarke - eine für die Geschichte. Alle Rekorde bleiben bestehen, hat der Weltverband entschieden. Mit natürlichen Mitteln werden sie so schnell nicht zu unterbieten sein. "Das freut mich, auf der anderen Seite muss man abwarten, wie das Publikum reagiert, wenn in den nächsten Jahren kaum noch Weltrekorde geschwommen werden." Das sei dann ähnlich wie in der Leichtathletik, die heute von den Duellen lebe und nicht mehr von Fabel-Weiten und -Zeiten.

Von der neuen Formel "Mensch statt Material" glaubt Deibler profitieren zu können. Seine Wasserlage ist hervorragend, seine Schwimmtechnik bestechend. Vorzüge dieser Art gewinnen wieder an Gewicht, die Ganzkörperanzüge hatten vor allem die kräftigen, muskulösen Schwimmer beschleunigt. Deibler, 1,85 Meter, 83 Kilogramm, ist keiner von ihnen. Ihm fällt es schwer, Muskelmasse aufzubauen. Zwei Kilo legte er durch spezielles Krafttraining in den vergangenen anderthalb Jahren zu, zu wenig, um den Auftrieb der Hightech-Materialen bis zum Anschlag nutzen zu können.

Unterwasser-Aufnahmen haben gezeigt, erzählt Deibler, wie der Körper schwerer Schwimmer im Wasser vibriert. Vibrationen kosten Vortrieb und damit Zeit. "Die Ganzkörperanzüge haben diese Körper wieder in Form gepresst und die Vibrationen gedämpft. Der Faktor Kraft wurde immer entscheidender, das Techniktraining konnte vernachlässigt werden." Jetzt folgt die Wende.

Sie könnte ein Talent wie Steffen Deibler ganz nach vorne spülen. "Wenn ich gesund bleibe und die nächsten zweieinhalb Jahre voll trainieren kann", sagt der Student, "traue ich mir unter den aktuellen Bedingungen zu, bei den Olympischen Spielen 2012 in London um Medaillen mitzuschwimmen." Seine größte Sorge: Die Fina könnte die Badehose alsbald wieder einkassieren, entsprechende Gerüchte machten bereits die Runde. Der Grund: Die Ausrüster erhöhen hinter den Kulissen den Druck. Und wenn es ums Geld geht, hat sich der Weltverband noch nie prinzipienfest gezeigt.