Sebastian Deisler wirkte beim ersten Fernseh-Auftritt seit seinem Rücktritt als Profi ausgeglichen. Nur einmal versagte ihm die Stimme.

Berlin. „Dieser eine Punkt in Berlin ist mir ganz wichtig, denn da sind Sachen passiert, die waren unterste Schublade. Da habe ich lange dran zu knabbern gehabt. Ich möchte, dass die Leute das wissen“, sagte der 29-Jährige in der Sendung Stern-TV.

Dieser Stachel sitzt tief, das merkt man Deisler an. Sein Oberkörper schnellt aus dem roten Ledersessel nach vorne, und die Arme gestikulieren, wenn er über das Kapitel Hertha BSC Berlin spricht: „Es geht mir nicht darum, wieder in die Öffentlichkeit zu gehen, sondern darum, dass die Wahrheit gesagt wird.“

Am Donnerstag erschien seine Biographie „Zurück ins Leben“, in der er knapp drei Jahre, nachdem er zermürbt von Verletzungen und Depressionen seine Karriere beendet hatte, einen Einblick in sein Seelenleben gibt und gleichzeitig mit den Hertha-Verantwortlichen abrechnet.

Nach Bekannwerden seines Wechsels von Berlin zu Bayern München seien „ein paar üble Sachen passiert“, erklärte Deisler: „Man hat mich hingestellt und gesagt: Das ist der Verräter. Das ist derjenige, der alle belogen hat. Aber das ist nicht die Wahrheit.“ Laut Deisler, der unter anderem Morddrohungen erhielt, sei es ursprünglich der alleinige Wunsch des Vereins gewesen, den Wechsel geheimzuhalten. Der damalige Manager Dieter Hoeneß hatte sich bereits gegen die Vorwürfe gewehrt: „Das als seinen Genickschuss zu bezeichnen, geht entschieden zu weit.“

Doch nicht nur der geräuschvolle Abgang aus der Hauptstadt hatte Deisler psychisch zugesetzt. Der Druck, der auf den technisch begabten Profi nach dem „Rumpelfußball“ der DFB-Elf zur Jahrtausendwende lastete, war zu groß für „Basti-Fantasti“, wie er damals gerufen wurde. „Es war zu früh zu viel. Ich war das Jahrhunderttalent, der Retter des deutschen Fußballs. Ich sollte als erster Krieger aufgebaut werden“, sagte er.

Doch Deisler sucht die Gründe für seine unvollendete Karriere auch bei sich selbst: „Ich habe teilweise versucht, etwas zu sein, was ich nicht war.“ Zudem wäre es im Rückblick besser gewesen, das Elternhaus nicht bereits mit 15 Jahren zu verlassen, „um es der großen Fußball-Welt zu zeigen“, meinte der 36-malige Nationalspieler.

Heute gehe es ihm „besser als noch vor zweieinhalb Jahren“, vollständig „Zurück im Leben“, wie seine Biographie es andeutet, sei er jedoch noch nicht: „So weit ist es noch nicht ganz. Ich bin auf dem Weg dorthin. Ich gebe nicht auf.“

Möglicherweise findet der gebürtige Lörracher ausgerechnet im Fußball bald eine neue Lebensaufgabe. Er könne sich eine Rückkehr auf den Platz vorstellen - als Jugendtrainer: „Ich denke, dass ich noch einmal etwas mit Fußball machen möchte, um den Kindern die Freude zu vermitteln.“

Sein früherer Trainer Ottmar Hitzfeld würde sich von Herzen wünschen, dass „der ewig Suchende doch eines Tages den Weg zurück zum Fußball findet“, schrieb der Schweizer Nationalcoach im Vorwort zu Deislers Buch, das im Tagesspiegel abgedruckt wurde. Deislers Schicksal habe ihm die Augen geöffnet, erklärte Hitzfeld: „Auch die talentiertesten und optimal geförderten Spieler können nicht automatisch Siegermaschinen sein.“

Zudem macht sich Hitzfeld, der wie Deisler aus Lörrach stammt und von Beginn an „ein besonderes Verhältnis“ zum Mittelfeldspieler pflegte, Vorwürfe. „Wir haben es nicht früh genug gemerkt. Das grämt mich heute. Manchmal denke ich, dass wir, wenn wir Sebastians Situation früher erkannt hätten, ihm so hätten helfen können, dass er dem Fußball nicht verloren gegangen wäre“, sagte Hitzfeld.