Sebastian Deisler, einst Deutschlands größtes Fußball-Talent und wegen Depressionen zurückgetreten, hat seine Biografie geschrieben.

Vielleicht hat es irgendwann den Moment gegeben, in dem er nur eine Entscheidung hätte anders treffen müssen - und sein Leben wäre nicht aus den Fugen geraten. Vielleicht war der Sommer 1997 so ein Moment, da wollte ihn Real Madrid verpflichten. Sebastian Deisler war 17, vielleicht wäre er Deutschland und den ganzen Erwartungen noch rechtzeitig entkommen, bevor sie ihn krank machten.

Vielleicht hat es diesen Moment bei Deutschlands einst größtem Fußballtalent aber auch nie gegeben, und alles konnte nur so enden: in der Depression, im Rücktritt und danach im täglichen Kampf um ein bisschen Lebensfreude. Sebastian Deisler hat mit dem Journalisten Michael Rosentritt seine Biografie geschrieben. "Zurück ins Leben" heißt sie, und sie liest sich wie ein psychologischer Kriminalroman, in dem der Protagonist immer mehr zwangsgesteuert wird - bis es keinen Ausweg mehr gibt.

Für viele war Deislers Rücktritt im Januar 2007 schockierend und rätselhaft. Wieso konnte ihm niemand helfen? Und was waren das nur für Verhältnisse, die ihn so verzweifeln ließen, dass er seinen Abschied rückblickend mit den Worten begründet: "Ich musste mich retten."?

Ursprünglich hatte er jemand anderen retten sollen - den deutschen Fußball. Für das fade Gekicke der Nationalelf prägte Franz Beckenbauer den Ausdruck "Rumpelfußball". Deisler spielte anders: verwegen, kreativ, technisch. Und weil er dazu ganz hübsch aussah, sollte er auch die Sehnsucht nach Glamour befriedigen. Bald nannte man ihn den "deutschen Beckham." Deisler war anders als Matthäus, Sammer oder Effenberg, die klassischen Vertreter des "Führungsspielers". Anders auch als Michael Ballack, der heute die Rolle des deutschen Heros einnimmt. Deisler denkt nicht in Kategorien von Macht und Einschüchterung.

Als er 2002 von Hertha BSC zu Bayern München wechselte, wollte er in Deutschlands Vorzeigeklub "einen neuen Geist hereinbringen ... mehr Miteinander, nicht dieses Egobetonte." Anerkennung wollte er schon, verzweifelt sogar, aber ihre Formen hielt er nicht aus. "Ich sollte leuchten, und alle haben sich in meinen Schein gestellt." Deisler fühlte sich vereinnahmt. Je mehr gezerrt wurde, desto mehr habe er gestreikt. "So wurde ich einer, der ich nie sein wollte." Er wollte so sein wie in seinen Kinderjahren in Lörrach. Unbeschwert. Als er mit den Freunden im Hof bolzte, mit dem Vater auf dem Fahrrad zu Auswärtsspielen fuhr. Doch die Idylle zerplatzte, als er in die Pubertät kam. Der Vater erlitt einen Herzinfarkt und wurde Berufsinvalide, die Ehe der Eltern litt, Freunde hänselten ihn.

Er wollte, sagt er immer wieder, zurück in die "Mitte des Spiels", und er meinte damit die Position auf dem Platz wie im Leben. Aber immer, wenn er auf einem guten Weg war, warf ihn eine Verletzung zurück. Sieben Operationen, sechs am Knie, eine an der Leiste, waren es, als er schließlich aufhörte. Sein Körper rebellierte gegen den Druck, den er ihm auferlegte. Er musste der Beste werden, das war der Fluch seines Talents. Je weiter er sich davon entfernte, desto größer wurde der Druck. Im Herbst 2003 begab er sich in die Psychiatrie des Max-Planck-Instituts. Viel zu spät, wie er rückblickend sagt.

Die Öffentlichkeit behandelte Deislers Depression als eine Art Naturkatastrophe. Psychologen erschlossen in Interviews die Schattenwelt des Glitzerbetriebs Fußball. Von einem "Sonderfall Deisler" war die Rede - dabei ist er bei Weitem nicht der erste Fußballer, den eine Mischung aus persönlichen Dispositionen und Heldenverehrung aus der Bahn geworfen hat. Die Agonie wurde nur kurz unterbrochen durch die Zeit, in der Jürgen Klinsmann die Nationalelf übernahm. Er setzte auf Gruppendynamik und führte auch psychologische Betreuung ein.

Deisler fühlte sich verstanden, aber eine seiner vielen Verletzungen beendete den Traum von der Heim-WM 2006. Zurück blieben 36 Länderspiele und eine weitere Frage: Hätte es anders laufen können, wenn einer wie Klinsmann früher gekommen wäre?

Vor zwei Monaten ist Sebastian Deisler von Berlin nach Hause gezogen, zurück zu seinen Wurzeln. In Lörrach will er sich überlegen, was aus seinem Leben noch werden kann. Die Zeit seit dem Rücktritt hat er bisher dafür gebraucht, um überhaupt wieder auf die Beine zu kommen. Es läuft ganz gut. Er kann sich jetzt zum Beispiel wieder ein Fußballspiel im Fernsehen anschauen.