Trubel in der Königsklasse: Renault-Manager Flavio Briatore und ein Ingenieur müssen gehen, weil ihr Team einen Unfall inszeniert hat.

Er habe nichts vermisst ohne die Formel 1, ließ Flavio Briatore einmal das Hamburger Abendblatt wissen. "Es ging mir gut, ich war den Druck los, ich hatte keinerlei Probleme. Das ist es vielleicht: Die Probleme haben mir gefehlt, ich brauche wohl Probleme im Leben." Nimmt man diese Aussage ernst - und damit muss man bei einem wie ihm immer vorsichtig sein -, dann hätte Briatore jetzt das, was er wollte. Seit gestern steht sein Name für einen der größten Skandale, die der Grand-Prix-Sport je erlebt hat. Die Formel 1 aber wird ihm künftig keine Probleme mehr bereiten können - und er ihr nicht: Mit sofortiger Wirkung hat sich der Renault-Rennstall von dem Italiener als Teamchef sowie von Chefingenieur Pat Symonds getrennt.



Die Erklärung, die der französische Automobilhersteller dazu abgab, kommt für die Formel 1 einem Totalschaden gleich. Ein renommierter Hersteller muss einen Betrug eingestehen. Die Manipulationsvorwürfe im Zusammenhang mit dem Großen Preis von Singapur 2008 werde man "nicht bestreiten", teilte Renault mit. Damit steht fest, was Briatore bis zuletzt vehement bestritt: Er hatte seinerzeit vor dem Start seinen brasilianischen Fahrer Nelson Piquet junior angewiesen, an einer schwer zugänglichen Stelle einen Unfall zu bauen. Der notwendige Safety-Car-Einsatz hatte Fernando Alonso zum Sieg verholfen. Denn der Renault-Pilot, von Startplatz 15 ins Rennen gegangen, hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seinen Tankstopp absolviert. Vor zwei Wochen leitete der Automobil-Weltverband Fia Ermittlungen ein. Piquet junior, Sohn des dreimaligen Weltmeisters gleichen Namens, hatte Briatore und Symonds in einem Brief schwer belastet - freilich erst, nachdem die ihm im Juli sein Cockpit weggenommen hatten.


"Ein Riesenskandal", kommentierte der dreimalige Weltmeister Niki Lauda bei "bild.de": "Unglaublich, welch ein Schaden der Formel 1 da zugefügt wurde." Der Rennzirkus, nach dem Rückzug von zwei Auto-Unternehmen und einem monatelangen Streit um die Zukunft der Serie ohnehin gebeutelt, muss um seine Existenz bangen. Jeder weitere Rückzug eines Herstellers könnte das Ende des globalen Geschäfts bedeuten.


Der kalkulierte Crash ist nicht der erste provozierte Unfall in der Grand-Prix-Geschichte. 1994 boxte sich Michael Schumacher zu seinem ersten WM-Titel, als er beim Saisonfinale in Adelaide nach einem Fahrfehler seinen vorbeiziehenden Rivalen Damon Hill von der Strecke rammte. Schumachers Vorgesetzter bei Benetton damals: Flavio Briatore.


Das Foul von Adelaide blieb ohne Nachspiel. In einem anonymen Drohbrief wurde der Teamchef später von einem Benetton-Mechaniker beschuldigt, diese und weitere Kollisionen inszeniert zu haben. Das hätte zumindest ins Bild gepasst. Der Italiener war schon zuvor durch wiederholte Regelverstöße aufgefallen: Mal wurde bei Benetton ein unerlaubtes elektronisches System eingesetzt, mal ein unerlaubter Unterboden. In Silverstone ignorierte Schumacher auf Anweisung der Teamleitung die schwarze Flagge und fuhr weiter. Zwei Rennen Sperre waren die Folge.


Briatores Erfolge als Manager sind unbestritten, Schumacher und Alonso dirigierte er zu je zwei Weltmeistertiteln. Für den Erfolg war ihm jedes Mittel, jeder mögliche Trick recht. Diesmal ist er offenbar zu weit gegangen. Mit dem Unfall, dessen Konsequenzen nie ganz berechenbar sind, riskierte er die Gesundheit seines Fahrers.


Briatore mag kein Einzeltäter sein, versuchte doch Michael Schumacher im Ferrari 1997 beim letzten WM-Lauf in Jerez, Jacques Villeneuve auf dem Weg zum Titel durch einen Rammstoß aus dem Verkehr zu ziehen. Und doch ist ein Vorgang wie in Singapur beispiellos. Ein Auto nach einem festen Plan vor die Wand fahren zu lassen, um den Rennausgang zu beeinflussen, ist ein neuer Tiefpunkt in der an Skandalen reichen Grand-Prix-Geschichte.


Am kommenden Montag muss sich Renault dafür vor dem Motorsport-Weltrat der Fia verantworten, wieder einmal. Das Gremium war zuletzt viel beschäftigt. Schon zu Saisonbeginn ging es um die Frage, ob McLaren-Mercedes seinen Weltmeister Lewis Hamilton angewiesen hatte, Jarno Trulli während einer Safety-Car-Phase überholen zu lassen. Diesmal kam der Rennstall, anders als bei der 100-Millionen-Dollar-Strafe in der Spionageaffäre zwei Jahre zuvor, mit einer Bewährungsstrafe davon.


Auch Renault hat sich bereits im Sommer verantworten müssen, weil es Alonso trotz eines bekannten Problems an der Radabdeckung in Ungarn auf die Strecke schickte und einen Unfall in Kauf nahm. Damals gab es eine Rüge und 50 000 Dollar Strafe. Jetzt droht schlimmstenfalls der Ausschluss von der WM. Wahrscheinlicher aber ist, dass die Franzosen weiterfahren dürfen. Einen weiteren Hersteller zu verlieren kann und wird sich die Formel 1 nicht leisten, nachdem Honda und BMW bereits eine Vollbremsung vollzogen haben. Dass Renault nun Briatore und Symonds geopfert hat, wird als Signal der Reue an den Weltrat gewertet.


Die Frage bleibt, ob das Publikum noch einmal Gnade gewährt: ob es weiter hinter dem PS-Wanderzirkus herpilgert oder sich abwendet wie schon vom Radsport, der sich durch wiederholten Betrug selbst in den Abgrund manövriert hat. Die Verjährungsfrist in der Erinnerung der Fans verstreicht nicht so schnell, wie es die Lenker gern hätten. Auch bei den Wettern könnte die Formel 1 ihren Kredit verspielt haben, fürchtet Promoter Bernie Ecclestone.


Denn die Rückwirkungen gehen weit über den Sport hinaus. In einer Zeit, in der die Automobilindustrie verzweifelt die Ausfahrt aus der Krise sucht, ist ein Prestigeverlust Gift. Denn ein Grand Prix ist heute vor allem eine Leistungsschau von Weltkonzernen, die sich ihre rasenden Werbeträger jährlich mehrere Hundert Millionen Euro kosten lassen. Entsprechend hoch ist der Zwang zum Erfolg. Entsprechend gefragt sind Menschen wie Briatore, für den offenbar alles erlaubt ist, solange es nur nicht entdeckt wird.


Was er nach seiner Formel-1-Karriere machen würde? "Man muss kreativ sein", erzählte Briatore einst dem Abendblatt. "Ich werde versuchen, etwas zu machen, wobei ich meinen Spaß habe." Das sollte ihm gelingen. Seine 30 Jahre jüngere Frau, das TV-Sternchen Elisabetta Gregoraci, erwartet in Kürze ein Kind.

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