Zwischen Felix Sturm und seinem Herausforderer Sebastian Sylvester fliegem vor ihrem Kampf die Giftpfeile hin und her. Beide Kontrahenten geben sich betont gelassen.

Hamburg/Oberhausen. Boxkämpfe, das ist eine bekannte Weisheit, werden zu einem großen Teil im Kopf entschieden. Meister der psychologischen Kriegsführung, wie zum Beispiel Schwergewichts-Weltmeister Vitali Klitschko einer ist, haben manch Faustgefecht schon gewonnen, bevor sie überhaupt in den Ring gestiegen sind. Es lohnt deshalb immer, einen Blick zu werfen auf das Gebaren, das die Kämpfer in den Tagen vor dem Showdown aufführen.

Im Falle der Mittelgewichts-WM an diesem Sonnabend (22 Uhr, ZDF live) in Oberhausen war folgendes zu besichtigen: Felix Sturm (29), WBA-Weltmeister aus dem Hamburger Universum-Stall, saß bei der offiziellen Pressekonferenz gelangweilt auf dem Podium und verbrachte einen Großteil der Zeit damit, auf seinem Mobiltelefon herumzutippen. Zum obligatorischen Foto mit Pflichtherausforderer Sebastian Sylvester kam es ebenso wenig wie zu einem Händedruck. Die Deutung darüber, wer wem die Höflichkeit verweigert hatte, ging naturgemäß auseinander, doch eines wollte Winfried Spiering, Chef des Berliner Wiking-Boxteams, dem der 28 Jahre alte Greifswalder Sylvester angehört, eindeutig erkannt haben: "Der Catic ist übernervös!"

Adnan Catic, das ist Sturms Geburtsname. Der in Leverkusen geborene Sohn bosnischer Einwanderer, der sich ob der besseren Vermarktbarkeit bei seinem Wechsel ins Profilager Ende 2000 seinen Künstlernamen gab, machte im Amateurbereich unter dem Namen Catic Karriere. Und weil das Sylvester-Lager ihn seit diesen Zeiten kennt, nennt es ihn konsequent so. Die Wikinger sind überzeugt davon, dass diese Provokation für Nervosität bei Sturm gesorgt hat.

Sturm kann darüber jedoch nur milde lächeln. "Ich habe kein Problem damit, dass die mich so nennen, der Name steht ja in meinem Pass", sagt er, "außerdem habe ich mir schon viel schlimmere Dinge anhören müssen in meinem Leben." Dass diverse Medien den Kampf als "Hassduell" hochstilisierten, nachdem es im Vorfeld verbale Attacken aus beiden Lagern gegeben hatte, kann Sturm sogar verstehen. Er selbst hatte dem Wiking-Team fehlendes Niveau vorgeworfen. "Dazu stehe ich, denn ich glaube, dass Sebastians Berater ihm ein paar Flausen in den Kopf gesetzt haben. Aber Weltmeister im Reden sind viele. Auf die Leistung im Ring kommt es an!" Er persönlich verspüre keinen Hass gegenüber Sylvester. "Ich habe weder etwas für ihn übrig noch etwas gegen ihn. Es ist ein normaler Kampf, den ich gewinnen will."

Dies jedoch darf man getrost in die Kategorie "Understatement" einordnen. Natürlich ist dieser Kampf kein normaler, allein schon, weil es das erste deutsch-deutsche WM-Duell seit 15. April 2000 ist. Und natürlich liegt der gesamte Druck bei Sturm. Er ist einer der wenigen Top-Quotenbringer, die Universum derzeit hat, und eine dritte Niederlage im 34. Profikampf würde einen herben Rückschlag bedeuten. Sturm ist der Favorit, und weil er in der Vergangenheit über die Fähigkeiten seines Gegners meist vernichtend urteilte, wäre eine Niederlage umso peinlicher.

Dass sich Sylvester das Herausforderungsrecht im April durch einen K.-o.-Sieg über den Spanier Javier Castillejo sicherte, der im Sommer 2006 Sturm ausgeknockt hatte, ist eine pikante Randnotiz, die Sturm mit dem Hinweis herunterzuspielen versucht, Castillejo sei gegen Sylvester "schon lange über den Berg" gewesen, weshalb "solche Quervergleiche gar nicht zählen". Zwar bemühte sich Sturm zuletzt, Sylvester stark zu reden ("Ich will immer die Besten boxen, und er gehört zu den Besten, da muss man nur in die Ranglisten schauen"), doch in Wahrheit hält er ihn für zu limitiert, um wirklich gefährlich zu sein.

Dieses Selbstbewusstsein, das Sturm schon immer an den Tag legte, wird ihm häufig als Arroganz ausgelegt, was zu kurz greift. Er hat Tendenzen zur Überheblichkeit, wenn er sich unter Menschen bewegt, die er nicht kennt. Doch er hat vor allem durch die Niederlage gegen Castillejo gelernt, jeden Gegner ernst zu nehmen, ohne dabei seine eigenen Stärken zu vergessen. "Ich bin früh auf die Schnauze gefallen, weil ich Castillejo damals nicht ernst genug genommen habe", sagt er, "aber besser zu früh als zu spät." Deshalb sei die Favoritenrolle auch keine Bürde mehr für ihn. "Im Gegenteil, mich motiviert es sehr zu wissen, dass Universum auf mich setzt. Und vor allem weiß ich heute, dass ich immer mein gesamtes Können abrufen muss, um zu gewinnen. Das werde ich tun." Wenn es also stimmt, dass Boxkämpfe zum Großteil im Kopf entschieden werden, dann hat Sturm große Chancen, weil er an nichts anderes denkt als den Erfolg. Jetzt muss nur noch Sebastian Sylvester mitspielen.