Verheerende Pleite gegen Tiozzo - Dariusz Michalczewski vor dem Karriereende.

Hamburg. Als sich der Frust einiger polnischer Fans vor der Color-Line-Arena in einer wüsten Prügelei entlud, saß Dariusz Michalczewski in seiner Kabine und trank ein Bier auf den Schock, den er eine halbe Stunde zuvor erlitten hatte. Erstmals in seiner Karriere war der Halbschwergewichtsprofi aus dem Universum-Stall ausgeknockt worden. Der Franzose Fabrice Tiozzo (35), alter und neuer WBA-Weltmeister, hatte seinen Herausforderer am Sonnabend abend vor 16 000 Fans (darunter 4000 Polen) und durchschnittlich 7,87 Millionen Zuschauern im ZDF in der sechsten Runde eines Kampfes in den Ringstaub befördert, der im Lebenslauf des 36jährigen Deutschpolen seinen Platz als der berüchtigte "Kampf zuviel" einnehmen wird.

Die Kombination aus zwei rechten und einer linken Geraden zum Kopf und die nach dem ersten Anzählen erfolgte krachende Rechte zum endgültigen Knockout setzten den Schlußstrich unter einen Auftritt, der für Freunde und Vertraute des langjährigen WBO-Weltmeisters nur eine Konsequenz zuließ: Dariusz Michalczewski muß seine Karriere beenden. Universum-Chef Klaus-Peter Kohl sagte: "Ich hoffe, daß er die Kraft findet, die richtige Entscheidung zu treffen." Christoph Busch, Michalczewskis persönlicher Betreuer, sagte: "Wenn er weitermacht, bin ich für ihn da. Aber ich hoffe, daß er aufhört. Auch wenn er für mich der größte Champion bleibt, will ich ihn nicht mehr so erleben müssen wie am Sonnabend."

18 Monate hatte Michalczewski nach der ersten Pleite seiner Karriere im Oktober 2003 gegen Julio Gonzalez pausiert. Fast fünf Monate hatte er sich gewissenhaft auf sein Comeback vorbereitet. Was er im Ring zeigte, war jedoch eine Bankrott-Erklärung. In den ersten drei Runden fand er keine Distanz zum Gegner. Seine Deckungsarbeit vernachlässigte er wie eh und je, doch während Tiozzo jeden Treffer Michalczewskis mit zwei eigenen konterte, hatte der "Tiger" auf die aggressive Kampfführung des Franzosen keine Antwort. Als er dann in der vierten Runde endlich angriff und Tiozzo mit einer gelungenen Kombination durchschüttelte, versäumte er es nachzusetzen. Wo ihm früher sein Killerinstinkt zu vorzeitigen Siegen verhalf, war diesmal kein Hauch von Entschlossenheit zu spüren.

Die zeigte nur Tiozzo, der sich bestens vorbereitet präsentierte. "In der vierten Runde dachte ich, der Kampf dreht sich, und dann bin ich zu leichtsinnig geworden. Zum Schluß hat er mich zweimal voll erwischt. Ich wollte noch den Zahnschutz rausspucken, um mich zu erholen, aber das habe ich nicht mehr geschafft. Tiozzo hat mich richtig weggeputzt, wie es sich für einen Weltmeister gehört", analysierte Michalczewski, der nach dem Kampf immerhin aus beiden Augen sehen konnte. Das war in seinen vorangegangenen Schlachten nicht so gewesen - die allerdings hatten auch alle länger gedauert . . .

Es ehrt Michalczewski, daß er seine Schulterprobleme, die in der Woche vor dem Kampf per Spritzenkur behoben werden mußten, nicht als Erklärung für die Pleite anführte. Es wäre auch nur eine Ausrede gewesen. Michalczewski muß einsehen, daß er seinem Lebenswandel und seinem auf Offensive ausgerichteten Kampfstil Tribut zollen muß. Auch wenn viele Kritiker ihm schon nach der Niederlage gegen Gonzalez zum Karriereende geraten hatten, war das Comeback vielleicht sogar richtig. Er wollte es sportlich noch einmal wissen, er wollte noch einmal seine Fans, die ihn trotz der Niederlage frenetisch feierten, begeistern, er wurde mit geschätzten 3,5 Millionen Euro Börse (von denen nach Abzug aller Kosten und Steuern die Hälfte übrig bleibt) üppig entlohnt - aber er hat vor Augen geführt bekommen, daß Sport auf höchstem Niveau für ihn nicht mehr möglich ist. Trainer Fritz Sdunek, der die Kampfführung seines Schützlings kritisierte ("Er wollte nur austeilen, die Defensive hat überhaupt nicht gestimmt"), glaubt: "Dariusz sollte jetzt sagen: Danke, das war's."

Das allerdings ließ sich der Geschlagene nicht entlocken. "Ich weiß noch nicht, wie es weitergeht, ich weiß nur, das das Leben nicht vorbei ist", sagte er. Darüber schlafen wolle er, sich mit Freunden, Familie, Promoter und Trainer beraten, um dann zu entscheiden. Beim letzten Mal gab es nicht viele, die ihm zum Comeback rieten; er tat es trotzdem. Mit Überraschungen muß man also auch weiterhin rechnen.