Derbysieger André Thieme über den letzten Auftritt seines Wallachs Nacorde, die Marotten der Reiter und seine Liebe zum Heavy Metal.

Hamburg. André Thieme, 37, widerspricht jedem Klischee. "Ich bin nicht nur auf das Reiten fokussiert, sondern begeistere mich für viele verschiedene Dinge", sagt der dreimalige Sieger des Deutschen Springderbys in Klein Flottbek beim gemütlichen Plausch im Pressezelt. Mit Nacorde will Thieme in diesem Jahr noch einmal eine Spitzenplatzierung erzielen - am liebsten natürlich den Titel verteidigen. Nacorde sei in hervorragender Form, sagt Thieme. Doch ein wenig Wehmut wird wohl dabei sein, wenn der Mecklenburger Derbyspezialist und sein Pferd am Sonntag (Beginn 13.10 Uhr) in den Parcours reiten. Für den 17-jährigen Wallach wird es der definitiv letzte Auftritt in der Hansestadt sein.

Hamburger Abendblatt: Herr Thieme, wie lebt und springt es sich eigentlich mit Ihrem Bekanntheitsgrad in Hamburg?

André Thieme: Ich finde, dass es sich in angenehmen Grenzen hält.

Immerhin sind Sie und Ihr Derbypferd Nacorde in der ganzen Stadt plakatiert.

Thieme: Ach das meinen Sie. Ein bisschen kurios ist es schon. Eigentlich ist dieses Motiv aus einem Spaß erwachsen. Nach dem dritten Derbysieg im vergangenen Jahr meinten die Turnierchefs Paul Schockemöhle und Volker Wulff, dass nun die Zeit für Nacorde auch in der Werbung gekommen sei. Sie haben Wort gehalten, wie man jetzt überall sieht.

Trauen Sie Ihrem Wallach denn auch einen vierten Triumph zu? Mit 17 Jahren ist er nicht mehr der Jüngste.

Thieme: Deswegen ist es auch abgemachte Sache, dass es sein letzter Derbyritt sein wird. Er soll in einer Phase verabschiedet werden, in der er gut drauf ist und nicht nach hinten durchgereicht wird. Nacorde ist aktuell in Topform.

Auch weil Sie ihn speziell auf das Derby vorbereiten?

Thieme: Er mag den Parcours und fühlt sich wohl in Hamburg. Immer wenn er nach Klein Flottbek kommt, wird er fünf Zentimeter größer. Er spürt, dass Großes auf ihn zukommt, und ist im Moment noch verfressener als ohnehin schon. Ehrlich gesagt, ist er ganz schön verhätschelt und lebt wie ein König. Aber solange er gut springt ...

Gilt das auch für Sie?

Thieme: Sport ist mein Leben. Und ich bin außerordentlich aktiv. Ich spiele nach wie vor Fußball, Tennis und leidenschaftlich Tischtennis. Das hindert mich aber keinesfalls daran, auch mal ordentlich zuzulangen. So werden wir natürlich auch in diesem Jahr unserer Tradition treu bleiben und im Kreis der Mecklenburger Reiter am Vorabend des Derbys in ein Steakhaus in Othmarschen gehen. Davor oder danach steht das Champions-League-Finale im Fernsehen auf dem Programm. Einen solchen Leckerbissen lasse ich mir nicht entgehen.

Stimmt es, dass Sie Fußballprofi werden wollten?

Thieme: Ja, um ein Haar. Andere meinen, ich hätte das Talent dazu gehabt. In der Jugend in Halle habe ich die Nummer 10 auf dem Rücken getragen und in der Juniorenauswahl gespielt. Parallel begann dann die Reiterei. Und mit 16 Jahren musste ich mich entscheiden, welchen Weg ich gehe. Ich habe mich für die Pferde entschieden, auch weil mein Vater mich dabei unterstützen konnte. Er ist ein versierter Reitersmann, der das Landesgestüt in Redefin leitet. Fußball aber ist mein Hobby geblieben: in den Reihen der Altherren-Mannschaft des SV Lübz.

Sind Sie nach der Ausbildung auf RatIhres Vaters eineinhalb Jahre in die USA gegangen?

Thieme: Das war meine Entscheidung. Ich wollte auf eigenen Beinen stehen, meinen Horizont erweitern und aufallen Gebieten dazulernen. Diese Zeit hat mich erheblich nach vorn gebracht.

Letztlich auch wirtschaftlich. Was haben Sie mit den 350 000 Dollar gemacht, die Sie im Vorjahr beim Millionenspringen im Bundesstaat New York gewannen?

Thieme: Meine Ehefrau Corinna und ich haben uns ein Grundstück in Plau am See gekauft. Dort wollen wir uns ein Haus bauen. Leider wird das Ganze teurer als gedacht, sodass wir hier und da noch ein paar Quadratmeter einsparen müssen. Aber im Sommer soll's losgehen.

Apropos Zukunftsplanung: Haben Sie höhere sportliche Ziele - wie Olympia?

Thieme: Auf jeden Fall. London jetzt im August kommt noch zu früh. Ich bin sehr ehrgeizig und habe schon so viele Hürden genommen. Es ist ein wunderschönes Gefühl, bei einem Klassiker wie dem Deutschen Derby ein bisschen Geschichte geschrieben zu haben. Nun jedoch sollen Weltcup-Turniere und Olympische Spiele Ziele sein. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

Haben Sie ein sportliches Vorbild ?

Thieme: Ich finde Basketballstar Dirk Nowitzki und Tennisspieler Roger Federer sehr beeindruckend, weil beide in ihrem Sport wirklich Außergewöhnliches leisten. Aber für mich persönlich sind natürlich Reitkollegen wie Markus Ehning, Christian Ahlmann, Marco Kutscher oder Ludger Beerbaum absolute Vorbilder.

Was unterscheidet Pferdesportler von anderen Athleten?

Thieme: Wir Reiter sind echte Eigenbrötler. Jeder Einzelne von uns musseigenständig etwas zustande bringen. Aber dadurch, dass wir immer die Begegnung mit einem Tier haben, sind wir meist auch sehr verständnisvolle Personen. Diese Kombination ist sicherlich einzigartig.

Einzigartig ist auch die Art und Weise, wie Sie Ihre Reitstiefel anziehen.

Thieme: Stimmt. Für mich ist es immens wichtig, den linken Reitstiefel zuerst anzuziehen. Wenn das mal nicht der Fall ist, werde ich unruhig. Diese Marotte begleitet mich schon ewig.

Wie Ihre Liebe zum Heavy Metal?

Thieme: Länger sogar. In meinerJugend habe ich vorwiegend Rock und Hardrock gehört. Erst später haben mich dann die schweren Klänge des Heavy Metal fasziniert. Und das ist bis heute so geblieben. Ich gehe regelmäßig zu Konzerten. Zuletzt war ich im Januar bei einem Auftritt der dänischen Heavy-Metal-Band Volbeat. Ich bin bestimmt zehnmal pro Jahr im Docks auf der Reeperbahn, um mir dort Konzerte anzuhören.

Das widerspricht dem klischeehaften Bild, das man von einem Reiter hat.

Thieme: Sie würden sich wundern, wenn Sie wüssten, was andere Reiter für Macken haben. Aber ich gebe zu:Im Gegensatz zu den meisten Kollegen habe ich eine Menge Hobbys jenseits des Pferdesports. In meinem Leben gibt es andere Dinge: die Musik, einen großen Freundeskreis, Politik, Wirtschaft. Mit meiner Frau unternehme ich zudem Kurztrips in fremde Städte und Länder.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann im Ausland zu leben?

Thieme: Nein, ich stelle immer wieder fest, dass ich ein Gewöhnungstier bin. Ich mag mein Plau am See.

Scheint, als hätten Sie die Bodenhaftung trotz aller Erfolge nicht verloren.

Thieme: Das verdanke ich sicherlich meiner Familie. Und ich hoffe, dass ich das auch meinem Sohn Max weitergeben kann. Er soll nicht wie viele Kinder, die früh mit dem Reiten in Berührung kommen, denken, dass es normal sei, ein eigenes Pony zu besitzen. Er soll die Dinge wertschätzen lernen. Deshalb bin ich auch froh darüber, dass er momentan eher ballverrückt ist und mit Pferden noch nicht so viel am Hut hat.

Saß er denn noch nie auf einem Pony?

Thieme: Doch, natürlich. Aber ich wünsche mir, dass er erst einmal einen Mannschaftssport ausübt, damit er lernt, sich zu integrieren und in einem Team gemeinsam für etwas zu kämpfen. Diese Erfahrung ist wichtig für Kinder - selbst wenn Max irgendwann reiten möchte oder Einzelsportler wird, kann er davon profitieren.

Wird Ihr Sohn denn auch beim Derby sein, um Sie zu unterstützen?

Thieme: Nein, er bleibt wie immer bei der Oma. Ein bisschen Aberglaube ist wohl auch hier mit dabei.